1970 kam die überraschende Wende

Frauenstimmrecht: Wie war das noch einmal im konservativen Luzern?

Frauen demonstrieren für das Recht, zu stimmen. (Bild: Ausschnitt aus «Die göttliche Ordnung»)

Passend zum Internationalen Frauentag am Mittwoch bringt die Schweizer Kinokomödie «Die göttliche Ordnung» die späte Einführung des Frauenstimmrechts wieder ins Gespräch. Im konservativen Luzern überrascht der Blick zurück ins Jahr 1971.

«Die göttliche Ordnung», der neuste Kinofilm von der Regisseurin und Erfolgsgarantin Petra Volpe, greift den Kampf um das Frauenstimmrecht in der Schweiz auf. Am Montagabend fand in Luzern die Vorpremiere vor einem beigeisterten Publikum statt. Mit mehreren Nominationen für den Schweizer Filmpreis und Einladungen an – auch internationale – Filmfestivals kann man dem Film bereits vor dem offiziellen Start beträchtlichen Erfolg prophezeien.

Der von der Luzerner Firma Zodiac Pictures produzierte Film zeigt, wie Schweizer Frauen in einem kleinen Ostschweizer Dorf für ihr Recht kämpfen – und dabei vor allem mit festgefahrenen Rollenbildern, Ängsten und religiösen Argumenten kollidieren.

Die Regisseurin geht mit Galgenhumor einen Abschnitt der Geschichte an, der heute irritiert. Doch was viele nicht wissen: Der Kampf ums Frauenstimmrecht bietet nicht nur in der Ostschweiz einiges an Stoff, sondern auch in der Innerschweiz, zeigt ein Blick ins Staatsarchiv Luzern.

Wir schreiben das Jahr 1970. Luzern ist der dritte Deutschweizer Kanton, der das Frauenstimmrecht auf kantonaler und auf Gemeindeebene einführt. Ein paar Monate darauf brachte die nationale Abstimmung die Wende.

Eine andere Welt

In den 60er- und 70er-Jahren lebte der Grossteil der Frauen in der Schweiz noch nach einem traditionellen Rollenbild. Ein Leben als Mutter und Hausfrau stand im Vordergrund, ein Beruf wurde oft nur vor der Famliengründung ausgeübt und war eher nebensächlich. Nicht nur in ländlichen Gegenden zeigten sich daher kaum Frauen politisch engagiert.

Die Gegner des Frauenstimmrechts befürchteten lautstark, die stimmberechtigte Frau würde ihre Mutterrolle vernachlässigen und ihre Weiblichkeit verlieren. Auch das Bewahren der zarten Frau vor dem schmutzigen Geschäft der Politik war ein Argument. Und selbstverständlich wurde auch gemutmasst, Frauen seien von ihrer Natur aus – vom Aufbau ihres Gehirns her beispielsweise – nicht in der Lage, die Geschäfte des Staates zu verstehen.

Die Gegner des Fraunstimmrechts argumentierten vor allem mit der Rolle der Hausfrau und Mutter, welche die Frau bei politischer Mitsprache vernachlässigen würde.

Die Gegner des Fraunstimmrechts argumentierten vor allem mit der Rolle der Hausfrau und Mutter, welche die Frau bei politischer Mitsprache vernachlässigen würde.

Nein – aus Gründen.

Nein – aus Gründen.

Die feine Art der Frau

Eine Arbeit der Lehrerin Doris Vonwyl über die Einführung des Frauenstimmrechts im Kanton Luzern aus dem Jahr 1988 nimmt das Thema genauer unter die Lupe. Sie hat darin nicht nur die politische Entwicklung in Luzern, sondern auch deren Beobachtung in der Presse genauer untersucht. Ein Thema ist dabei natürlich die Argumentation der Gegner.

Die damalige vehemente Luzerner Verfechterin des Frauenstimmrechts und später eine der ersten Ständeratspräsidentin, Josi Meier, sagt im Interview mit Vonwyl beispielsweise: Immer wieder begegne sie dem Argument, «die Frau würde unter Männern von ihrer feinen Art einbüssen». Und weiter:

Wuchtiges Nein Ende der 50er-Jahre

Bei Abstimmungen in den Jahren 1959 und 1960 hatte das Frauenstimmrecht im Kanton Luzern noch keine Chance. 1959 stimmten im Kanton Luzern rund 80 Prozent und in der Stadt 65 Prozent gegen das Frauenstimmrecht. 1960 waren es auf Gemeindeebene nur unwesentlich weniger: im Kanton 55 Prozent und in der Stadt 62 Prozent. «Wuchtig verworfen», titelten die Zeitungen damals.

Es sei für die meisten Luzerner Männer wohl zu viel des Guten, das «unbeschränkte Frauenstimmrecht» einzuführen. «Davon wollte der Bürger nichts wissen«, schrieb das «Luzerner Tagblatt» am 5. Dezember 1960. Es bleibe zu prüfen, wie weit und in welcher Form das Mitspracherecht der Frau in vermehrtem Masse verwirklicht werden könne.

Zehn Jahre später ist alles anders

Überraschend aus heutiger Sicht ist daher, dass zehn Jahre später das eher konservative Luzern als dritter Deutschweizer Kanton das Frauenstimmrecht auf Kantons- und Gemeindeebene einführte – ein paar Monate früher als auf nationaler Ebene.

Im «Grossen Rat» des Kantons Luzern wurde wenige Monate vor der kantonalen Abstimmung dazu schriftlich festgehalten: «Der Zug der Zeit drängt unverkennbar zur vollen politischen Gleichberechtigung», ist zu lesen. Auch der Kanton Luzern könne sich dieser Entwicklung auf Dauer nicht entziehen, «sondern muss früher oder später den Frauen die gleichen politischen Rechte einräumen». Und so kam es auch.

Klare Annahme schon 1970

Am 25. Oktober 1970 nahmen die Stimmberechtigten des Kantons Luzern das Frauenstimmrecht auf Kantons- und Gemeindeebene überraschend deutlich mit 25’170 Ja- zu 14’781 Nein-Stimmen an. Auf nationaler Ebene folgte das Frauenstimmrecht am 7. Februar 1971. Dabei stimmten im Kanton 29’459 Ja und 17’512 Nein.

«Wir heissen die Frauen unseres Kantons als nunmehr politisch mitverantwortliche Mitbürgerinnen herzlich willkommen und freuen uns auf die Zusammenarbeit mit ihnen», schliesst einer der Artikel am Tag nach der Abstimmung. Eine massive Veränderung zu den Reaktionen und den Ergebnissen zehn Jahre zuvor. Die Stimmbeteiligung fiel jedoch 1971 um ganze 20 Prozent tiefer aus als bei der Abstimmung zum selben Thema 1959.

Zudem: Wäre das Amt Entlebuch jedoch ein eigener Kanton, hätte man hier wahrscheinlich ähnlich wie im Kanton Appenzell-Innerhoden noch lange auf das Frauenstimmrecht warten müssen. Im Entlebuch stimmten 1’343 für das Frauenstimmrecht, 1’744 hingegen waren dagegen.

Wie bereits in den Abstimmungen davor wehrte sich der «Bund der Luzernerinnen gegen das Frauenstimmrecht» aber auch 1970 noch gegen die eigenen Rechte.

Warum der Wandel?

Die Mehrheit der Luzerner – und schliesslich auch der Schweizer – hatte zwischen 1960 und 1970 seine Meinung geändert. Die Frage nach dem Warum lässt sich nicht so leicht beantworten.

Sicher gingen die 68er-Bewegung, die «Befreiung der Frau» und der Sexualität auch nicht spurlos an der Schweiz vorüber. Doch auch das passive Wahlrecht für die Frau, welches sich seit Anfang des 20. Jahrhunderts stetig ausdehnte, trug seinen Teil dazu bei.

Davon spricht auch Josi Meier im Interview mit Vonwyl. Sie nennt es «erste Aufweicherscheinungen» in den 60er-Jahren. Frauen seien vermehrt in Kommissionen aufgenommen worden, Parteien gründeten Frauengruppen. In der Welschschweiz, im Tessin und den beiden Basler Kantonen wurde das Frauenstimmrecht eingeführt. Alles Entwicklungen, die dem Spätzünder Schweiz doch noch zu diesem wichtigen Schritt auf dem Weg der Gleichberechtigung verhalfen.

zentralplus hat den beiden Luzerner Produzenten von «Die göttliche Ordnung» – Reto Schärli und Lukas Hobi – bei der Vorpremiere auf den Zahn gefühlt. Den Artikel lesen Sie am Wochenende hier bei uns.

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