In Unterägeri steht ein ganz unzugerisches Haus. Der Lack ist ab, die Dachrinne sitzt schief. Frühere Bewohner sagen gar, hier spuke es. zentralplus hat sich den sonderbaren Bau genauer angeschaut.
Im Gebiet Schönwart in Unterägeri, an bester Hanglage mit Blick auf den Ägerisee, werden derzeit schicke Häuser gebaut. Etwas verborgen, nur einen Steinwurf davon entfernt, steht derweil ein sonderbares Gebäude, das sich diametral von den neu entstehenden Neubauten unterscheidet. Eine sonderbare Aura geht von diesem versteckt liegenden Bau aus, der sich an einer kaum befahrenen Strasse am äusseren Rand einer Haarnadelkurve befindet.
Das Haus ist gleichwohl Scheune als auch Wohnhaus und versprüht durch den sonderbaren Grundriss und ein kleines Türmchen sowohl Villa-Kunterbunt-Vibes als auch ein Gefühl verblühten Wohlstands. Die hellgelbe Farbe der Fassade bröckelt, Teile des Vordachs sind abgerissen, die Dachrinne hängt schief. Intakte Fensterscheiben gibt es kaum mehr. Im Erdgeschoss wurden sie mit Spanplatten überdeckt. Die Natur hat längst angefangen, das Gebäude für sich zu beanspruchen.
Graffitis, die an die Hausfassade gesprayt wurden, deuten darauf hin, dass das Haus nach wie vor eine Anziehungskraft hat. Zumindest auf Jugendliche, die hier wohl abends gern herumschleichen. Kein Wunder. Die Aussicht von hier, oberhalb des Unterägerer Dorfkerns, ist romantisch.
Ein verfluchtes Grundstück?
Doch nicht nur der Bau per se strahlt Magisches aus, auch seine Umgebung tut es. Im Wald, der das Haus in Richtung Nord und West umgibt, findet sich altes, moosiges Mauerwerk, hier und dort führen steinerne Tore ins Innere des Hangs. Weit führen sie nicht; auch sie wurden durch Holzplatten versperrt.
Apropos magisch: Es gibt Stimmen, die darauf schwören, dass es im und ums Haus herum spuke. Anton Styger verbrachte seine frühe Jugend in der ehemaligen Pension Schönwart. «Schon als kleines Kind habe ich im Haus Schönwart sehr schlecht geschlafen und offenbar viel geschrien. Später besuchten mich die Geister Verstorbener in Form von Fratzenwesen jeweils in der Nacht auf. Das war für mich der Horror», erzählt der 77-Jährige. Und weiter: «Auch im Waldpark, wo wir uns als Kind oft in den Grotten tummelten, traf ich auf die Geister von Verstorbenen.»
Styger bezeichnet sich als hellsichtig. Der Architekt und Baubiologe untersucht insbesondere geomantische und elektrotechnische Störzonen. Er glaubt, auf dem Haus liege ein Fluch. «Seit unserem Auszug und bis heute hat niemand mehr längerfristig in diesem Gebäude gewohnt.»
Ein Zeuge der Tourismusjahre
Weg von den Zwischenwelten, zurück zum Handfesten: Dass hier Historisches, ja Schützenswertes steht, beweist ein Blick ins Inventarblatt des Gebäudes. Gemäss dem Zuger Amt für Denkmalpflege handelt es sich bei dem Spukhaus um eine einstige Feldscheune aus dem Jahr 1837, an welche rund 30 Jahre später ein Wohnhaus angebaut wurde. 1901 rüstete der damalige Eigentümer, Grossrat Josef Anton Hess, sein Wohnhaus zur Pension vernehmlich für Schweizer Touristen um. In den 1920er-Jahren entstand zudem ein Speisesaal mit einer Veranda.
In einer Hausanalyse, welche Röösli Architekten aus Zug im Jahr 2019 im Auftrag des Amts für Denkmalpflege unternahmen, kommen weitere Details zu Bau und ehemaligen Besitzern zutage. So habe Josef Anton Hess junior als Gemeindepräsident zwar als prominente Persönlichkeit in Unterägeri gegolten, jedoch auch als «eigenwilliger Dorfkönig». Er setzte sich offenbar für die Entwicklung der Gemeinde ein, machte sich stark für die Wasserversorgung und Verkehrserschliessung und eben auch für den Tourismus. Mit einer eigenen Pension leistete er dafür einen direkten Beitrag.
Gemäss Röösli Architekten gibt es nicht sonderlich viele Archivalien zum Haus. Die heutige Schönwartstrasse, die sich durch den Wald den Villen entgegenschlängelt, entstand Ende des 19. Jahrhunderts. Davor existierte nur ein einfacher Aufstieg in Richtung Hinterwiden. Dokumente der Gebäudeversicherung weisen gemäss Analyse auf, dass das Gebäude bei der Neuversicherung 1986 nicht mehr als Pension aufgeführt wird.
«Der aus morphologischer Sicht einzigartige malerische Baukomplex in bis heute unverbauter Naturlandschaft ist ein charakteristisches, gewachsenes Baudenkmal von sehr hoher kultureller Bedeutung», heisst es in der Würdigung der Zuger Denkmalpflege. «Er erreichte sein heutiges Aussehen zur Hauptsache in der Zeit seiner Nutzung als Fremdenpension. Ebenso die parkförmige Umgebung.» Und weiter: «Die ehemalige Pension Schönwart gehört zu den letzten umfassend und einschliesslich der Umgebung erhaltenen Einrichtungen der ersten Phase des Tourismus in Unterägeri.» Er sei daher ein wertvolles lokalgeschichtliches Zeugnis von sehr hohem heimatkundlichem Wert.
Architektonisch kaum bedeutsam
Dies bestätigt der Architekt Patrick Röösli auf Anfrage: «Der rein architektonische Wert der Liegenschaft ist nicht sonderlich hoch.» Was das Gebäude jedoch besonders mache, sei seine Geschichte. Während des 19. Jahrhunderts gab es im Ägerital verschiedene Kur- und Erholungsanstalten, etwa das Kurhaus Waldheim oder das Adelheid. Die meisten der von ihnen sind heute verschwunden. «Mit diesem kleinen Kurhaus ritten die damaligen Liegenschaftsbesitzer auf dieser Welle mit.»
Und was hat es mit den Grotteneingängen, schmalen Weglein und den alten Steinmauern auf sich, die sich im schmalen, abfallenden Waldstück befinden? «Es handelt sich dabei um einen Waldpark, der wohl in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gebaut wurde. In jener Zeit war das nicht unüblich, gerade im Zusammenhang mit solchen Kurorten», sagt Röösli.
Ein romantischer Waldpark
Hinter den Plänen des Waldparks stand ein Gartentechniker namens Franz Xaver Heissinger aus München. «Heissingers Plan zeigt im steilen Bachtobel eine intensiv im Stile eines englischen Landschaftsgartens gestaltete Waldpartie mit einem umfangreichen Netz aus geschwungenen Fusswegen, Sitzplätzen, Felsgrotten, von Felsen gefassten Wasserläufen, Wasserbecken, einer Fontäne, diversen Pavillons sowie verschiedenartig dargestellten Nadel- und Laubbäume», heisst es in einem Gutachten aus dem Jahr 2019 von SKK Landschaftsarchitekten. Wie romantisch das ausgesehen haben muss, ist auch auf einer alten Postkarte zu sehen, die einen Teich mit Springbrunnen zeigt.
Auf einem Plan aus jener Zeit ist nicht nur der Waldpark mit diversen Spazierwegen und Gewässern vermerkt. Auch auf der Parzelle im Osten, wo derzeit eine Siedlung gebaut wird, planten die Eigentümer offenbar eine noch deutlich grössere Parkanlage. Gemäss Gutachten wurde diese jedoch nie umgesetzt.
Röösli dazu: «Der Waldpark bei der Pension Schönwart scheint relativ gut erhalten zu sein. Wollen die Eigentümer diesen wieder instand setzen, müssten sie seine Nutzung prüfen, weil das Grundstück dem Waldgesetz untersteht.»
Vielleicht wird die Schönwart aus dem Dornröschenschlaf geholt
Mit der Hausanalyse der alten Pension Schönwart in Unterägeri beauftragte die kantonale Denkmalpflege Röösli Architekten im Jahr 2019, um zu prüfen, ob eine Unterschutzstellung einen gangbaren Weg darstellt. Dies im Zuge der Neuüberbauung Schönwart, etwas oberhalb des historischen Gebäudes.
Das Resultat der Hausanalyse bleibt der Öffentlichkeit zwar vorenthalten, Patrick Röösli sagt dazu jedoch: «Wir zeigen darin auf, welche Vorteile und Potenziale in einer Sanierung respektive Unterschutzstellung bringen könnte.»
Der Augenschein vor Ort zeigt zwar im Moment noch keine Anzeichen davon, dass die frühere Pension in naher Zukunft saniert wird. Ausgeschlossen ist das jedoch nicht. Gemäss Auskunft der heutigen Eigentümer laufen derzeit Vorabklärungen mit einem Architekturbüro, um eine mögliche Revitalisierung der Liegenschaft zu prüfen. Dabei würden auch die Ergebnisse der aktuellen Ortsplanung und neuen Bauordnung 2024 in das Projekt einfliessen, heisst es auf Anfrage.
Journalistin und langjährige Autorin bei zentralplus. Schreibt über politische Querelen, aufregende Bauprojekte und gesellschaftlich Bewegendes. Am liebsten jedoch schreibt sie über Menschen. Und natürlich Hunde.