Konflikt im Grünen

Freizeitspass gegen Wildschutz: Wem gehört der Wald?

Die Zuger Bevölkerung stimmt am 24. November über das neue Waldgesetz im Kanton ab. (Bild: wia)

Der Kanton Zug stimmt über ein neues Waldgesetz ab. Eigentlich geht es dabei auch um die Frage: Wie viel Störungen erträgt die Tierwelt?

«Wald für alle», steht auf den Plakaten, mit denen die IG Mountainbike Zug für ein Nein zum revidierten Zuger Waldgesetz wirbt. Die kantonale Abstimmung dazu findet am 24. November statt. Der Zuger Regierungsrat will mit dem neuen Gesetz unter anderem die Aktivitäten der Mountainbiker besser kanalisieren. Das Velofahren im Wald soll künftig nur noch auf Waldstrassen sowie auf den im Richtplan vermerkten speziellen Mountainbikerouten erlaubt sein. Dagegen wehrt sich die IG Mountainbike. Sie schreibt auf ihrer Webseite, dass das revidierte Waldgesetz alle Biker «massiv» einschränken würde: «Im Vergleich zum bestehenden Zustand sollen zu viele der existierenden Wege und Trails verboten werden.»

Der Abstimmung kommt weit über den Kanton Zug hinaus Bedeutung zu. Noch nie zuvor in der Schweiz konnte das Volk direkt an der Urne darüber entscheiden, wie die diversen Freizeitaktivitäten im Wald geregelt werden sollen. Anderen Kantonen steht diese Auseinandersetzung erst noch bevor. Die Stimmung ist auch andernorts angespannt. Die «Neue Zürcher Zeitung» spricht in Bezug auf die Zuger Abstimmung gar vom «Showdown» an der Urne.

Alle Vögel können von Störungen betroffen sein

Das «Wald für alle»-Plakat der IG Mountainbike Zug zeigt ein Reh, einen Hasen und einen Hund. Gilt das «Wald für alle» aber auch wirklich für alle? Auch etwa für den Waldlaubsänger? Dieser hübsche Vogel hat in der Schweiz mittlerweile den Status «verletzlich». Im Buch «Vogelarten der Schweiz» des Haupt-Verlags heisst es über diesen typischen Waldbewohner, dass es seit Ende der 80er-Jahre zu einem markanten Rückgang in siedlungsnahen Wäldern gekommen sei. Wahrscheinlich spiele dabei die teilweise intensive Nutzung des Waldes durch Erholungssuchende eine Rolle. Carine Hürbin von der Vogelwarte Sempach weist darauf hin, dass es bedeutend störungsanfälligere Vögel als den Waldlaubsänger gebe – etwa die Waldschnepfe oder das Auerhuhn. Gemäss einer Studie der Vogelwarte können aber alle Vögel von Störungen betroffen sein.

Manuel Sigrist, Präsident der IG Mountainbike Zug, sagt, mit dem Sujet möchte das Referendumskomitee zum Ausdruck bringen, dass die unterschiedlichen Ansprüche angemessen berücksichtigt werden sollten. Der Rückgang diverser Tierarten könne viele Ursachen haben und es sei einseitig, dies auf das Mountainbike zu schieben. Nach Ansicht von Manuel Sigrist könnten andere Faktoren wie die Siedlungsentwicklung, der Klimawandel oder auch die vielen Hauskatzen allenfalls sogar eine wichtigere Rolle spielen.

Routen auch in abgelegenen Gegenden: Ergibt das Sinn?

Fakt ist, dass sich die Zuger Bikecommunity auch Routen wünscht, die zum Teil in richtig abgelegenen und ruhigen Gebieten liegen. Dies lässt sich den Kartenausschnitten entnehmen, welche die IG ihrer Vernehmlassungsantwort zum Richtplanentwurf beilegte. Unter anderem gibt es da Routenwünsche in entlegenen Gebieten des westlichen Zugerbergabhangs (oberhalb von Oberwil/Räbmatt). Als Begründung, dass das Ganze kein Problem sei, führt die IG verschiedentlich die folgende Argumentation ins Feld: «Der Weg wird von Wanderern praktisch nicht begangen.» Da stellt sich die Frage, ob nicht genau das das Problem ist. Nicht aus Sicht der Wanderer, aber unter Umständen aus Sicht der Natur.

«Aktuell wurde unserer Ansicht nach das Mountainbiken als Prügelknabe auserkoren», entgegnet IG-Präsident Manuel Sigrist. «Wir Menschen sind alle Störfaktoren im Wald – manchmal mehr, manchmal weniger.» Die Lösung könne kein Schwarz-weiss sein. Als positives Beispiel nennt Sigrist die temporären Wegsperrungen im Gebiet Höhrohnen. Damit will der Kanton das selten gewordene Auerhuhn während der Balz- und Brutzeit schützen.

«‹Wald für alle› muss auch für die Tierwelt gelten»

André Guntern von Pro Natura Zug weist darauf hin, dass mit dem neuen Waldgesetz das Biken im Wald auf die im Richtplan bezeichneten Wege beschränkt werden soll. Die Liste der entsprechenden Routen wird erst nach der Abstimmung definitiv festgelegt werden. André Guntern sagt, dass die Anzahl und die Ausrüstung der Biker in den vergangenen 20 Jahren zu einer Erhöhung der Störungen von empfindlichen Lebensräumen geführt habe. Das vom Kanton mit dem Waldgesetz und dem Richtplan gewählte Vorgehen sei deshalb richtig. Der Kanton suche damit einen Ausgleich. Pro Natura unterstützt die Waldgesetzrevision des Kantons: Der von den Bikern propagierte Slogan «Wald für alle» müsse auch für die empfindliche Tierwelt gelten.

«Die Zunahme der Biker, die viel grössere Reichweite durch E-Bikes sowie die Ausrüstung mit starken Lichtstrahlern führen zu einer markanten Steigerung der Störungen empfindlicher Tiere im Wald», betont Pro-Natura-Zug-Präsident Guntern. «Diese Störungen treten vermehrt auch in der Nacht auf. Durch die hohen Tempi beim Abwärtsfahren werden die Tiere extrem überrascht, was zu panikartigem Fluchtverhalten führt. Die Störung der Wildtiere und Vögel durch Biker ist deshalb auch wesentlich stärker als diejenige durch Spaziergänger oder Wanderer, die auch nachts viel weniger häufiger unterwegs sind.» In ihrer Stellungnahme zum neuen Waldgesetz hatte Pro Natura Zug beantragt, dass Bikerouten durch Schutzgebiete und empfohlene Wildruhezonen zu streichen seien. Die IG Mountainbike hingegen hatte eine starke Erweiterung der zulässigen Bikerouten gewünscht.

Schon geringe Störungen haben negativen Einfluss

Livio Rey von der Vogelwarte Sempach sagt, Untersuchungen der Vogelwarte hätten gezeigt, dass schon geringe zusätzliche Störungen wie Spaziergänger einen negativen Einfluss auf die Vogelwelt haben können. Dies zeige auch eine Studie der Vogelwarte Sempach. Eine andere Studie ergab, dass selbst die weitverbreitete Kohlmeise sensibel auf Störungen reagiert. Dabei sei die Kohlmeise ein häufiger Brutvogel und grundsätzlich gut an menschliche Nähe angepasst, erklärt Livio Rey. «Umso mehr müssen solche Ergebnisse zu denken geben, wenn es um Störungen bedrohter und sensibler Arten wie etwa Raufusshühner geht.»

Livio Rey sagt, es sei zu begrüssen, dass eine breite Diskussion über die verschiedenen Nutzungsarten des Waldes geführt und im Richtplan verankert werde, dass diskutiert werde, wo welche Nutzung stattfinden solle. «Jede zusätzliche Nutzung, ob durch Wandern, Pilze suchen, freilaufende Hunde oder eben Biken kann aber eine Störung für die Tierwelt bedeuten, die im Wald ihr Wohnzimmer haben. Darum gilt es auch, Zonen zu definieren, wo die Natur möglichst sich selbst überlassen wird und keine oder eine möglichst geringe Nutzung stattfindet. Die Verschiebung von Biketrails auf wenig begangene Wanderwege kann also zu mehr Konflikten mit störungsanfälligen Tieren führen und ist daher aus Sicht der Tierwelt keine Lösung.»

Beispiel Gutschwald im Höhronengebiet

Das Waldnaturschutzgebiet Gutschwald ist das grösste Waldnaturschutzgebiet des Kantons Zug. Die waldbaulichen Massnahmen in diesem Waldnaturschutzgebiet werden hauptsächlich auf die Förderung des Auerhuhns ausgerichtet. Dieses ist gemäss «Roter Liste» in der Schweiz «stark gefährdet» und kommt im Kanton Zug nur in zwei Waldgebieten vor. Das Auerhuhn gilt sodann als Schirmart, sein Vorkommen zeigt zuverlässig die Präsenz anderer seltener und gefährdeter Gebirgswaldvögel an. Im Gutschwald sind dies Haselhuhn, Waldschnepfe («verletzlich»), Sperlingskauz, Dreizehenspecht und Ringdrossel («verletzlich»). Dazu schreibt Pro Natura Zug in ihrer Stellungnahme: «Störungen durch den Menschen können Auerhuhnpopulationen ohne Zweifel stark negativ beeinflussen. Es sollten deshalb in Auerhuhnlebensräumen keine Infrastrukturanlagen erstellt werden, die stetige oder massive Störungen verursachen.»

Die Verbreitung des Auerhuhns im Gutschwald konzentriert sich explizit auf den Gratbereich (der neu mit einer Bikeroute erschlossen werden soll) bis hinunter zur Gutschwaldstrasse (welche neu als Veloroute bezeichnet werden soll). «Geht man von einer Fluchtdistanz des Auerhuhns von durchschnittlich 50 Metern aus, wird dieser Waldstreifen von zirka 250 Metern Breite wegen der Störungen vom Auerhuhn nur noch etwa zu 60 Prozent genutzt werden können.» Es wäre deshalb gemäss Pro Natura Zug nicht nachvollziehbar, wenn – wie von der IG Mountainbike gewünscht – eine neue Bikeroute und eine neue Veloroute in dieses Waldnaturschutzgebiet hineingeführt würden. «Nicht nur wäre die in den letzten Jahren erfolgte Wiederbesiedlung des Gebiets durch das Auerhuhn gefährdet, auch die Gelder aus dem Waldnaturschutz zur Förderung des Auerhuhns könnten ihr Ziel nicht erreichen.»

Verwendete Quellen
  • Schriftlicher Austausch mit Manuel Sigrist, Präsident IG Mountainbike Zug
  • Schriftlicher Austausch mit André Guntern, Präsident Pro Natura Zug
  • Schriftlicher Austausch mit Carine Hürbin und Livio Rey, Vogelwarte Sempach
  • Schriftlicher Austausch mit Beate Kittl, Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft
  • Artikel der «NZZ»

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