Zugs Recycling-Spezialisten feiern Jubiläum

«Hier ergeben sich auch Liebschaften»

Die Velo-Werkstatt: Hier werden die Mitarbeiter auch gerne kreativ.

(Bild: lob)

Ein ganz besonderer Betrieb feiert diesen Samstag Jubiläum: GGZ@Work – Recycling. Im Recycling-Unternehmen werden ausschliesslich Sozialhilfeempfänger und Asylsuchende beschäftigt, wenn sie auch quasi zur Arbeit gezwungen werden. Betriebsleiterin Yolanda Fässler erzählt bei einem Rundgang, wie sie ihre Schützlinge dennoch motiviert – und stellt uns eine ganz besondere Mitarbeiterin vor.

Es wird gewerkelt, als wir beim Betrieb in Baar ankommen. An der Altgasse 46b hat er seinen Standort, momentan sind rund 84 Teilnehmende in den verschiedenen Arbeitsbereichen beschäftigt. Wer draussen arbeitet, grüsst uns freundlich: Für das grosse Jubiläumsfest am Samstag putzt man sich heraus. Es wird geschrubbt, gesaugt und gegärtnert. Draussen stehen Möbel – aus alten Paletten sind Blumenkästen, Sofatische und Bänke entstanden. Ein bisschen Stolz auf das Erreichte, das merkt man, schwingt bei den Verantwortlichen schon mit.

Motivation ist die grosse Aufgabe

«Das Jubiläum ist für mich sicherlich ein Meilenstein», sagt Betriebsleiterin Yolanda Fässler. Seit 1997 bietet das Unternehmen Recycling-Dienstleistungen an, beschäftigt und betreut aber vor allem Stellensuchende aus dem Sozial- und Asylbereich (siehe Box). «Dass wir schon unser 20-jähriges Bestehen feiern können, ist speziell und beweist für mich, dass wir unsere Sache gut machen», so Fässler weiter. In der Tat gibt es in Zug keinen anderen Betrieb mit einem vergleichbaren Dienstleistungs-Angebot. Die GGZ hat hier, wenn man so will, die Monopolstellung inne. Bereits seit 2004 ist die Institution ISO-zertifiziert.

 

Die Leiterin von GGZ@Work Recycling, Yolanda Fässler.

Die Leiterin von GGZ@Work Recycling, Yolanda Fässler.

(Bild: lob)

Wir wollen von der Betriebsleiterin wissen, wie die Beschäftigung der Teilnehmenden eigentlich funktioniert. Diese setzen sich ausschliesslich aus Sozialhilfeempfängern und Asylsuchenden zusammen. «Wir bekommen die Teilnehmeranmeldungen vom Kanton und von Zuger Gemeinden, mit welchen wir Leistungsvereinbarungen haben. In unserer Klientenadministration wird dann anhand der Vorkenntnisse und Interessen abgeklärt, in welchem Betrieb – beispielsweise bei uns – die Person eingesetzt werden könnte. In einem Bewerbungsgespräch vor Ort klären wir dies dann noch zusätzlich ab», erklärt Fässler.

«Hier ergeben sich oft Freund- und hin und wieder auch Liebschaften.»

Yolanda Fässler, Betriebsleiterin GGZ@Work – Recycling

Wer in einem Betrieb der Institution ankommt, ist sozusagen gezwungen, dort zu arbeiten: Das Stichwort heisst Mitwirkungspflicht. Wer sich weigert, muss mit Kürzungen der Sozialleistungen rechnen – wie bei anderen zugewiesenen Arbeitsstellen auch. «Unsere Aufgabe ist es dann, diese Menschen für die Arbeit bei uns zu motivieren», meint Fässler. Gerade Asylsuchende seien am Anfang nicht immer begeistert, das habe auch mit der sprachlichen Barriere zu tun. Oft tauten diese aber nach einer Weile auf. «Hier ergeben sich oft Freund- und hin und wieder auch Liebschaften», sagt Fässler und lacht.

Eingliederung in den Arbeitsmarkt als oberstes Ziel

Nach 2–3 Monaten Arbeit fände ein Standortgespräch statt, wo entschieden wird, welche Ziele der Teilnehmende erreichen soll. «Diese sollen helfen, an der Einhaltung der Gepflogenheiten zu arbeiten, die der reguläre Arbeitsmarkt voraussetzt, und die Fähigkeiten und Kenntnisse der Teilnehmenden zu fördern.» Asylsuchende blieben in der Regel bis zu einem Jahr im Betrieb, bei den Sozialhilfeempfängern sei die Einsatzdauer sehr unterschiedlich.

Lohn erhalten die Beschäftigten nicht. «Das läuft alles über den Sozialdienst», erklärt Yolanda Fässler. «Wer hier arbeitet, bekommt zusätzlich zur Sozialhilfe eine Integrationszulage.» Diese beträgt bei einem 100-Prozent-Pensum 150 Franken für unter 25-Jährige, 300 Franken für ältere.

«Seit 2003 gab es nur eine Person, bei der ich sagte: Die nehme ich nie mehr.»

Yolanda Fässler

Klares Ziel der Zusammenarbeit mit Gemeinden und Kanton: Die in den Betrieben beschäftigten Personen wieder in den regulären Arbeitsmarkt einzugliedern. «Dies gelingt auch immer wieder, sei es, wenn sie ein Praktikum oder eine Anlehre absolvieren können oder eine Temporär- oder Festanstellung finden.» Nicht alle schaffen die Wiedereingliederung. «Einigen fehlen einfach die signifikanten Arbeitsmarktchancen», erklärt uns Fässler weiter. Neben den fehlenden Fertigkeiten oder der längeren Absenz vom Arbeitsmarkt kann dies auch an längerer Krankheit oder Suchtproblemen liegen.

Kemal Bünül trennt einen alten Flachbildschirm in seine einzelnen Bestandteile auf.

Kemal Bünül trennt einen alten Flachbildschirm in seine einzelnen Bestandteile auf.

(Bild: lob)

Klare Verhaltensregeln für Teilnehmende

Hier im Betrieb läuft alles sehr geregelt ab, haben wir das Gefühl. Gibt es denn auch Unregelmässigkeiten? Doch, hin und wieder gäbe es schon Probleme, erfahren wir. Für schlechtes Benehmen am Arbeitsplatz gibt es ein Verwarnsystem, das über Aufforderungen bis zum Ausschluss geht. Absolute No-Gos sind Gewalt, Diebstahl oder Drogen am Arbeitsplatz. «Diese Verstösse haben einen sofortigen Ausschluss zur Folge», erzählt die Betriebsleiterin.

Allerdings bleibt die Tür für die meisten offen: Je nach Vergehen, werde man mit einer Sperrfrist zwischen drei und sechs Monaten belegt, danach kann der Sozialdienst über eine zweite Chance befinden. Auch, wenn es wirklich schlimme Vergehen waren? «Seit 2003 gab es nur eine Person, bei der ich sagte: Die nehme ich nie mehr», meint Fässler. Und fügt an: «Die Sozialdienste sind natürlich auch nicht interessiert daran, dass Teilnehmer von der Beschäftigung ausgeschlossen werden müssen.»

Aus Alt mach Neu

Genug geredet, nun wollen wir uns in den Arbeitsbereichen umsehen. Unsere Führung fängt beim sogenannten Arbeitsraum an: Hier werden vor allem CDs und DVDs recycelt, hin und wieder auch Produkte etikettiert. «Hier können alle arbeiten, auch jene, die fast noch gar kein Deutsch sprechen», erklärt Fässler. Weiter gibt es unter anderem eine Velo-Werkstatt, eine Schreinerei, eine Wäscherei und ein Nähatelier. Hier werden zum Beispiel alte Comicbücher und Gleitschirmstoffe in schicke und praktische Einkaufstaschen verwandelt. Der Kleiderladen ist ein Tipp für Schnäppchenjäger: Die Kleidungsstücke haben fixe Preise, Hosen beispielsweise kosten 6 Franken. Mit etwas Glück sind echte Schätze dabei: Man könne schon auch mal eine Gucci-Hose ergattern.

Aus alten Paletten wurden Blumenkästen, Tische und Sofa-Bänke: Die beiden Mitarbeiterinnen freuts.

Aus alten Paletten wurden Blumenkästen, Tische und Sofa-Bänke: Die beiden Mitarbeiterinnen freuts.

(Bild: lob)

Unsere Tour geht weiter, durch eine Velo-Werkstatt und das Lager für «Tischlein deck dich»; für sie operiert man seit 2011 als Logistik-Plattform Zentralschweiz. Vor gut einem Jahr erfolgte ein Erweiterungsbau und der Ausbau auf 17 Abgabestellen (zentralplus berichtete). Wir landen in einem Werkstattteil, in dem Flachbildschirme sorgfältig in ihre Einzelteile zerlegt werden. Daran arbeitet gerade auch Kemal Bünül, der, so erzählt er, seit 13 Monaten hier ist.

Er erzählt uns, dass er früher fast sieben Jahre bei der Landis & Gyr gearbeitet habe. Danach folgte eine Anlehre als Hauswart, die Bünül aber aus gesundheitlichen Problemen abbrechen musste. «Und dann, nach den ganzen Problemen, bin ich hier gelandet.» Gefallen tue es ihm hier schon, meistens jedenfalls. Er betont aber auch, nur vorläufig hier zu sein. Die Situation ist ihm, so scheint es, nicht wirklich angenehm.

Auch zukünftig will man in Bewegung bleiben

Zuletzt besichtigen wir die Küche des Baarer Betriebs. Als wir fragen, ob wir Fotos machen dürfen, strahlt eine Dame richtig. «Zusammen mit Frau Fässler bin ich schon am längsten hier, erzählt uns Elisé Soppi stolz. Angefangen habe auch sie im Arbeitsraum, beim CD- und DVD-Recycling. «Nun arbeite ich schon lange in der Küche, und es macht mir Spass hier.» Zusammen mit der Gruppenleiterin und ihren beiden Kolleginnen bereitet sie gerade das Mittagessen für die ganze Belegschaft zu.

«Frau Soppi ist ein Sonderfall bei uns», erklärt uns Yolanda Fässler anschliessend. Schon 13 Jahre zählt die Frau aus Kamerun zu den Teilnehmenden. Seit einem Schlaganfall hat sie halbseitige Lähmungserscheinungen – die Freude am Arbeiten lässt sie sich aber nicht nehmen, haben wir den Eindruck.

Elisé Soppi (links) bereitet mit ihren Kolleginnen das Mittagessen zu.

Elisé Soppi (links) bereitet mit ihren Kolleginnen das Mittagessen zu.

(Bild: lob)

Sehr lange war nicht klar, ob Soppi in der Schweiz bleiben darf. «Letztes Jahr hat sie die B-Bewilligung erhalten», bekommen wir weiter erzählt. Die Entscheidung halt also über 10 Jahre gedauert. Im Betrieb ist man nun froh, dass sie bleiben darf und trotz Einschränkung einen Weg findet, sich einzubringen.

«Erfolgsgeschichten motivieren natürlich», betont Fässler. «Es ist immer schön, Leute anzutreffen, die den Sprung ins Arbeitsleben wieder geschafft haben und dankbar sind.» Für die Zukunft wünscht sich die Betriebsleiterin, dass man sich in vielen Bereichen weiterentwickelt. «Einfach nicht stehenbleiben», lautet das Motto.

GGZ@Work – Recycling
GGZ@Work – Recycling gehört zu GGZ@Work, einer Institution des Vereins Gemeinnützige Gesellschaft Zug (GGZ). Sie besteht seit 1995, der Recycling-Betrieb nahm zwei Jahre später, also 1997, seine Tätigkeit auf und feiert am 24. Juni das 20-jährige Bestehen. Die insgesamt sechs Betriebe der GGZ@Work bieten neben dem Recycling und der Entsorgung unter anderem auch Dienstleistungen im Bereich Büro, Transport und Logistik, Montage und Personalverleih an. Dies für Private, Firmen und die Öffentlichkeit. Wesentlich ist für die Institution die Beschäftigung, Vermittlung und Beratung von Stellensuchenden. Konkret werden über Leistungsvereinbarungen mit den Gemeinden und dem Kanton Zug Sozialhilfe-Bezüger und Asylsuchende betreut und in den eigenen Arbeitsbetrieben beschäftigt. Mit im Schnitt 80 bis 100 Beschäftigten ist das Recycling-Unternehmen der grösste der insgesamt sechs Betriebe.
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