Normalverdiener können sich Prozesse kaum leisten

Horrende Kosten: An Luzerner Gerichten droht der finanzielle Ruin

Die Verhandlung fand am Montag vor dem Bezirksgericht Luzern statt.

(Bild: giw)

In kaum einem anderen Kanton kosten Prozesse im Zivilrecht so viel wie in Luzern, stellt eine Studie fest. Für einen Fall mit einem Streitwert von 1,5 Millionen Franken müssten 430’000 Franken aufgewendet werden. Damit seien grundlegende Rechte verletzt, finden Juristen.

Wer in Luzern zu seinem Recht kommen will, muss über sehr viel finanzielle Mittel verfügen. Das belegen Zahlen einer Studie von Isaak Meier und Riccarda Schindler von der Universität Zürich aus dem Jahr 2015.

Die beiden haben anhand eines fiktiven Beispiel in einem Haftpflichtfall mit einem Streitwert von 1,5 Millionen Franken die Prozesskosten verglichen. So fallen in den Kantonen Zürich, Thurgau, St. Gallen und Schwyz in den ersten beiden Instanzen Prozesskosten zwischen 237’000 und 288’000 Franken an, in Luzern liegt der Wert bei hohen 430’000 Franken.

Prozess stellt für Normalverdiener ein Risiko dar

Und während die Parteientschädigungen im Berufungsverfahren in den anderen Kantonen deutlich unter 30’000 Franken liegen, beträgt sie im Kanton Luzern 80’000 Franken. Auch der zu leistende Kostenvorschuss der Parteien liegt in Luzern mit 45’000 Franken in der ersten Instanz, respektive 50’000 Franken am Obergericht, klar über dem Durchschnitt.

«Der Zugang zum Recht ist nicht für alle Bevölkerungsschichten gewährleistet.»

Demokratische Juristen und Juristinnen Luzern

Gegenüber dem «Beobachter» sagte der Zürcher Rechtsanwalt, Ueli Vogel-Etienne, die Justiz widme sich heute vor allem einer ökonomisch optimierten Fallerledigung und strebe bestenfalls noch eine Verfahrensgerechtigkeit an: Fairness statt Moral ist das Credo. In allen Kantonen seien die Prozesskosten so hoch, dass Normalverdiener Prozesse nur führen können, wenn sie enorme finanzielle Risiken in Kauf nehmen, kommen Meier und Schindler in ihrer Studie zum Schluss.

Strenge Richtlinien für unentgeltliche Rechtspflege

Den Demokratischen Juristen und Juristinnen Luzern (DJL), welche die Verteidigung und den Ausbau der demokratischen Rechte und Freiheiten bezwecken, sind die hohen Kosten seit Längerem ein Dorn im Auge. «Der Zugang zum Recht ist nicht für alle Bevölkerungsschichten gewährleistet», sagt die Organisation.

Ein Grund liegt auch darin, dass in Luzern die Bedingungen, welche für eine unentgeltliche Rechtspflege gewährt werden, relativ streng sind. Die geplante Änderung der Zivilprozessordnung auf nationaler Ebene wird von der DJL deshalb begrüsst. «Sie wird indes wohl nur Linderung und keine Heilung des Problems bewirken können», so die Organisation.

In Luzern richtet sich derzeit die Beurteilung einer etwaigen unentgeltlichen Rechtspflege nach dem Notbedarf plus 20 Prozent, für einen alleinstehenden Schuldner sind dies abhängig vom Wohnort rund 1’000 Franken für die Miete, hinzu kommen Krankenkasse und Grundbedarf in der Höhe von 1’200 Franken plus 20 Prozent Aufschlag. Die DJL geht je nach Fall von 3’000 bis 5’000 Franken Notbedarf aus. Das Rechnungsbeispiel zeige deutlich, dass der Mittelstand ein Problem hat. Dies in Relation zu den Prozesskosten im «Beobachter»-Haftpflichtbeispiel offenbare, dass man sich einen Prozess schlicht nicht leisten könne.

Laut den Demokratischen Juristen und Juristinnen sind das eher harte Vorgaben im Vergleich zu anderen Kantonen. Dabei steht in der Bundesverfassung schwarz auf weiss, dass jede Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege hat. Unter den herrschenden Bedingungen sei die Rechtsgleichheit jedoch verletzt.

Zugang zum Gericht soll erleichtert werden

Die Folge: In Luzern können nur Arme und vermögende Personen vor den Richter treten, ohne dass im Falle einer Niederlage der Ruin droht. Grundlage für die happigen Preisschilder für Gerichtskosten, Parteienentschädigung und Anwaltshonorare ist die Justizkostenverordnung. Diese liegt nicht in der Hand des Kantonsrates, sondern wird vom Gericht selbst festgelegt. Werden dadurch gut situierte Personen bevorteilt? Das sei nicht die Absicht, eher gehe es den Luzerner Gerichten darum, ordentlich Einnahmen zu generieren, sagen die Demokratischen Juristen und Juristinnen.

«Nach unserer Einschätzung müssten die Gerichtskosten in einem durchschnittlichen Fall deutlich näher bei 30’000 Franken liegen.»

Christian Renggli, stellvertretender Generalsekretär Luzerner Gerichte

Das Problem – es gibt keine einheitlichen Regeln, was die Festsetzung von Prozesskosten betrifft – jeder Kanton kann nach eigenem Ermessen entscheiden. Doch auf nationaler Ebene wurde die problematische Situation inzwischen erkannt. Derzeit wird die Schweizerische Zivilprozessordnung überarbeitet – auch aufgrund der Zahlen von Meier und Schindler. Dabei geht es insbesondere darum, Privaten und Unternehmen den Zugang zum Gericht zu erleichtern und so die Rechtsdurchsetzung im Privatrecht zu verbessern.

Stimmen die Zahlen der Studie?

Die Luzerner Gerichte verteidigen sich – hier erachtet man die angenommenen Verfahrenskosten der Studie als zu hoch. Im Fall des Kantons Luzern wurden in der zugrunde liegenden Studie offenbar Durchschnittswerte des Kostenrahmens für Streitigkeiten mit einem Streitwert zwischen 1 bis 5 Milionen Franken angenommen – die Zahl von 80’000 wird in der Beispielrechnung für die Gerichtskosten angenommen. «Nach unserer Einschätzung müssten die Gerichtskosten in einem durchschnittlichen Fall deutlich näher bei 30’000 Franken liegen», sagt Christian Renggli, stellvertretender Generalsekretär des Gerichts.

«Wir haben in Luzern das fiktive Beispiel vom ersten Gerichtsschreiber berechnen lassen.»

Isaak Meier, emeritierter Professor und Studienautor

Dies gelte für beide Instanzen. Und auch bei der Höhe der Parteientschädigungen in erster und zweiter Instanz gingen die Studienautoren davon aus, dass diese im Kanton Luzern gleich hoch sind. «Der Kostenrahmen des Berufungsverfahrens ist jedoch tiefer», sagt Renggli. Liege der Streitwert an der unteren Grenze, so gelte dies in einem durchschnittlichen Fall auch für die Parteientschädigungen.

Zahlen stammen vom Gericht selbst

Doch Studienautor Isaak Meier widerspricht – die Zahlen selbst stammen aus interner Quelle: «Wir haben in Luzern das fiktive Beispiel vom ersten Gerichtsschreiber berechnen lassen», sagt Meier. Und er verweist auf einen realen Fall am Amtsgericht Luzern aus dem Jahr 2007, der ebenfalls in der Publikation verwendet wurde. Dort hatte das Amtsgericht Luzern Stadt bei einem Streitwert von 1,25 Millionen Franken eine Gerichtsgebühr von 37’500 Franken festgelegt.

Im Berufungsverfahren vor Obergericht erhöhte der Kläger die Klage auf 2,5 Millionen Franken, das Obergericht verlangte hierfür Gerichtskosten von 80’000 Franken. Meier: «Dies kommt den Kosten, wie sie uns vom Obergericht des Kantons Luzern für den fiktiven aufwendigen Haftpflichtfall mit einem Streitwert von 1,5 Millionen Franken angegeben worden sind, sehr nahe.»

Wie Luzern im Vergleich zu anderen Kantonen nun konkret abschneidet, ist schwierig zu eruieren. Fakt ist: Prozessieren ist ausserordentlich teuer. Nur schon die Vorschüsse sind oft ein grosses Hindernis. Wie soll das ein Normalverdiener bezahlen können? Auf Gesuch sei eine Ratenzahlung möglich, sagt Renggli. Verfüge die Klägerin oder der Kläger zum Beispiel über ein Haus, jedoch nicht über flüssige Mittel, könne der Staat die unentgeltliche Rechtspflege vorschussweise gewähren. Die Luzerner Praxis orientiere sich an der Rechtsprechung des Bundesgerichts, dort können die Entscheide auch angefochten werden.

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