Chefärztin ist wegen Lieferengpass besorgt

Heroinersatz ist in Luzern rar: Süchtigen droht Rückfall

Ihr bereitet die momentane Situation Sorgen: Kerstin Gabriel Felleiter, Chefärztin Ambulante Dienste der Luzerner Psychiatrie.

In Luzern kommt es zu massiven Lieferengpässen bei einem der wichtigsten Medikamente zur Behandlung von Heroin-Süchtigen. Für die Betroffenen ist das fatal. Denn ein Medikamentenwechsel kann zu Entzugserscheinungen führen – und im schlimmsten Fall zu einem Rückfall.

Wer süchtig nach Heroin ist, wird in der Schweiz mit einer sogenannten Opioid-Agonisten-Therapie behandelt. Dabei werden Opiate kontrolliert an die Betroffenen abgegeben, damit diese nicht an Entzugserscheinungen leiden, sondern der Drang nach Heroin gelindert wird.

Im Drop-in, der Behandlungsstelle für opioid- oder mehrfachabhängige Menschen im Luzerner Bruchquartier, sind insgesamt über 200 Menschen in einer solchen Behandlung. Die meisten von ihnen bekommen das Heroin-Ersatzmedikament «Sevre-Long».

Das Problem: «Seit zehn Monaten kämpfen wir mit massiven Lieferengpässen», sagt Kerstin Gabriel Felleiter. Sie ist die Chefärztin Ambulante Dienste der Luzerner Psychiatrie, zu der auch das Drop-in gehört. «Wir haben in dieser Zeit einen unglaublichen Aufwand betrieben, um irgendwie an das Medikament zu kommen.»

Lieferengpässe haben Patientinnen verunsichert

Diese Erfahrungen werden nicht nur in Luzern gemacht. Die Lieferengpässe sind schweizweit ein Problem, berichtete «SRF». Dahinter stehen in der Schweiz Tausende Menschen. Gemäss der Schweizerischen Gesellschaft für Suchtmedizin sind hierzulande rund 18'000 Menschen in einer solchen Opioid-Langzeitbehandlung. Rund ein Drittel von ihnen nimmt das oben erwähnte «Sevre-Long».

Und weil dieses Medikament so rar wurde, mussten Patienten auf andere Medikamente umsteigen. Dies ist nicht ganz unproblematisch, wie Gabriel Felleiter erklärt: «Wir mussten unsere Patienten über die Lieferengpässe informieren, was Unsicherheiten ausgelöst hat.» Die betroffenen Patienten sind nicht nur abhängig von Heroin. Viele leiden auch an psychischen Erkrankungen, sind depressiv und ängstlich oder haben Psychosen. Wenn dann noch der Heroin-Ersatz knapp ist, so wühle das Betroffene zusätzlich auf. «Schliesslich hängt wahnsinnig viel davon ab – wie und ob die Betroffenen im Alltag funktionieren, der durch die Ersatzmedikamente stabilisiert wird.»

Medikamentenwechsel birgt Risiken

Auch die Alternativen zu «Sevre-Long» mussten erst besorgt und auf Lager genommen werden. Medikamenten-Versorgungen der Patientinnen mussten geändert werden. Das alles war mit einem grossen Aufwand verbunden. Und die zugelassenen Alternativen mussten zwei Mal täglich und nicht nur einmal täglich eingenommen werden, was für das Drop-in und die Betroffenen einen zusätzlichen Aufwand bedeutete. Schliesslich werden pro Woche über 5'000 Tabletten abgegeben.

«Einige begannen sich auf der Gasse umzusehen und Heroin zu beschaffen, um auf der ‹sicheren› Seite zu sein und gar nicht erst in den Entzug zu kommen.»

Kerstin Gabriel Felleiter, Chefärztin Ambulante Dienste Luzerner Psychiatrie

Das Fatalste aber: «Bei einem Medikamentenwechsel müssen wir bei jedem Patienten erst wieder die optimale Dosis finden, was vereinzelt auch zu Entzugserscheinungen führen kann.» Für die Betroffenen ist das eine grosse psychische Belastung. Nicht alle kommen mit der Umstellung zurecht, wie Gabriel Felleiter erklärt: «Einige begannen sich auf der Gasse umzusehen und Heroin zu beschaffen, um auf der ‹sicheren› Seite zu sein und gar nicht erst in den Entzug zu kommen. Dieses Risiko eines Rückfalls ist sehr gross.»

Chefärztin ist besorgt

Und auch bei den Ersatzmedikamenten sei es zu Lieferengpässen gekommen. Warum, kann Gabriel Felleiter nicht abschliessend sagen. Zwar komme es auch bei anderen Medikamenten zu Lieferengpässen; dass sich das Problem derart zugespitzt hat, könnte aber auch damit zusammenhängen, dass Heroin-Süchtige eine Randgruppe bilden. Und dass das öffentliche Interesse, sie zu therapieren, abgenommen habe.

«Die jetzige Situation bereitet uns Sorgen.»

Kerstin Gabriel Felleiter

«Die jetzige Situation bereitet uns Sorgen», sagt Kerstin Gabriel Felleiter. «Für die Mitarbeitenden des Drop-in ist das eine sehr belastende und stressvolle Zeit. Schliesslich spüren sie, wie Patienten verunsichert sind. Durch das Ausweichen auf andere Medikamente ist der Aufwand für die Betreuung gestiegen, um eben zu verhindern, dass es zu einem Rückfall kommt. Wir haben alles gemacht, um dies zu verhindern und die Patientinnen aufzufangen.»

BAG hat auf Lieferengpässe reagiert

Doch es gibt Licht am Ende des Tunnels. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat auf die Lieferprobleme reagiert und vor einigen Wochen ein weiteres Heroin-Ersatzmedikament namens Kapanol zugelassen. Das Gute daran: Die Betroffenen müssen nur einmal täglich das Drop-in aufsuchen, weil pro Tag eine Tablette geschluckt werden muss.

Doch auch hier mussten wiederum Medikamente bestellt, auf Lager genommen werden, Patienten aufgeklärt und Verordnungsänderungen gemacht werden. Kerstin Gabriel Felleiter sei «verhalten zuversichtlich», wie sie sagt. «Wir sind noch nicht über dem Berg. Ich hoffe, dass sich in zwei bis drei Monaten alles eingespielt hat und wir das neue Medikament verlässlich bekommen. Und dass wir nicht erneut mit Lieferengpässen zu kämpfen haben.»

Für die suchtkranken Menschen ist es zu hoffen. «Jede Verunsicherung – sei es durch Angst vor einem Lieferstopp der Substitutionsmedikamente oder durch den Wechsel eines Medikaments – erhöht die Gefahr eines Rückfalls drastisch.» 

4 Kommentare
Aktuelle Artikel
Apple Store IconGoogle Play Store Icon