Coronavirus und Chinesen-Image

«Ich verstehe, dass man Reisegruppen aus China nicht bedient»

Sie sind schon heute immer seltener in Luzenr zu sehen: Pauschaltouristen am Schwanenplatz. (Bild: Archiv)

Das Coronavirus macht krank und tötet, lässt Börsenkurse purzeln und die Anzahl Medienerzeugnisse in die Höhe schnellen. Vor allem aber lässt es auch Chinesen in einem anderen Licht erscheinen. Eine Betroffene aus Luzern berichtet.

Auch wenn die Ansteckungsgefahr in der Schweiz minim ist, kann man ihm derzeit nicht enfliehen: dem Coronavirus. Ob in den Medien, im Café um die Ecke oder im Bus: Überall werden der Erreger und seine potentiell verheerenden Auswirkungen diskutiert.

Nicht entgangen ist das Yu Yu Pichler-Wang. Wang ist gebürtige Chinesin, lebt mit ihrem Mann und drei Kindern in Adligenswil und präsidiert den Schweizerisch-Chinesischen Interkulturverein Luzern, der um einen «Brückenschlag» zwischen den zwei Kulturen bemüht ist. Ein Gespräch über Restaurantverbote, Atemmasken und Massentourismus.

zentralplus: Chinesen sind derzeit in den Augen vieler vor allem eines: potentielle Träger des Coronavirus und deshalb eine Gefahr. Ein Luzerner Restaurant etwa will keine chinesischen Reisegruppen mehr bewirten (zentralplus berichtete) aus Angst vor einer Ansteckung. Was halten Sie davon?  

Yu Yu Pichler-Wang: Das Coronavirus ist auch in chinesischen Kreisen ein grosses Thema. Unter Touristen ebenso wie unter jenen, die hier in der Region arbeiten und leben. Es herrscht eine grosse Ungewissheit. Viele haben Respekt, ja gar Angst. Nur logisch, dass Menschen unterschiedlich darauf reagieren. Die einen gehen rationaler mit dem Thema um, während andere viel eher der Panik verfallen, extrem vorsichtig werden – und in der Folge etwa chinesische Reisegruppen grundsätzlich meiden. Ich kann beide Gruppen verstehen.

zentralplus: Sie finden es also ganz normal, wenn chinesische Touristen unter Generalverdacht gestellt werden und präventiv von gewissen Dienstleistungen ausgeschlossen werden?  

Pichler-Wang: Ich fände es unangemessen, wenn generell Aisaten oder Chinesen nicht mehr bedient würden. Wenn man aber freundlich erklärt, warum man insbesondere chinesische Reisegruppen nicht bedienen will, dann kann ich das unter den gegebenen, sehr aussergewöhnlichen Umständen verstehen. Übrigens reagieren auch nicht alle Betroffenen gleich, weder in China selber noch als Touristen im Ausland. Während die einen womöglich leichtsinnig auf Atemmasken und andere Vorsichtsmassnahmen verzichten, übernehmen andere sehr wohl Verantwortung, versuchen sich und vor allem die anderen zu schützen – so gut wie möglich. 

zentralplus: Sie betonen den freundlichen Umgang. Ist ihnen auch schon zu Ohren gekommen, dass dieser hier in Luzern jüngst auf der Strecke blieb? Dass chinesische Gäste etwa abweisend behandelt worden wären, womöglich gar schikaniert und diskriminiert?  

«Ich bin erstaunt, wie gelassen die Schweizer in meinem Umfeld reagieren.»

Yu Yu Pichler-Wang, Präsidentin des Schweizerisch-Chinesischen Interkulturvereins Luzern

Pichler-Wang: Nein. Ich kenne viele, die in Luzern mit chinesischen Touristen zu tun haben. Entweder, weil sie in beliebten Geschäften arbeiten oder Führungen anbieten. Dass chinesische Gäste in Luzern unrühmlich behandelt worden wären, davon habe nichts gehört – bis jetzt.

zentralplus: Gilt das für alle Chinesen hier in der Region Luzern?

Pichler-Wang: Welche Erfahrung jeder einzelne macht, weiss ich nicht. Ich auf jeden Fall bin erstaunt, wie gelassen Schweizer in meinem Umfeld reagieren. Ich habe keinerlei negative Erfahrungen gemacht. Auch die Berichterstattung ist hier in der Schweiz sehr unaufgeregt, nüchtern und sachlich. Wer sich hingegen vor allem im chinesischen Internet informiert, kann Angst bekommen. Dabei muss man sich vergewissern, dass die Situation in der Schweiz glücklicherweise eine ganz andere ist als in China. Entsprechend haben die Schweizer Behörden auch noch keine speziellen Massnahmen verhängt.

Yu Yu Pichler-Wang: Vermittelt zwischen chinesischer und Schweizer Kultur. (Bild: zvg)

zentralplus: Vorsicht ist aber trotzdem geboten...  

Pichler-Wang: Auf jeden Fall. Deswegen haben wir auch jene Leute, die eben erst aus China zurückgekommen sind, gebeten, nicht an der diesjährigen Neujahrsfeier teilzunehmen. Das gleiche galt für all jene, die sich krank fühlten. Dass nun auch Flugverbindungen nach China eingestellt werden, begrüsse ich auch. Die Chance, dass es im geschlossenen Raum eines Flugzeugs zu Ansteckungen kommt, ist einfach zu gross, so habe ich es den Medien entnommen. Ich verlasse mich da, neben meinem Hausverstand, auch auf die Gesundheitsbehörde.  

«Man soll sich auf die Behandlung der Krankheit und nicht auf Rassen und Nationen konzentrieren.»

Yu Yu Pichler-Wang

zentralplus: Noch wird in Luzern freundlich mit Gästen aus China umgegangen. Was glauben Sie, könnte die Stimmung schon bald kippen. Vor allem, wenn sich der Virus noch stärker ausbreitet?  

Pichler-Wang: Diese Frage zu beantworten, ist schwierig. Vieles ist zur Zeit unklar. Wie wird sich  die Situation entwickeln? Das weiss niemand mit Sicherheit. Ganz generell finde ich aber, dass man jetzt nicht pauschal auf eine einzelne Nation und seine Bürger losgehen darf. Vielmehr gilt es nun, mit vereinten, internationalen Kräften gegen den tückischen Erreger vorzugehen. Dabei muss China zwingend die Weltgemeinschaft möglichst transparent informieren. Gleichzeitig sollten sich die übrigen Staaten aber hüten, China nur zu kritisieren und mit Vorwürfen einzudecken. Es braucht die Zusammenarbeit. Man soll sich auf die Behandlung der Krankheit und nicht auf Rassen und Nationen konzentrieren.

«Auf die lange Sicht nutzt der Massentourismus weder den chinesischen Touristen noch dem Luzerner Volk.»

Yu Yu Pichler-Wang

zentralplus: Für viele Luzerner sind chinesische Touristen in erster Linie eine weitgehend gesichtslose Masse, die in zig Busladungen nach Luzern gekarrt wird, wo sie in wenigen Stunden Speicherkarten mit Fotos von Kappellbrücke, Pilatus und allenfalls Löwendenkmal vollknippst und sich mit teuren Uhren eindeckt. Macht das ein allfälliges pauschales Ächten nicht erheblich einfacher?   

Pichler-Wang: Das kann schon sein. Tatsächlich kann ich verstehen, warum Luzerner ein wenig schmeichelhaftes Bild von den Chinesen entwickelt haben - auch wenn mich das persönlich stört. Denn chinesischer Massentourismus ist in Luzern längst eine Tatsache. Dass es soweit gekommen ist, liegt aber nicht nur an den chinesischen Touristen, sondern auch an den Schweizer und asiatischen Touristikern. Sie haben diese spezielle Form des Tourismus entwickelt und gezielt mit grossen Werbeaktionen angepriesen. Das sichert wenigen zwar viel Geld, ist aber nicht nachhaltig. Auf die lange Sicht nutzt diese Art des Tourismus weder den Chinesen, die oft viel Geld für die einzige Reise ihres Lebens ausgeben, noch dem Luzerner Volk.

zentralplus: Was braucht es denn anstelle des oberflächlichen Massentourismus?

Pichler-Wang: Es braucht ein Umdenken. Wenn die Schweiz bereisen, dann lieber länger. Und falls das nicht möglich ist, immerhin mit einem weniger durchgetakteten Programm. So bleibt erstens der Genuss nicht auf der Strecke und man erlebt das Reiseland erst noch authentischer und intensiver.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Kühne Verena
    Kühne Verena, 02.02.2020, 19:04 Uhr

    Liebe YuYu
    Da hast du einen ausserordentlichen Beitrag zum interkulturellen Verständnis geleistet. So gut wie eine gelebte Ökumene. L.G Vreni

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