Es ist ein regnerischer Vormittag in der Stadt Zug. Geduckt eilen die Leute in die überdachte Halle des Metalli-Einkaufszentrums. Einige sprechen Englisch, einige Russisch, einige Hochdeutsch, einige Schweizerdeutsch. Zug, wie es leibt und lebt, eine Drehscheibe der Nationen.
Doch wie das Zusammenleben zwischen Zuzügern und Eingesessenen klappt, ist eine Blackbox. Nicht einmal die Anzahl an Expats in Zug – ausländische Fachkräfte, die hier für Firmen arbeiten und leben – ist bekannt (zentralplus berichtete).
Wir fragen also selbst nach bei jenen, die es wissen müssen, wie der Austausch mit den Schweizern so läuft.
Weiterlesen, sonst verpasst du:
warum Harriette ständig für einen Expat gehalten wird – als Coiffeurin
weshalb Paulas Kinder sie zum Zurückgehen animieren
wem Katja die Schuld gibt, dass viele Expats in Zug kein Deutsch sprechen
Harriette (50), seit 24 Jahren in Zug, ursprünglich aus Kenia
zentralplus: Sind Sie ein Expat?
Harriette: Nein, ich arbeite als Coiffeurin. Ich bin ein normaler Mensch mit einem sehr normalen Lohn. Meine Kunden hier in Zug kommen aber von überall: England, Amerika, Russland, Ukraine.
zentralplus: Wurden Sie in Zug herzlich willkommen geheissen?
Harriette: Nein, ich wurde nicht mit offenen Armen begrüsst. Die Leute hier sind ein wenig ruhig (lacht).
zentralplus: Und heute?
Harriette: In Zug gibt es mehr internationale Leute als Schweizer. So here is like international. Für mich ist das leicht. Ich rede zu 90 Prozent mit Leuten Englisch. Deswegen ist mein Deutsch auch bis heute schlecht.
zentralplus: Was halten Sie von Expats?
Harriette: Es ist schwierig, mit einem kleinen Einkommen eine Wohnung zu finden. Die Expats sind immer die Ersten in der Reihe, und wir, die kleinen Leute, sind immer die letzten. Ich suche selbst.
Paula (36), seit 11 Jahren in Zug, ursprünglich aus Polen*
zentralplus: Sind Sie ein Expat?
Paula: Vielleicht. Aber ich bin selbst gekommen und habe mir erst hier einen Job gesucht. Ich habe für Roche gearbeitet, da gibt es viele Expats. Und in dem Quartier in Rotkreuz, wo ich gelebt habe, gab es auch viele Expats.
zentralplus: Was halten Sie von Expats?
Paula: Die Expats kommen hierher wegen der Arbeit. Mit ganzen Containern, mit Schiffen und Flugzeugen, 1. Klasse, und die Familie kommt mit. Auch die Frau kann arbeiten, vielleicht in derselben Firma. Alles wird dann für diese Expats gezahlt, das ist schon bequem.
zentralplus: Wie funktioniert das Zusammenleben mit den Schweizern?
Paula: Ich kann sagen: Ich habe hier fast keine Freundin. Wenn, dann sind es Expats. Aber nicht Schweizerinnen.
zentralplus: Warum?
Paula: Ich habe mich sehr bemüht, Schweizer Mütter kennenzulernen, aber sie sind sehr verschlossen. Secondos, deren Eltern aus dem Ausland kommen, sind noch schwieriger. Sie wollen sich so stark integrieren, dass sie nichts mit Ausländern zu tun haben wollen. Das habe ich selbst erlebt.
zentralplus: Fühlen Sie sich im Alltag wohl?
Paula: Ja. Ich rede Schweizerdeutsch in den Geschäften. Es sind einige kurze Sätze beim Bestellen. Das wäre nicht nötig, das weiss ich, aber die Leute sind es gewohnt.
zentralplus: Wollen Sie in Zug bleiben?
Paula: Seit ich Kinder habe, denke ich darüber nach, zurückzugehen. Sie verstehen zwar Deutsch und Polnisch, sind aber auch sehr isoliert. Sie haben hier keine Cousinen oder Cousins. Mir gefällt auch das Schulsystem mit den ganzen Randzeiten nicht. Das ist schwer mit einem Job zu vereinbaren.
zentralplus: Aber?
Paula: Aber ich denke auch über die Einbürgerung nach. Ich kenne hier viele Leute und fühle mich wohl.
Katja (45), seit 5 Jahren in Zug, ursprünglich aus Deutschland
zentralplus: Sind Sie ein Expat?
Katja: Ich hatte nie das Gefühl. Ich bin zugereist und habe angefangen zu arbeiten. Ich wurde von Schweizern nie anders behandelt. Jetzt bin ich selbstständig, vorher war ich Gesundheitsökonomin in einem Pharmaunternehmen.
zentralplus: Für Pharma zu arbeiten, klingt total nach Expat.
Katja: Ja, das stimmt. In unserem Büro gab es auch nur zwei Schweizer. Von den 30 Leuten dort konnten sicher 20 kein Deutsch – und das teils nach 15 Jahren in Zug.
zentralplus: Wollten Ihre Kollegen kein Deutsch lernen?
Katja: Da kann ich nur spekulieren. Ich denke aber, dass die Schweizer gut Englisch können. Ausserdem erhalten die Expats von den Firmen viel Unterstützung, für sie wird alles organisiert. Daher müssen sie die Sprache nicht lernen.
zentralplus: Fühlt man sich nicht unwohl, wenn man die Zuger nicht versteht?
Katja: Viele Expats kommen nur für drei Jahre. Zug ist wie Urlaub für sie. Man weiss, dass man nur für eine befristete Zeit kommt. Man will sich nicht integrieren und muss es auch nicht. Es läuft auch so.
zentralplus: Und manchmal werden dann aus drei 15 Jahre.
Katja: So ist es. Dann wird es zur Persönlichkeitsfrage: Will ich mich vollständig integrieren? Dann muss ich die Sprache lernen. Für mich als Deutsche ist das natürlich in der deutschsprachigen Schweiz sehr einfach. Ich habe vorher aber auch in Schweden gelebt. Auch da habe ich die Sprache gelernt, zumindest ein wenig.
zentralplus: Woher kommen Ihre Freunde?
Katja: Mein Freundeskreis besteht überwiegend aus Schweizern. Aber das hat gedauert. Schweizer sind sehr freundlich, aber auch verschlossen. Wie die Schweden oder die Norddeutschen. Aber wen man hat, den hat man.
zentralplus hat mit weiteren Personen über Expats in Zug und ihren Blick auf das Zusammenleben von Schweizern und Zuzügern gesprochen. Die meisten finden, man komme gut miteinander aus. Was auffällt: Keine der englischsprachigen Personen, die zentralplus für diese Umfrage angesprochen hat, wollte auf die Fragen antworten. Meist eilten sie nur abwinkend vorbei.
hat Politikwissenschaften, Philosophie und Wirtschaft studiert und an der Universität Luzern zur Mobilität von Gesetzen geforscht. Seit 2022 bei zentralplus, zuständig für die Ressorts Bauen&Wohnen und Verkehr&Mobilität. Parallel absolviert er die «Diplomausbildung Journalismus» am MAZ Luzern.