Miniatur oder Monument

Hexenmahnmal Luzern: Wenn ein QR-Code als Denkmal zählt

Eine Statue von Alice Nutter, die in England Opfer der Hexenverfolgung wurde. (Bild: Alamy)

In Luzern wurden Hunderte Frauen – und einige Männer – brutalst gefoltert, gedemütigt und schliesslich zu Tode gequält. Die Hexenverfolgung ist ein düsterer Teil unserer Geschichte. Eine, die im öffentlichen Raum der Stadt bisher keinen Platz hat. Das soll jedoch nicht so bleiben.

Bei Nachbarschaftsstreitigkeiten schreibt man sich heute vielleicht mal tadelnde Briefe und hängt sie mahnend ins Treppenhaus. Im 18. Jahrhundert jedoch war es lebensgefährlich – besonders als Frau –, den Nachbarn unangenehm aufzufallen. Denn wenn diese das Gerücht streuten, man sei eine Hexe, habe Hagel herbeigezaubert oder die Kuh krank gemacht, war man so gut wie tot.

Man geht von bis 60'000 Frauen aus, die bis ins 18. Jahrhundert der Hexenverfolgung in Europa zum Opfer fielen. Die Schweiz gilt als traurige Rekordhalterin.

Brutalste Geschichte der Hexenverfolgung

Wurde jemand der Hexerei bezichtigt, war das Geständnis oft nur eine Frage der Zeit. Die Menschen wurden an Händen und Füssen auseinandergezerrt, wurden gefesselt und an die Decke gezogen, so, dass ihnen die Schultergelenke auskugelten, sie wurden geprügelt und mit brennenden Zangen malträtiert. Und das über Tage, Wochen, manchmal sogar über Monate hinweg. Vor allem Frauen, einige Männer und sogar ein paar Kinder wurden hier gefoltert und ermordet. Im Namen von Vaterland und Kirche.

Anna Vögtlin wird 1447 vor dem Städtchen Willisau verbrannt.
Anna Vögtlin wird 1447 vor dem Städtchen Willisau verbrannt. (Bild: Diebold Schilling, Eidgenössische Chronik, 121)

Dies geschah in Luzern an mehreren Orten von Mitte des 16. bis Ende des 18. Jahrhunderts. Auch im viel fotografierten Touristen-Hotspot Wasserturm wurde gefoltert. In der Reuss wurden Menschen ertränkt, um festzustellen, ob sie Hexen waren oder nicht. Starb man dabei, war man unschuldig, überlebte man, wurde man als Hexe verbrannt. Auf dem heutigen Weinmarkt wurden die «Hexen» öffentlich verurteilt, auf dem heutigen Sentiparkplatz umgebracht – meist wurden sie lebendig verbrannt.

Um diesen Opfern unserer Geschichte zu gedenken, hat der Stadtrat von Luzern im Juni 2021 beschlossen, ein Hexenmahnmal zu schaffen (zentralplus berichtete).

Gedenkstätte zum Verweilen

Der Stadtrat sei bereit zu prüfen, ob beim Wasserturm, Rathaus und Weinmarkt Informations- und Gedenktafeln montiert werden können. Und auch beim Areal Sentimatt wolle man auf den Kanton «einwirken», um einen «angemessenen Erinnerungsort für die Opfer der gerade auch in Luzern sehr virulenten Hexenverfolgung zu realisieren».

Nun stellt sich jedoch die Frage, was angemessen ist.

Im Stadtrat sprach man von einer Gedenkstätte und davon, dass sich die Visualisierung nicht nur auf blosse Information beschränken soll. Es solle ein Ort werden, der zum Verweilen und Nachdenken einlade. Ein Ort, der den Diskurs fördere.

Keine Dringlichkeit und keine Idee

Einmal überwiesen, landete das Projekt auf dem Schreibtisch von Thomas Scherer. Es wurde dem Stab Bildungsdirektion zur Prüfung einer Umsetzung innerhalb zweijähriger Frist zugeteilt. «Und es wird voraussichtlich noch eine Weile dauern, bis das Anliegen erledigt ist», sagt Scherer. Neben vielen anderen Projekten und Pendenzen habe dieses jahrhundertealte Thema nicht erste Priorität.

Man habe sich im Team einige vorbereitende Gedanken gemacht, sei aber zu keinem befriedigenden Ergebnis gekommen. Auch die Verantwortlichen für das Postulat hätten keine konkrete Idee für die Umsetzung präsentiert.

«Es wäre also eine riesige Bronzestatue möglich, eine kleine Plakette im Boden oder vielleicht auch schlicht ein QR-Code», so Scherer. Man habe sich auch überlegt, ob man vorausgehend Forschung betreiben solle, habe es jedoch verworfen, da dies grundsätzlich nicht im Aufgabenbereich der Stadt liege.

«Diesem Leid ein QR-Code als ‹Denkmal› zu setzen, ist dem absolut unwürdig.»

André Heinzer, stellvertretender Staatsarchivar Luzern

Tatsächlich muss sich die Stadt darum auch gar nicht kümmern. Denn ein Anruf im Staatsarchiv genügt, um zu erfahren: «Die Luzerner Hexenverfolgungen gehören zu den am besten dokumentierten in der alten Eidgenossenschaft.» Ratsprotokolle und Urfehden, Kundschaften und Verhörprotokolle gewähren dichte Einblicke.

Material aus der Forschung ist also vorhanden. Es bleibt die Frage, wie gross man der Opfer der Hexenverfolgung gedenken will. «Diesem riesigen Leid ein QR-Code als ‹Denkmal› zu setzen, ist dem Thema absolut unwürdig», sagt André Heinzer. Auch eine Infotafel informiere zwar, die Wirkung einer Skulptur oder eines Hexenmahnmal gehe jedoch weit darüber hinaus, findet der stellvertretende Staatsarchivar von Luzern.

Die übersehenen Tafeln

Ein häufiges Schicksal von Informationstafeln zeigt sich beim ehemaligen Richtplatz in Emmenbrücke. Aktuell ist beim Emmer Gemeinderat ein Postulat dazu eingegangen. Zu den «verschmutzten, teils überschmierten und beschädigten Texttafeln», die auf einer «kleinen, wenig gepflegten Wiese zwischen zwei Velohauptrouten aufgestellt sind.» Gefordert wird im Postulat, dass diese begehbare historische Stätte attraktiver gestaltet werde. (zentralplus berichtete)

«Diese Menschen haben hier gelitten, sie sind hier gestorben», sagt die Luzerner Künstlerin Barbara Hennig. Es sei wichtig, diesen Wahn, der unsere Gesellschaft antrieb, die Angst und das Leid, nicht zu vergessen. Wie es war, jederzeit für ein auffälliges Verhalten denunziert, gefoltert und umgebracht werden zu können. Ohne Chance auf ein gerechtes Verfahren. «Es ist an der Zeit, der Opfer dieser Verfolgung zu gedenken», sagt Hennig, die sich schon in Studienzeiten intensiv mit der Hexenverfolgung auseinandersetzte.

«Auf keinen Fall darf da eine schreiende Frau in Bronze stehen.»

Barbara Hennig, Künstlerin

«Aus meiner Sicht braucht es künstlerische Thematisierung, eine aktive Aufforderung zum Nachdenken», betont André Heinzer. Zum Nachdenken über den Umgang mit Minderheiten damals und heute – oder auch mit Frauen, die sich exponieren.

Ein Mahnmal dafür brauche jedoch unbedingt eine künstlerische Übersetzung, betont Barbara Hennig. «Auf keinen Fall darf da eine schreiende Frau in Bronze stehen.» Keine Gruselstatue würde sie sich wünschen, sondern eine Gedenkstätte, räumlich erlebbar oder ein Monument, das sich metaphorisch mit dem Thema auseinandersetzt. Das Hexenmahnmal Steilneset von Peter Zumthor in Norwegen nennt Hennig als positives Beispiel.

Steilneset in Vardø. (Bild: Jikai Zhang – AdobeStock)

Ob eine Gedenkstätte im Umfang eines Monuments wie dem Löwendenkmas akzeptiert werden würde, ist dabei fraglich. Obwohl die Begeisterung für Denkmäler und historische Stätten in der Schweiz und auch bei Touristen eigentlich recht ausgeprägt ist. Gerade gefallenen Soldaten und sogenannten Kriegshelden setzte man besonders im 19. Jahrhundert so einige massive Denkmäler. «Das entsprach damals natürlich auch dem Zeitgeist», erklärt André Heinzer.

«Die Hexe ist zum Symbol für die starke Frau geworden, die eigensinnige Frau.»

Barbara Hennig

Denkmäler sind gerne den Opfern gewidmet, die selbst auch Täter waren. Soldaten im Dienst – auch heute noch (zentralplus berichtete). Den Opfern der eigenen Gesellschaft und der eigenen Herrschenden hingegen blieb man das Gedenken meist schuldig. Bis jetzt.

Repräsentativer Standort gesucht

Der Sentimattparkplatz ist historisch gesehen auf Stadtluzerner Gebiet der wichtigste Ort und steht deshalb für das Hexenmahnmal in Luzern im Fokus. Alternativ anerböte sich für ein Denkmal aber auch der heutige Weinmarkt und der Rathausplatz, wo die Urteilsverkündigungen stattfanden, sagt André Heinzer.

«Beim Weinmarkt ist der Vorteil natürlich, dass er stark frequentiert und dass ein Denkmal hier somit auch sichtbarer ist.» Selbstverständlich würden sich auch die Türme anbieten: So beispielsweise der Wasserturm oder auch der Standort des ehemaligen Frauenturms – schräg hinter der Jesuitenkirche.

Eine gewisse Kirchennähe für den Standort fände Barbara Hennig spannend. «Die Kirche war das Zugpferd dieser Grausamkeiten. Ihre Vertreter haben ihre pervertierten Fantasien auf die verfolgten Frauen projiziert.» Verdächtig seien alle Frauen gewesen, schön oder hässlich, alt oder jung, begehrt und einflussreich oder auch verarmt und ausgestossen. Besonders aber die alleinstehenden und zugewanderten.

Wer hat Schuld an der Hexenverfolgung in Luzern?

Blicke man in die Gegenwart und die Zukunft, habe das Thema aber auch etwas Kämpferisches. «Frauen haben den Begriff Hexe neu besetzt. Es geht nicht um Zauberei oder Opfer. Sondern die Hexe ist zum Symbol für die starke Frau geworden, die eigensinnige Frau», so Hennig.

Inhaltlich dominiert für Hennig das Sündenbock-Thema. «Jemand musste Schuld sein am Wetter, an Krankheit – und die Täterinnen fand man mithilfe von Sexismus, Rassismus oder bei religiösen Minderheiten. Das ist eine Dynamik, die sich immer wieder zeigt, auch heute.» Ein Mahnmal kann dazu auffordern, solche Dynamiken auch heute zu erkennen und in Frage zu stellen.

Wenn es denn nicht bloss in einer Tafel abgehandelt wird.

«Schuhe am Donauufer», ein eisernes Mahnmal in Budapest zur Erinnerung an die Pogrome an Juden während des Zweiten Weltkriegs. (Bild: budapest.com)

Verwendete Quellen


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4 Kommentare
  • Profilfoto von Bertram
    Bertram, 08.09.2022, 07:42 Uhr

    Sehr aufschlussreicher Artikel. Dieser Teil der schweizerischen Geschichte war mir bisher noch nicht so bewusst.
    Danke dafür

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  • Profilfoto von Hildegund
    Hildegund, 05.09.2022, 16:30 Uhr

    Frauen, denen so viel Schreckliches angetan wurde, müssen ein Denkmal erhalten. Mehrsprachig sollen die Informationen sein. Einheimische und Touristen sollen sich mit der Verfolgung und Diskriminierung auseinander setzen.

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  • Profilfoto von Max
    Max, 05.09.2022, 12:33 Uhr

    Diese Gedenkstätte verdient es dass eine angemessene Lösung gesucht wird. Die Grösse scheint dabei nicht unerheblich zu sein. Und die Kirche kann sich gerne auch grosszügig zeigen wenn es ums finanzieren geht. Anstatt zB auch Geld nach Rom zu schicken

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  • Profilfoto von Melk Christen
    Melk Christen, 04.09.2022, 20:44 Uhr

    Eine Plakette im Boden, ein QR-Code… Was für Ideen. Vor allem Letzteres wäre nicht etwa irgendwie originell, sondern geradezu Sabotage am Vorhaben. Man kommt offenbar nicht umhin einen unliebsamen Auftrag zu erledigen, will ihn aber dennoch möglichst nicht ausgeführthaben. Es wäre mehr als perfide: Mit einem QR-Code würde man eher eine Art Anti-Denkmal erschaffen, statt einem Ort des Gedenkens ein nichtiges, ja vernichtend kleines Zeichen bissigen Hohns rausrülpsen. Böse!

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