Facebook-Gruppe vor wichtiger Grenze

Immer mehr Zuger helfen Zugern – zumindest virtuell

Sie ist das Zugpferd hinter der Facebook-Gruppe «Zuger helfen Zugern»: Rosa Kolm (Bild: wia)

Vor rund zwei Jahren wurde die Facebook-Gruppe «Zuger helfen Zugern» gegründet. Die Gruppe floriert, die 5000-Mitglieder-Marke ist in Reichweite. Das hat allerdings unerwartete Folgen für die Gründerin. Nicht nur positive.

Rosa Kolm hat ihr mobiles Ladegerät zum Treffen mit zentral+ mitgebracht. «Ich hatte keinen Akku mehr», erklärt sie. Und das liegt nicht drin. Sie ist das Zugpferd der Facebook-Gruppe «Zuger helfen Zugern» und will daher ständig erreichbar sein. Die Gruppe, die vor zwei Jahren gegründet wurde, ist gewachsen. Und zwar massiv. Vor einem knappen Jahr waren es noch 2’500 Mitglieder, bald sind es 5’000.

Allein ist Kolm jedoch nicht mit der Organisation rund um die Seite. Carmen Aeschbach Hassan und Melissa Sommerhalder greifen ihr unter die Arme, schalten Beiträge frei, beantworten Fragen und schlichten auch mal Konflikte unter den Teilnehmern. Das alles passiert neben den regulären Arbeitszeiten der Administratorinnen.

Marktplatz, Treffpunkt und Sozialhilfe in einem

Zug ist mit seiner Gruppe ein Sonderfall. Durchaus gibt es andernorts Verkaufs- und Verschenkkreise, diese sind in ihrem Zweck aber deutlich beschränkter. Der Kanton Glarus hat es den Zugern zwar gleichgetan und eine «Glarner helfen Glarnern»-Gruppe eröffnet, dort geht es jedoch deutlich gemächlicher zu und her. «Zuger helfen Zugern» scheint in seiner Region einen Nerv zu treffen. Täglich flattern Dutzende Anfragen und Angebote rein. Kunstrasen zu verschenken, geduldiger Fahrlehrer gesucht, ein Kilo Katzenstreu zu vergeben. Ein zweites Amtsblatt also? Gewissermassen. Ausser, dass hier sehr schnell und direkt interagiert werden kann.

«Hier sind alle Schichten vertreten, von mausarm bis wohlhabend.»

Rosa Kolm, Gründerin von «Zuger helfen Zugern»

Ausserdem scheint die Plattform für einige Mitglieder zu einem vertrauten Mikrokosmos geworden zu sein. «Wahrscheinlich vermittelt diese Gruppe eine Art Gemeinschaftsgefühl. Sie scheint zum virtuellen Treffpunkt geworden zu sein, denn für einige Mitglieder ist es wohl nicht immer möglich, ihre Kollegen in der Beiz zu treffen», bestätigt Aeschbach Hassan. Und Kolm ergänzt: «Hier sind alle Schichten vertreten, von mausarm bis wohlhabend. Dennoch sind es Gleichgesinnte. – Und das ist schliesslich auch der Grundgedanke dieser Gruppe: dass sich Gleichgesinnte hier finden.»

Und auch in einem weiteren Punkt unterscheidet sich die Facebook-Gruppe vom gewöhnlichen Internet-Marktplatz. Denn zwischen den Posts zu ungebrauchten Lattenrosten und gesuchten Babykleidern finden sich immer wieder auch Anfragen, bei denen es ums Eingemachte geht.

«Gerade erst wandte sich ein Familienvater an uns, der kürzlich seinen Job verloren hatte. Er hat nach Lebensmittelgutscheinen gefragt. Häufig sind auch alleinerziehende Mütter von akuter Armut betroffen und kommen mit Anfragen zu uns», sagt Kolm.

Das Angebot ist viel kleiner als die Nachfrage

Ist das denn nötig in Zug? Normalerweise funktioniere das Sozialsystem in Zug gut, erklären die Betreiberinnen der Plattform. «Doch manchmal braucht es dann nur eine Störung, um das Gleichgewicht der Finanzen durcheinanderzubringen, und schon steckt man in einer Abwärtsspirale.» Diese wiederum in eine Aufwärtsspirale zu verwandeln, sei schwierig, so Kolm. Sie sei alleinerziehende Mutter und kenne diese Probleme.

Seit einem Dreivierteljahr arbeitet «Zuger helfen Zugern» mit Coop zusammen, von dem die Gruppe abgelaufene Lebensmittel erhält (zentral+ berichtete). Ausserdem gibt es ab und zu Menschen, die Lebensmittelgutscheine verschenken. Der Bedarf werde jedoch lange nicht gedeckt. «Ich habe derzeit gar keine Gutscheine mehr zur Verfügung», erklärt Kolm. Aeschbach Hassan ergänzt: «Wir versuchen, jedem, der es benötigt, zumindest einmal im Jahr eine Spende zukommen zu lassen. Eine monatliche Spende wäre unmöglich.» Und nützt es tatsächlich auch etwas, wenn jemand einmal jährlich ein Paket mit Lebensmitteln erhält?

«Wir können den Leuten das Gefühl geben, nicht ganz allein zu sein.»

Carmen Aeschbach Hassan, Administratorin bei «Zuger helfen Zugern»

«Vielleicht können wir dazu beitragen, dass die Abwärtsspirale abgebremst wird», sagt Aeschbach Hassan dazu. «Aber noch mehr können wir den Leuten das Gefühl geben, nicht ganz allein zu sein.» Kolm ergänzt: «Zudem gibt es unter den Nutzern Bekanntschaften, die sich entwickeln und in denen man sich gegenseitig hilft, auch abseits der Gruppe.»

Hier muss sich niemand rechtfertigen

Und bei wem meldet sich jemand, der schlichtweg nicht über die Runden kommt, auch wenn er bereits Sozialgelder erhält? «Es gibt da verschiedene Institutionen, die helfen können. An die Kirche etwa kann man sich immer wenden. Oder aber an die Frauenzentrale, die einem etwa mit dem Budget oder einer Rechtsberatung helfen kann. Oder aber, man geht auf das Sozialamt zu.»

Der Nachteil solcher Anlaufstellen liege darin, dass weniger schnell reagiert werden könne als bei der Facebook-Gruppe. «Ausserdem muss man sich bei solchen Ämtern jeweils rechtfertigen. Das ist bei uns nicht der Fall», sagt Kolm.

«Wir urteilen zwar nicht, gleichzeitig sind wir aber nicht vollkommen blauäugig.»

Carmen Aeschbach Hassan

Verleitet das nicht etwas gar zum Missbrauch? «Mir ist nur ein Fall bekannt, in dem die erhaltenen Secondhand-Kleider später weiterverkauft wurden», erklärt Aeschbach Hassan. Und ergänzt: «Ansonsten ist diese Frage schwer zu beantworten. Wir urteilen zwar nicht, gleichzeitig sind wir aber nicht vollkommen blauäugig.»

Die Facebook-Gruppe «Zuger helfen Zugern» hat zwar fast 5’000 Mitglieder, ist aber rechtlich formlos. Ist die Umwandlung in einen Verein ein Thema? «Das wäre insofern von Vorteil, als dass dadurch die Mitglieder ihre Spenden von den Steuern abziehen könnten. Für uns wäre das zwar ein Mehraufwand, aber nicht undenkbar», erklärt Aeschbach Hassan.

Die Krux der 5000-Nutzer-Schwelle

Wenn man mit den Administratorinnen spricht, erhält man den Eindruck, dass sich diese gar nicht unbedingt wünschen, dass «Zuger helfen Zugern» grösser wird. «Das stimmt», bestätigt Kolm. «Natürlich möchten wir möglichst viele Leute erreichen. Aber wie wir erfahren haben, werden ab 5’000 Mitgliedern gewisse Möglichkeiten der Gruppe eingeschränkt. Aber im Notfall haben wir ja immer noch unsere Webseite.»

Aeschbach Hassan und Kolm scheint «Zuger helfen Zugern» sehr am Herzen zu liegen. Kann man da überhaupt noch abschalten und sich eine Facebook-Auszeit gönnen? «Anfangs war das schwierig, mittlerweile gelingt mir das aber recht gut. Nicht zuletzt, weil wir ja zu dritt sind», sagt Aeschbach Hassan.

Weniger Aufwand durch Autorisierung

Ausserdem habe der Aufwand, trotz steigender Nutzerzahl, deutlich abgenommen. Dies ganz einfach darum, da Beiträge seit einiger Zeit nicht mehr unkontrolliert auf der Seite gepostet werden können, sondern immer über einen Administrator freigeschaltet werden müssen.

«Wir möchten niemanden öffentlich angreifen. Wenn wir jemandem die Leviten lesen müssen, dann privat.»

Carmen Aeschbach Hassan

«Vorher gab es immer wieder Leute, die Unpassendes aufschalteten. Und dies führte häufig zu Diskussionen unter den Nutzern, welche wir schlichten mussten», so Aeschbach Hassan. Noch immer gebe es hin und wieder Streitgespräche. «Und da versuchen wir jeweils, so diplomatisch zu sein wie möglich», erklärt Kolm. «Wir möchten niemanden öffentlich angreifen. Wenn wir jemandem die Leviten lesen müssen, dann privat.» Man habe auch schon Mitglieder rausgeworfen.

Diese Konflikte sind für die Administratorinnen anstrengend. Dennoch hat die Gründerin Rosa Kolm Mühe damit, sich einfach mal aus dem Geschehen auszuklinken: «Mir fällt es wirklich schwer, Pause zu machen. Ich überlege mir manchmal, einen Schritt zurück zu machen. Aber jetzt kommt erst noch die Tombola, die wir an der ‹Gluscht›-Messe im Mai machen und für die ich noch Preise organisieren muss. Danach schaue ich weiter.»

 

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