«Tottreter» vom Zuger Bahnhof verurteilt

Gewalt-Exzess: Überwachungskamera filmte brutale Szenen

Im Glasgang des Bahnhofs Zug  filmte eine Überwachungskamera die Schlägerei.

(Bild: mbe.)

Erst geraten sie in eine wüste Schlägerei, in der sie ihr am Boden liegendes Opfer mit den Füssen am Kopf traktieren. Und dann behaupten sie, sie wären vom Opfer ausgeraubt worden. Zwei Jahre danach hat das Zuger Strafgericht nun die beiden jungen Männer für ihr Verhalten im Zuger Bahnhof verurteilt.

Beide Beschuldigten wurden wegen versuchter schwerer Körperverletzung, Raufhandel und falscher Anschuldigung verurteilt: Der in Kroatien geborene und in Zug aufgewachsene Kroate A.R. (25) erhielt eine Freiheitsstrafe von 30 Monaten. 15 Monate davon muss er absitzen.

Den gebürtigen Zuger D.M. (27) verurteilte das Gericht zu 22 Monaten Gefängnis bedingt, bei einer Probezeit von zwei Jahren. Dazu kommt eine bedingte Geldstrafe. Verantworten mussten sich die zwei jungen Männer wegen einer Schlägerei im Dezember 2014 im Bahnhof Zug, an der sie und drei Eritreer beteiligt waren. Das Gericht sprach von einem «erschreckenden Aggressionspotential».

Der Fall erinnert in seiner Brutalität an den Vorfall auf der Schützenmattwiese im Herbst  2015, bei der Alain M. von Jugendlichen brutal zusammengeschlagen wurde, einige Tage später beging er Suizid (zentralplus berichtete). Auch bei der Schlägerei im Bahnhof Zug trug das Hauptopfer «nur» leichte Verletzungen davon. Doch der Eritreer habe Todesängste ausgestanden, erklärte die Staatsanwältin Monika Häfliger.

Überwachungsvideo als Beweis

Die zwei befreundeten jungen Männer sassen am Mittwoch vor Gericht wegen einer Nacht, an die sich beide nur noch «verschwommen» erinnern können. Eine SBB-Überwachungskamera hat die üble Sache, die einige Minuten dauerte, aufgezeichnet. Das Gericht zeigte das Video im Prozess und befragte die Beschuldigten dazu.

Was man auf dem Video sieht: In der Nacht des 19. Dezember 2014 irren verschiedene Gruppen von Nachtvögeln gegen 2.30 Uhr durch den Bahnhof. Darunter die zwei Männer, die nun vor Gericht stehen, und die Freundin des einen. Sie haben viel Alkohol konsumiert, 1,7 Promille hatte der Kroate intus, der Schweizer etwas weniger. Die beiden rennen im Bahnhof umher, provozieren und schupfen sich im Spass. Der Spass ist jedoch vorbei, als drei Eritreer den Bahnhof auf der östlichen Seite beim Metalli betreten.

Zuerst wird geschubst, dann fliegen die Fäuste

Man sieht den Kroaten A.R. und den Eritreer S.A. aneinandergeraten. Der Europäer zieht dem Afrikaner den Pulli über den Kopf, tritt ihn in die Beine. A.R. zieht die Jacke aus, bläht sich auf, der andere wirft seinen Pulli in die Ecke, die beiden zerren und treten sich. Anschliessend beginnt eine wilde Schlägerei in der Bahnhofhalle, an der die Männer in verschiedenen Rollen beteiligt sind. Es wird geschubst, getreten, abgewehrt, zugeschlagen. Der Schweizer A.M. macht Drohgebärden gegen einen anderen Eritreer, der seinem Kollegen wohl zu Hilfe kommen will.

Als der Eritreer S.A. am Boden liegt – um ihn geht es hauptsächlich im Prozess –, soll ihm R.A. gemäss der Anklage mehrere heftige Faustschläge gegen den Kopf verpasst haben. Als er aufstehen wollte, habe ihm der Mann mit Anlauf einen Fusstritt gegen den Kopf verpasst. Auch A.M. soll getreten haben. Der Afrikaner blieb anschliessend bewegungslos am Boden liegen.

Ärztlicher Bericht: Aus Ohren geblutet

Ärzte des Kantonsspitals Zug stellen später Prellungen am Hinterkopf, an den Ohren und an der Lende fest. Der Mann habe aus beiden Ohren geblutet. Dazu kommen Abschürfungen, Prellungen am Oberkörper und der Verdacht auf mehrere Rippenbrüche.

Die zwei einheimischen jungen Männer, sieht man im Video, beugen sich noch kurz über den auf dem Boden liegenden Eritreer. Dann ziehen sie ihre Jacken an und wollen gehen. Doch eine Patrouille der Zuger Polizei stoppt sie. Die beiden Männer geben den Polizisten an, von den Afrikanern beraubt worden zu sein, als sie am Bancomat Geld bezogen hätten. Sie zeigen diese an.

Eritreer hätten sie ausgeraubt

Diese Anzeige sei «wider besseres Wissen» geschehen, heisst es in der Anklageschrift. Deshalb werden sie auch der falschen Anschuldigung bezichtigt. Die Eritreer wurden verhaftet und waren rund 15 Stunden in Polizeigewahrsam.

«Es war Adrenalin im Spiel. Ich war wütend und hässig.»
Der beschuldigte A.R. vor Gericht

In der Einvernahme der Beschuldigten durch das Gericht sagten A.R. und D.M. beide öfters, dass sie sich schlecht erinnern könnten wegen des Alkohols und des Zeitabstands. Doch wenn es um Details ging, die sie belasteten, funktionierte das Gedächtnis plötzlich besser. Das entging dem Gericht nicht.

Wütender Richter

Der Kroate gab an, vom Eritreer zuerst gepackt worden zu sein und sich nur verteidigt zu haben. Das wirkte wenig glaubhaft. Weshalb einer der Richter kurz die Beherrschung verlor. Was das mit Verteidigung zu tun habe, wenn man jemanden gegen den Kopf trete, fragte er A.R.

Wer den Streit angefangen hat, ist weiterhin unklar. Auch der Prozess brachte keine Klärung, denn das Video ist tonlos. Laut der Staatsanwältin fingen der Kroate und der Schweizer an, gingen auf die Afrikaner zu und beschimpften diese heftig. Dafür gibt es aber nur einen Zeugen. Der Schweizer D.M. meinte vor Gericht, es könne schon sein, dass sie strafbare Ausdrücke gesagt hätten, sie seien halt betrunken gewesen.

Bei den Tritten gegen den Kopf erklärte A.R. zuerst, er habe gegen Beine und Bauch getreten. Als das Überwachungsvideo jedoch vorgeführt wurde, gaben er und sein Kumpel das Ganze allmählich zu. «Es war Adrenalin im Spiel», sagte der Kroate, er sei wütend und hässig gewesen, weil er angegriffen worden sei.

Opfer in Seitenlage gebracht

Am Schluss habe er sich über den reglosen Eritreer gebeugt, um zu sehen, wie es ihm gehe. «Ich habe den Nothelferkurs absolviert und gelernt, dass man den Menschen in die Seitenlage legen muss», sagte er. Dies sollte am Schluss eine geringe Strafminderung geben.

«Rücksichtslos und erbarmungslos prügelten und traten sie auf S.A. ein, als dieser schon auf dem Boden lag.»
Staatsanwältin Monika Häfliger

Dennoch: Staatsanwältin Monika Häfliger zeichnete ein sehr negatives Bild der zwei Angeklagten. Die Eritreer hätten den Einheimischen aus dem Weg gehen wollen. Die gelangweilten Beschuldigten seien offenbar «auf der Suche nach dem Kick» gewesen. «Rücksichtslos und erbarmungslos prügelten und traten sie auf S.A. ein, als dieser schon auf dem Boden lag.»

Der in Deutschland kursierende Begriff des «Tottretens» passe ihrer Meinung nach gut. Diese blindwütige Reaktion entspreche dem psychologischen Muster von Gewalttättern. Dazu kommt: Der Kroate hat verschiedene Vorstrafen wegen Körperverletzungsdelikten. Erst kürzlich habe er sich wieder mit einem Kontrolleur der ZVB in einem Bus angelegt, als er kein Billett hatte. Er habe diesen zum «Kampf» auf dem nahen Leichtathletik-Feld aufgefordert.

Der Schweizer hat laut der Staatsanwältin klar weniger Anteil am Geschehen im Bahnhof gehabt. Aber weder er noch sein Kollege hätten sich je beim Opfer entschuldigt. Das wäre dessen einziger Wunsch gewesen, er war am Prozess nicht interessiert.

Pflichtverteidiger kritisieren Untersuchung

Der Zürcher Pflichtverteidiger des Kroaten beantragte, seinen Klienten nur wegen falscher Anschuldigung zu verurteilen. Er bezeichnete die Anklage als «extrem einseitig». Es sei eine gegenseitige Auseinandersetzung gewesen, bei der beide Gruppen den Ort hätten verlassen können. Zudem kritisierte er, dass das Verfahren gegen zwei Eritreer wegen der Beteiligung am Raufhandel Ende 2015 frühzeitig eingestellt wurde. Der Anwalt: «Da wird nicht mit gleichen Ellen gemessen.»

Der Zuger Anwalt Reto Steinmann verteidigte den Schweizer. Auch er beantragte, seinen Klienten nur wegen der zugegebenen falschen Anschuldigung mit einer bedingten Geldstrafe zu bestrafen. Er habe ja eingestanden, gegen den Kopf der Etritreers getreten zu haben. Der Tritt sei «im Affekt» geschehen. Schwer oder lebensgefährlich verletzen wollen habe er nicht, er bereue die Tat.

Verfahrenseinstellung «unschön»

An der Urteilsverkündung nahm das Gericht auch Stellung zu den Kritiken. Die Einstellung des Verfahrens gegen die Eritreer sei «nicht ganz korrekt und unschön», sagte Verfahrensleiter Philipp Frank. Es sei jedoch nicht Sache des Gerichts, dies zu beurteilen, sondern die der Aufsichtsbehörde.

«Fest steht, dass im Bereich Kopf und Oberkörper gekickt wurde.»
Verfahrensleiter Philipp Frank

Das Gericht stützt sich bei seinem Urteil hauptsächlich auf das Überwachungsvideo ab. Die Rangelei zwischen A.R. und dem Eritreer S.A., die Fäuste und  Kicks seien unbestritten. Man sehe auch die Beteiligung von D.M. Umstritten sei aufgrund des Videos, ob der Eritreer wirklich in den Kopf getreten wurde. «Fest steht aber, dass im Bereich Kopf und Oberkörper gekickt wurde.» A.R. habe weit ausgeholt und mit Wucht zugeschlagen. Ob der Etritreer bewusstlos war, sei auch nicht klar.

Es sei auch denkbar, dass der Eritreer den Kroaten zuerst gepackt habe. «Doch wie Sie auf das Packen reagiert haben, ist keine angemessene Reaktion», meinte der Verfahrensleiter. Im Video sehe man eine konstante Steigerung der Gewalt. Die versuchte schwere Körperverletzung sei deshalb «brutal, rücksichtslos und verachtungswürdig».

Die falsche Anschuldigung wiege sehr schwer beim Strafmass, bis zu 20 Jahre könnten laut Gesetz blühen. Genau 12 Monate erhielten beide Beschuldigten dafür. «Aus präventiven Gründen», sagt der Richter.

Philipp Frank begründete die unbedingte Gefängnisstrafe für A.R. damit, dass dieser schon verschiedene Male wegen Körperverletzungsdelikten zu Geldstrafen verurteilt worden sei. «Unsere Vorgänger urteilten relativ milde.» Die 15 Monate Gefängnis müssten jetzt sein, damit er etwas lerne. 15 weitere Monate sind bedingt, bei einer Probezeit von vier Jahren. Dazu muss er ihn betreffende Verfahrenskosten tragen.

Schweizer nicht vorbestraft

Während der Kroate vorbestraft ist, liess sich der Schweizer bisher nichts zuschulden kommen. Zu seiner bedingten Freiheitsstrafe kommt eine bedingte Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu 120 Franken hinzu, die Probezeit beträgt bei ihm zwei Jahre. Er beteuerte mehrmals, dass ihm das Geschehene leid tue.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Staatsanwältin wird es akzeptieren, sagte sie. Der Strafverteidiger des Kroaten hat Berufung angekündigt, der andere Verteidiger wollte sich noch nicht äussern.

Der Osteingang des Bahnhofs Zug beim Metalli. Hier trafen die drei Eritreer auf den Kroaten und seinen Schweizer Kollegen.

Der Osteingang des Bahnhofs Zug beim Metalli. Hier trafen die drei Eritreer auf den Kroaten und seinen Schweizer Kollegen.

(Bild: mbe.)

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