Pioniersiedlung «Teiggi» wird bevölkert

Im Zentrum von Kriens beginnt ein grosses Wohnexperiment

Aramea Müller wollte nie in Kriens wohnen, wegen der Teiggi ist sie mit ihrer Familie hergezogen.

(Bild: jwy)

Nach zwei Jahren Bauzeit zieht Leben in die Teiggi ein. Die Genossenschaftsüberbauung im Zentrum von Kriens macht vor, wie sich Wohnen und Arbeiten vermischen. Wir haben Mieter getroffen und in Ateliers geguckt. Und sind dabei auf Jokerzimmer und Quereinsteiger gestossen.

Gärtner graben Pflanzen in den Boden, eine Bewohnerin trägt einen Zuber in den Waschsalon, Knirpse drücken ihre Nasen an die Scheibe der Kita. Die Krienser Wohnsiedlung «Teiggi» erwacht nach zwei Jahren Bauzeit zum Leben.

Etliche Balkone sind schon möbliert, Velos stehen im Innenhof herum und in den Gewerbelokalen herrscht emsiges Treiben. Nur dass noch Autos und Lieferwagen im Innenhof stehen, passt nicht so recht zur autoarmen Siedlung.

Die Überbauung in der ehemaligen Teigwarenfabrik wurde von der Luzerner Baugenossenschaft Wohnwerk realisiert – 90 Wohnungen und 25 Ateliers sind bezugsbereit oder bereits in Beschlag genommen. Die geschützten Altbauten wurden saniert und umgebaut, der Rest neu gebaut. Sichtbeton, Stahlträger, altes Mauerwerk, Industrieparkett – die Vergangenheit wird hier nicht versteckt. Die Gewerbezonen sind restlos vergeben, ein paar freie Wohnungen und Wohnateliers sind noch zu haben.

Von der Gross-WG bis zur Singlewohnung

Gross-WGs, Familien oder 1,5-Zimmer-Wohnungen: Die verschiedensten Wohnformen findet man hier Tür an Tür. Dazu gibt es Jokerzimmer, die man nach Bedarf dazumieten kann, oder eine separate Gästewohnung. Es wird sich noch weisen müssen, wie sich das in der Realität einpendelt.

Wer hier wohnt, schätzt die nahe Nachbarschaft, das unkomplizierte Aufeinandertreffen und den Gemeinschaftsgedanken. Man trifft sich in den Waschsalons, in der eigenen Kita, im grosszügigen Gemeinschaftsraum oder auf der riesigen Dachterrasse, die noch kahl ist. Ebenfalls auf dem Dach wird Strom für die eigene Energiegenossenschaft produziert und verkauft.

Nach zwei Jahren Bauzeit ist die Teiggi-Überbauung fertig, Leben zieht ein.

Nach zwei Jahren Bauzeit ist die Teiggi-Überbauung fertig, Leben zieht ein.

(Bild: zvg)

Wohnen wie Ferien

Vor eineinhalb Wochen ist Aramea Müller mit ihrer Familie in eine 5,5-Zimmer-Wohnung gezogen. Ihre Buben Julius und Joschka sind gerade am Mittagessen, die Wohnung wirkt schon sehr belebt. Die 36-jährige Luzernerin konnte sich nie vorstellen, nach Kriens zu ziehen – erst mit der Teiggi hat sich das geändert. «Nun sind wir hier gelandet und fühlen uns schon pudelwohl», sagt sie. Das Wohnen hier sei wie Ferien, die Türen stünden meist offen und das Zusammenleben sei unkompliziert.

Klar, die Privatsphäre ist bescheiden und es ist immer was los: Die Balkone und der Laubengang vor der Haustür sind nicht abgetrennt zu den Nachbarn. «Wir könnten es uns in einem Einfamilienhaus mit eigenem Garten nicht vorstellen», sagt Aramea Müller. Und natürlich brauche jede mal ihre Ruhe. «Dafür werden wir mit den Nachbarn noch eine Form finden», sagt sie entspannt.

Hier wohnen «viele»

Anklopfen ein Haus weiter bei Romina Demarmels. Sie ist vor drei Wochen in eine von zwei Gross-WGs in der Überbauung gezogen. Auf dem Klingelschild steht: «Viele». Die Studentin ist aus Zürich hergezogen und zeigt spontan ihr neues Zuhause. Der Gemeinschaftsgedanke und der familiäre Charakter der Siedlung hätten sie hergezogen: «Man trifft sich hier, der Umgang ist sehr freundlich», sagt sie. «Aber das muss sich natürlich noch etablieren.» Zudem schätzt sie die Nähe zur Stadt und zum Sonnenberg.

Die WG, in der bald acht Personen wohnen sollen, ist privilegiert: Von der Wohnung führt eine Tür direkt auf die riesige Dachterrasse, die gemeinsam genutzt wird und einen Blick auf den Innenhof und die Umgebung bietet.

Romina Demarmels ist in der Teiggi in eine von zwei WGs gezogen.

Romina Demarmels ist in der Teiggi in eine von zwei WGs gezogen.

(Bild: jwy)

Bier, Seifen und Cargo-Velos

Den Bewohnern in der «Teiggi» steht auch eine Siedlungswerkstatt offen. Interessant sind die Wohnateliers mit zwei grossen Zimmern auf zwei Etagen. Darin kann man einfach «nur» wohnen, aber wenn man will, auch werken, malen oder den Parterreraum für ein Geschäft nutzen – je nach Idee und Bedarf.

Aus einem grossen Gewerberaum duftet es nach frisch gebrautem Bier, der Braumeister der neuen Krienser Brauwerkstatt befüllt gerade riesige Tanks (zentralplus berichtete). Hier wird ab September jeweils am Mittwoch- und Freitagabend frisches Bier gezapft, ein weiterer Treffpunkt für die Siedlung.

Die Vielfalt ist gross: In anderen Lokalen werden Cargo-Bikes und Rikschas zusammengeschraubt, es gibt ein Seifenatelier, einen Coiffeursalon oder eine Keramikwerkstatt.

Traum verwirklichen

Petra Gerharz-Bezely schraubt einen Werkzeugkasten zusammen, in ihrem Lokal stapeln sich noch Möbel, Sessel und Sofas. Sie eröffnet hier eine Polsterei und macht ihr langjähriges Hobby zum Beruf. Sowieso scheint die industrielle Vergangenheit die Leute zu motivieren, ihren Traum zu erfüllen.

So auch Thomas Conzett: Der 46-Jährige arbeitet Teilzeit als Hausarzt und erfüllt sich hier seinen Traum einer Buchhandlung mit integriertem Café – kurz «Buk». «Bücher sind meine Leidenschaft, hier habe ich einen Weg gefunden, um dies auszuleben», sagt er. Der Quereinsteiger erhält Unterstützung von zwei Buchhändlerinnen, Mitte September eröffnet das noch leere Lokal, es lässt sich im Moment erst erahnen, wo die Bar zu stehen kommt.

Petra Gerharz-Bezely eröffnet eine Polsterei in der Teiggi.

Petra Gerharz-Bezely eröffnet eine Polsterei in der Teiggi.

(Bild: jwy)

Vis-a-vis des Cafés, beim Eingang in die Siedlung, geht im September auch die Pizzeria da Marcello wieder auf, der Ruf der besten Pizza der Region eilt ihr voraus, nachzulesen etwa auf Tripadvisor. Neu ist neben dem Namensgeber auch der Luzerner Manuel Kaufmann eingestiegen. Man kennt ihn als Wirt im Restaurant «Drei Könige», im «Parterre» und in der Sommerbeiz «Nordpol».

Eröffnungsfest

Am Samstag, 22. September, eröffnet die Überbauung mit einem Fest. Ab dem Mittag kann man in die verschiedenen Betriebe und Ateliers blicken. Am gleichen Tag eröffnet im Zentrum Kriens auch das Schappe Süd, das neue Zentrum für Jugend und Kultur.

Zwischen Bücher-Kafi und künftiger Pizzeria klafft noch ein Loch im Boden. Hier wird bald eine riesige Linde hineingepflanzt, die den Eingang in diese wirblige Wohnsiedlung markiert.

Kriens erhält sein «Herz» zurück

Mit der Teiggi sei ein Ort entstanden, wo die Bewohner sehr viele Möglichkeiten hätten, um sich zu verwirklichen. Davon ist Harry van der Meijs überzeugt, Präsident der Wohnbaugenossenschaft Wohnwerk. Die «Teiggi» sei schweizweit ein Begriff und mit der Überbauung sei man Teil des Zukunftsprojekts von Kriens. «Kriens ist eine sehr attraktive Wohngemeinde, aber das Herz war herausgeschnitten», so der Architekt.

Das ändert sich nun: Die Teiggi bildet einen Teil des neuen Krienser Zentrums – genannt «Zukunft Kriens». Zusammen mit dem Lindenpark daneben, an dem noch gebaut wird, dem neuen Jugend- und Kulturzentrum Schappe Süd sowie dem neuen Gemeindezentrum in der Nähe bleibt im Zentrum kein Stein auf dem anderen.

Weitere Bilder der Teiggi in der Galerie:

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Erwin Lussi
    Erwin Lussi, 24.08.2018, 13:30 Uhr

    Wo Abgrenzung und Privatsphäre fehlt – ist trotz guter Vorsätze – Zoff vorprogrammiert.

    Die Kargheit der ganzen Anlage, die Baustellenoptik, und der wilde Individualismus sind eine gewisse Zeit erträglich, nach der ersten Euphorie werden viele Mieter die Anlage wohl fluchtartig wieder verlassen, ständig neue Mieter sind dem angepeilten Gemeinschaftserlebnis aber nicht unbedingt zuträglich.

    In den Wohnateliers – in ödem Sichtbeton gehalten – lebt es sich wohl wie im Keller. Bin gespannt wie diese kahle und kalte Atmosphäre bei Problemen auszuhalten ist.

    Es bleibt abzuwarten wie andere Krienser auf diese neue Wohnform in Kriens reagieren, wenn alle Mieter eingezogen sind und ihrem Individualismus freien Lauf lassen.
    Das Ganze sieht für mich jetzt schon aus wie ein Durchgangsheim für …… . Sorry !

    Sollte die Wohnform an der Wohnbarkeit scheitern, kann man das Ganze ja mit viel Geld anpassen !

    Als das Herz von Kriens, wie der Präsident der Wohnbaugenossenschaft Wohnwerk meint, sehe ich die Teiggi nicht, da hat Kriens mehrfach heimeligere und wärmere Plätze zu bieten.

    Die obige Einschätzung ist natürlich meine ganz private Meinung. Sollten die zukünftigen Erfahrungen meine Vorbehalte und Befürchtungen widerlegen, freut es mich natürlich für Kriens.

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