Operation ganz ohne Betäubung durchgeführt

Hypnosespektakel aus Luzerner Spital

Die TV-Equipe war live dabei: Operation an der offenen Hand, der Patient liegt hinter dem blauen Tuch.

(Bild: zvg)

Der Luzerner Arzt Stefan Wohlgemuth operierte einen Patienten, der nicht narkotisiert war, sondern «nur» hypnotisiert. Allein das Zuschauen der dazu gedrehten Dok-Sendung tut physisch weh. Ist dieser seltene Eingriff mit Hypnose denn nicht nur Hokuspokus?

Das Hämmern und Meisseln ist laut, die Kamera hält drauf und Chirurg Stefan Wohlgemuth (56) entfährt ein leiser Fluch. Die Operation an der Hand ist doch keine einfache Sache, auch weil nicht Vorgesehenes sich ereignet: Die Schrauben sind in den Knochen eingewachsen. Und der Patient hinter der Sichtwand scheint doch etwas zu spüren, zumindest geht sein Puls schneller …

St.-Anna-Klinik Luzern, Handchirurgie, vor ein paar Wochen: Einem Handgelenk, das vor zwei Jahren gebrochen war, gilt es jetzt die Metallplatte rauszuoperieren. Eine ohne Anästhesie sehr seltene Operation, die auf Anregung eines Zuger Mentalcoaches zustande kam: Wie effektiv Hypnose gegen Schmerzen wirkt, hat Christian Schiermayer im Selbstversuch als Patient testen wollen.

Hypnosespektakel aus dem TV

Der Mentalcoach Schiermayer ist grosser Verfechter der oft belächelten Hypnose (siehe Box), deshalb wollte er seine Hand ohne Narkose – nur hypnotisiert – operieren lassen. Das SRF-Gesundheitsmagazin «Puls» hat ihn dabei begleitet, am Montag wurde der 40-minütige Film ausgestrahlt.

Wie ein Krimi ist die «Puls Special»-Sendung aufgebaut und spätestens in dem Moment des Hämmerns und Meisselns weiss der TV-Zuschauer: Das ist keine einfache Operation, und für den Fall, dass der Patient doch aus dem Hypnosezustand aufgewacht wäre, waren Schmerzmittel bei der Operation zur Hand. Wohlgemuth, lang gedienter Handchirurg der Orthopädischen Klinik Luzern im St. Anna, hat diesen Eingriff mit Hypnose bereits zum zweiten Mal hinter sich gebracht. Beide Male erfolgreich.

Zweimal erfolgreich mit Patienten unter Hypnose: CHandchirurg Stefan Wohlgemuth.

Zweimal erfolgreich mit Patienten unter Hypnose: Handchirurg Stefan Wohlgemuth.

(Bild: zvg)

Doch Wohlgemuths Team erwartet jetzt keinen Boom oder Operationstourismus von Menschen aus aller Welt, die sich vor der Narkose fürchten und «grün» operiert werden wollen.

«Hypnose ist nicht für alle, man muss dafür bereit sein.»

Stefan Wohlgemuth vom St. Anna

Ist Stefan Wohlgemuth denn ein Pionier? Nein, wehrt der Arzt ab. Operieren von Patienten unter Hypnose werde nur für eine Minderheit der Menschen eine Option sein. Er sagt: «Hypnose ist nicht für alle, man muss dafür bereit sein – das wird wohl kaum zum Normalfall werden.» Wer nicht absolut überzeugt davon ist, wird auch nicht bei Massenhypnose-Veranstaltungen wegtreten.

Genfer Spital: 4’000 in Hypnoseausbildung

Aber Hypnose lässt sich wohl doch bald vermehrt in der Medizin einsetzen: Seit Anfang Jahr werden an der Uniklinik Genf, dem grössten Spital der Schweiz, laufend Angestellte in Hypnosetechniken geschult. Es ist ein weit über die Schweiz hinaus einmaliges und ambitioniertes Projekt, wie im Dokfilm auch zu sehen ist: Bis in vier Jahren sollen über 4’000 Pflegerinnen und Ärzte eine Grundausbildung in Hypnosetechnik erhalten.

Nur schon das Zuschauen tat weh: Stefan Wohlgemuth (links) musste hämmern und meisseln.

Nur schon das Zuschauen tat weh: Stefan Wohlgemuth (links) musste hämmern und meisseln.

(Bild: zvg)

Wie das TV-Beispiel zeigt, lassen sich mit Hypnose auch starke Schmerzen aushalten und Ängste überwinden, das erkannten Ärzte schon im 18. Jahrhundert.

Die Erfindung des Äthers zur Narkose, die den Menschen mit Medikamenten in ein künstliches Koma versetzt, drängte die Hypnose ab 1846 in der Medizin in den Hintergrund.

«Der Mensch hat so viele Kräfte …»

Handchirurg Stefan Wohlgemuth

Ein weiterer Grund, weshalb eine solche Operation selten bleiben wird: Ein Eingriff ohne konventionelle Schmerzmittel braucht viel mehr Zeit, weil ein Patient wie Schiermayer vorerst in Trance versetzt werden muss.

Faszinierend war es allemal: Es gab viele staunende Ärztegesichter im und ausserhalb des Operationssaales der St.-Anna-Klinik in Luzern. Der Patient hatte keinerlei Schmerzen, auch nicht nach der Operation. Schmerzmittel braucht es für den Zuger Mentalcoach offenbar nicht.

Selbst Handchirurg Stefan Wohlgemuth ist rückblickend fasziniert: «Der Mensch hat so viele Kräfte …»

Hypnose – keine Scharlatanerie

So mancher denkt sich, es handle sich bei Hypnose um Scharlatanerie. Doch: Sowohl neurowissenschaftliche Untersuchungen als auch Wirksamkeitsstudien belegen den hypnotischen Zustand. Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Hypnose Menschen in einen anderen Bewusstseinszustand versetzt: Patienten können Abstand nehmen von dem, was aktuell rundherum passiert, und sich stattdessen auf das Innere fokussieren.

So lassen sich Schmerzen durch Hypnose aus der Wahrnehmung verdrängen. Nicht nur gegen Schmerzen, auch gegen Angst, Depressionen und andere psychiatrische Erkrankungen kann Hypnose ein wirksames Mittel sein. Oder auch um das Verhalten zu ändern: Wenn jemand etwa weniger Schokolade essen möchte oder plant, das Rauchen aufzugeben.

Das Team mit Arzt Stefan Wohlgemuth in der Mitte und Patient Christian Schiermayer links von ihm.

Das Team mit Arzt Stefan Wohlgemuth in der Mitte und Patient Christian Schiermayer links von ihm.

(Bild: zvg)

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