So haben Luzerner Mütter den Lockdown erlebt

«Ich muss am Ende nicht die Krone als Supermum bekommen»

(Symbolbild: Kyle Nieber/unsplash)

«Wie ein behördlich verordneter Mutterschaftsurlaub» sei es gewesen, sagt Juristin Mascha Santschi. Der zweimonatige Lockdown zwang Familien, ihre Kinder selbst zu betreuen. Drei bekannte Luzernerinnen erzählen, wie sie Kinderbetreuung, Homeoffice und Freizeit unter einen Hut brachten.

Immer wieder mal herrschte das «pure Chaos». In Zeiten von Homeoffice und Kinderbetreuung zu Hause waren Eltern besonders gefordert. Die drei Luzernerinnen – Rechtsanwältin Mascha Santschi, die Redaktionsleiterin des «Kulturmagazins 041» Anna Chudozilov und Grüne-Kantonsrätin Noëlle Bucher – erzählen, wie es bei ihnen zu Hause drunter und drüber ging.

Juristin Mascha Santschi führte schon beinahe eine Agenda für ihr Handy

«Die letzten Monate haben die Mütter ganz besonders gefordert – und das mit einer Selbstverständlichkeit, dass ich die Gleichstellungsexpertinnen gut verstehe. Eigentlich war das faktisch eine Art behördlich verordneter «Mutterschaftsurlaub». Obwohl das Wort «Urlaub» in diesem Zusammenhang, so wie nach der Geburt, schlicht irreführend ist.

Plötzlich musste ich mich neben meinem Job als Rechtsanwältin und Präsidentin der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) auch um den Fernunterricht meiner beiden Kinder kümmern.

Ich war sehr froh, dass der Kanton Luzern im Gegensatz etwa zu Zürich und Bern pragmatischer vorgegangen ist: durchgehend offene Krippen, keine Halbklassen. Teilweise haben wir unsere Kinder – sechs- und acht-jährig – deshalb noch in die Krippe gegeben.

«Ich führte schon fast eine Agenda für mein Handy.»

In den letzten Wochen prasselte extrem viel und völlig unkoordiniert auf mich ein. WhatsApp-Nachrichten. Mails. Telefonanrufe. Post im Briefkasten. Alles zu planen, war eine der grössten Herausforderungen. Also bis wann welche Hausaufgaben der Kinder erledigt werden mussten oder wann welche Lehrperson mit welcher Tochter sprechen wollte. Und: Wann kann ich mein Telefon überhaupt selber noch benutzen, denn auch der Klavier- und Flötenunterricht der Mädchen lief dreimal in der Woche über FaceTime ab. Ich führte schon fast eine Agenda für mein Handy.

Lese-, Schreib- und Matheaufgaben zu lösen – das war das eine. Hinzu kamen aber noch Aufträge wie das Erfinden einer Hip-Hop-Choreografie, das Herstellen von Videos für den Instrumentenparcours der Musikschule oder das Basteln von Stiftehaltern aus WC-Papierrollen. Für letzteres fehlten mir schlicht Zeit und Nerven.

Ab und zu wunderte ich mich, wie das andere Mütter schaffen. Ich spürte Druck, gerade wenn mich dann eines der Kinder fragte, wieso ich mit ihm nicht einen Tanz eingeübt habe wie das Mami seiner Freundin. Ich schraubte also meine eigenen Ansprüche herunter, bündelte meine Kräfte – und wollte nicht 24/7 Stunden arbeiten. Ich muss am Ende des Lockdowns nicht zur Supermum erkoren werden. Und ich kann neben meinem eigenen Beruf nicht noch die Jobs von fünf verschiedenen Lehrpersonen übernehmen.

Teilweise hatte ich das Gefühl, nur noch in der Küche zu stehen. Zmittag, Znacht zu kochen. Damit ich daheim konzentriert juristisch arbeiten konnte, habe ich meine Kinder teilweise bei der Kita abgegeben. Dafür musste ich mich oft rechtfertigten. Aussagen fielen wie: «Was, wie kannst du jetzt noch arbeiten und deine Arbeit über die Gesundheit deiner Kinder stellen?» Ich habe mir die Freiheit genommen. Weil ich meinen Job liebe. Und weil ich die Kinder, denen die Sozialkontakte zu Gleichaltrigen fehlten, dort gut aufgehoben wusste. Ich habe mich bewusst entschieden, dass ich nicht Vollzeit-Mami und -Hausfrau sein möchte. Ich bin zufriedener und ausgeglichener, wenn ich auf meinem erlernten Beruf arbeiten kann.

«Das Einkommen der Frau wird ja schliesslich nur als Supplement zum Einkommen des Mannes betrachtet.»

Allgemein merke ich, dass sich viele Mütter mit jüngeren Kindern, die einem Pensum von mehr als 50 Prozent nachgehen, oftmals rechtfertigen müssen. Aus meinem Umfeld habe ich von einigen Frauen gehört, dass sie es waren, die ihr Pensum zu Zeiten von Corona reduziert haben. Als ob es selbstverständlich wäre. Selten wird gefragt, ob ein Mann sein Pensum reduziert. Das Einkommen der Frau wird ja schliesslich nur als Supplement zum Einkommen des Mannes betrachtet. Mein Mann hat mich glücklicherweise sehr unterstützt, kümmerte sich an den Wochenenden um die Kinder, sodass ich mal Zeit für mich hatte.

Der Fernunterricht mit meinen Kindern hat mir enorm Spass gemacht, trotz des chaotischen Drumherums. Mit dem Velo sind wir oft in den Meggerwald gefahren, haben gepicknickt und Hausaufgaben gelöst. Meine Eltern sagten mir früher immer, ich soll Lehrerin werden. Gerade deshalb wollte ich das natürlich nicht. Aber wer weiss, vielleicht werde ich das in einem nächsten Leben. Allerdings bestimmt nicht Bastellehrerin.»

Mascha Santschi, Rechtsanwältin, 39-jährig

Unternehmerin: Mascha Santschi an einer Tagung im KKL Luzern. (Bild: hae) (Bild: hae)

«Super anstrengend», sagt Anna Chudozilov

Mein Partner und ich haben beide in unserem normalen Pensum weitergearbeitet – er 80 Prozent, ich 60 Prozent – allerdings unregelmässig über den Monat verteilt. Die Kinder – drei und fünfjährig – hatten wir die ganze Zeit bei uns zu Hause. Zwei Monate lang.

Es war super anstrengend. Denn faktisch bedeutete dies: Wir haben teilweise rund um die Uhr gearbeitet. Jeden Tag, auch an den Wochenenden. Regelmässig nachts.

«Homeoffice und Kinderbetreuung zugleich versetzt Eltern in eine Dauerkrise.»

Homeoffice und Kinderbetreuung zugleich versetzt Eltern in eine Dauer-Krise. Wie wenn das Kind zwei Monate krank ist, man von zu Hause aus arbeiten muss, das Kind nicht zur Kita kann. Man alles alleine managen muss, ohne Hilfe von aussen. Nur dass das Kind nicht krank war, nicht im Bett lag, sondern unbedingt etwas erleben wollte. Und wir hatten zwei davon zu Hause.

Schnell haben mein Partner und ich damit begonnen, Pläne zu erstellen. Wer muss wann arbeiten, wer hat Sitzungen und Online-Meetings, bei denen Anwesenheit zwingend ist. Und wer braucht wann Ruhe. Ganz wichtig!

«Ob ich das Gefühl hatte, die Decke fällt mir auf den Kopf? Permanent!»

Zeit für mich fiel komplett weg, die Steuererklärung blieb links liegen. Teils ging es bei uns drunter und drüber. Die Wohnung war viel chaotischer als sonst. Die Kinder sind normalerweise etwa die Hälfte der Woche nicht zu Hause, sondern in Kita und Kindergarten. Jetzt waren sie sieben Tage die Woche zu Hause – und das hinterliess Spuren. Dazu kommt, dass wir jeden Tag einigermassen ausgewogene Mahlzeiten auf den Tisch stellen mussten.

Ob ich das Gefühl hatte, die Decke fällt mir auf den Kopf? Permanent! Wobei nein. Es war viel mehr so, dass ständig fünf Menschen gleichzeitig etwas von mir wollten. Fünf Menschen, die an mir zerrten. Das eine Kind will ein Buch anschauen, das andere will basteln, der Partner will in Ruhe seinen Bericht fertig schreiben, das Redaktionsteam die Sitzung von Montag auf Dienstag verschieben, die Freundin mit mir sprechen, weil sie einsam ist.

Normalerweise kann ich das gut trennen. Wenn ich auf der Redaktion bin, bin ich auf der Arbeit, zu Hause für die Kinder und den Partner da, abends kann ich mit meiner Freundin telefonieren. Jetzt war alles gleichzeitig. Und wenn ich am arbeiten war und ein Kind rein kam, konnte ich es ja nicht einfach wegschicken. Das wollte ich auch nicht.

Entspannter wurde die Situation erst, als es absehbar war, wie lange der Lockdown noch andauert.

«In einer privilegierten Situation», sagt Kantonsrätin Noëlle Bucher

«Wir hatten die privilegierte Situation, eine Tagesmutter zu haben, die sich weiterhin um unsere drei Kinder – drei-, fünf- und siebenjährig – kümmerte. Sie gehörte quasi zur Familie, hatte gegen aussen kaum Kontakte. Das haben wir so mit ihr vereinbart. Und das war unser grosses Glück. Dennoch war der Lockdown auch für uns ein einschneidendes Erlebnis. Meine Eltern und Schwiegereltern schauen normalerweise einen Tag pro Woche zu den Kindern. Meine Eltern sind immer dann zur Stelle, wenn wir zusätzlich jemanden brauchen zum Kinderhüten.

Mein Partner und ich haben uns diesen Tag aufgeteilt. Dafür haben wir abends, wenn die Kinder schliefen, oder an den Wochenenden mehr gearbeitet. Privates und Berufliches flossen ineinander. Auch an den Tagen, an denen ich eigentlich frei gehabt hätte, war ich erreichbar.

«Das mittlere Mädchen wollte Spätzli machen. Ein Riesen-Geköch, ein Riesen-Chaos.»

Immer wieder mal herrschte das pure Chaos. Die beiden älteren Mädchen mussten als Wochenaufgabe einmal ihr Lieblingsessen kochen. Die grösste wollte Kartoffelstock und hatte, nachdem sie eine Kartoffel geschält hatte, natürlich genug. Das mittlere Mädchen wollte Spätzli machen. Ein Riesen-Geköch, ein Riesen-Chaos.

Mein Partner und ich waren immer schon sehr gleichgestellt und das hat sich auch durch Corona nicht geändert. Wir wollten beide nicht in alte Rollenbilder zurückfallen. Dass ich nicht mehr arbeite und mich voll und ganz auf Kinder und Haushalt fokussiere: Das kam für uns nicht infrage.

Und etwas Positives nehme ich aus der Krise auch mit: Mir jeden Tag ein wenig Zeit für mich zu nehmen. Im Lockdown habe ich begonnen, mit meiner Nachbarin joggen zu gehen. Es hat mir extrem geholfen und gutgetan, mit jemandem über etwas anderes als Arbeit und Kinder zu reden.

In den letzten Wochen konnten wir die Kinder wieder zu ihren Grosseltern schicken. Nach dem Kindergarten sind sie selbständig zu ihnen. So haben auch die Kinder ein wenig Pause gehabt von uns, und das hat wohl auch ihnen ein wenig gut getan.»

Noëlle Bucher, Grüne-Kantonsrätin und Projektleiterin, 34-jährig

Grüne-Kantonsrätin Noëlle Bucher.
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