Dominik Flammer zu Gast beim Genuss-Film-Festival

Foodscout: «Warum gibt es eigentlich kein Kirschtortenglace in Zug?»

Dominik Flammer ist ein gefragter Foodscout und Kenner der Alpenküche. (Bild: wia)

Für einmal holten die Macher des Genuss-Film-Festivals keinen Gastronomen ans Podiumsgespräch. Dominik Flammer ist nicht nur Foodscout, sondern auch Experte für kulinarische Geschichte. Er zeigte sich leicht entsetzt über das Zuger Glaceangebot, stellte uns dafür ein Zug-spezifisches Frühstücksmenü zusammen.

Dass Dominik Flammer an diesem Tag bereits sein viertes Interview gibt, merkt man daran, dass er im Flow zu sein scheint. Der Foodscout, der am Freitag beim Podiumsgespräch am Genuss-Film-Festival dabei ist, spricht schnell. Als versuchte er, so viele Informationen wie möglich ins Interview zu quetschen. Kein Wunder, denn es gibt viel Wissen zu teilen.

Gelangweilt wirkt Flammer trotz grossem medialem Interesse nicht. Der Ökonom, der sich auf die Geschichte von Lebensmitteln im Alpenraum spezialisiert hat, spricht mit viel Begeisterung über vergessene, vor allem jedoch über neu entdeckte und weiterentwickelte Speisen.

Ihm zuzuhören macht Lust auf Essen. Lust darauf, Neues auszuprobieren und unerhörte Kombinationen zu wagen.

Ein Novum in Stans aufgebaut

Gerade erst hat Dominik Flammer mit dem Culinarium Alpinum in Stans ein Novum aufgebaut. Was für Lateinferne wie ein katholisches Knabengymnasium klingt, ist in Tat und Wahrheit ein Ort, wo man sich innig mit dem Essen im Alpenraum befasst. Käseprofis, Sommeliers, Spitzenköche und auch Verbände sollen hier zusammenkommen, um die Zukunft des kulinarischen Kulturraums zu gestalten.

Eine komplexe Angelegenheit, denn schliesslich gibt es nicht «den Alpenraum» per se. In jeder einzelnen Region der Schweiz wurde seit je her anders gegessen, je nachdem, was halt gerade verfügbar war. «Es liegt auf der Hand, dass in Zug, wo die Kirsche einen derartigen Stellenwert geniesst und es früher 50 Brennereien gab, eine Bäckerei auf die Idee gekommen ist, eine Kirschtorte zu kreieren», sagt Flammer. «Oder dass man in Graubünden mit seinen wandernden Zuckerbäckern eher auf Nussschnaps und Nusstorte setzte.»

Der Foodscout erklärt fasziniert: «Jede Region hat ihre speziellen kulinarischen Bedürfnisse, die durch Politik, Geografie und die Offenheit der dort lebenden Menschen bestimmt wurden.»

«Ich hatte Panik, dass ich dann irgendwo als Geschichtslehrer enden würde.»

Dominik Flammer, Foodscout

Spannend: Wohl hat sich der gebürtige St. Galler immer schon für Ernährungsgeschichte interessiert, doch sei es für ihn nie infrage gekommen, eine Koch-Lehre zu absolvieren oder Geschichte zu studieren. «Ich hatte Panik, dass ich dann irgendwo als Geschichtslehrer enden würde», sagt Flammer. «Nach meinem Publizistikstudium studierte ich in St. Gallen Wirtschaft. Und letztlich ist Wirtschaftsgeschichte nichts anderes als das Dach der Ernährungsgeschichte.»

So divers wie in den Alpen ass man kaum sonst wo

Die Schweizer Küche wird immer wieder als Küche der armen Leute bezeichnet. «Das ist falsch», so Flammer dezidiert. «Jedenfalls stimmt es nicht eher als in allen anderen Ländern. Klar gab es die Küche der gehobenen Schicht und jene der armen Leute.» Doch, so erklärt er, sei die Ernährung im Alpenraum gleichzeitig auch vielfältiger gewesen als andernorts. Schon früh kannte man diverse Obstsorten, ass verschiedene Getreide- und unterschiedliche Fleischsorten, vom Schwein über die Taube bis hin zum Wild.

«Wegen der geografischen Gegebenheiten war es in den Alpen nicht möglich, grosse Monokulturen anzubauen. Die Bevölkerung ass daher alles Mögliche, was es halt in der Region gab», sagt Flammer. Und führt aus: «Anders als etwa in Süditalien, wo bis in die 30er-Jahre primär Polenta gegessen wurde. Zwar wurde in Norditalien Reis angebaut, doch führten die Wirtschaftswege in die Nachbarländer und nicht in den Süden des eigenen Landes.» Eindrücklich zeige das ein Rezept für Osterchüechli aus dem 17. Jahrhundert, bei dem bereits Reis auf der Zutatenliste steht. Schon damals also hatten die Schweizer Zugang zu diesem Getreide.

«Im 18. Jahrhundert assen Schweizer Familien jährlich 30 Kilogramm Flusskrebse.»

Ein weiterer Ernährungs-Fun-Fact: «Im 18. Jahrhundert assen Schweizer Familien jährlich 30 Kilogramm Flusskrebse, so zahlreich waren sie vorhanden», erzählt Flammer.

Der Grund, warum diese grosse Diversität in unseren Breitengraden abgenommen hat? «Ganz einfach: die Globalisierung», so der Foodscout. Weil der Import von Lebensmitteln vereinfacht wurde, war der Anbau gewisser weniger ertragreich oder schwieriger anzubauenden Sorten in der Schweiz nicht mehr nötig.

Das Bindeglied zwischen Bauern und Gastronomen

Apropos Foodscout: Was tut ein solcher eigentlich genau? Dafür sorgen, dass die regionale Küche nicht vergessen geht. «Mich interessiert nicht die Tradition per se. Ich möchte sie jedoch kennen, um sie weiterzuentwickeln.» Viele Gastronomen hätten für solche innovativen Ansätze schlicht zu wenig Zeit und keine Kapazität, sich neues kulinarisches Know-how anzueignen. «Ausserdem wird man, wenn man selber in einem Betrieb arbeitet, kellerblind. Sprich: Man glaubt, was man macht, sei das Beste, und sucht gar nicht mehr nach neuen Ansätzen.»

Deshalb ist er es, der lokale Betriebe aufsucht, mit Bauern, Metzgern und Käsern spricht, sich von Altem inspirieren lässt und kulinarisches Potenzial ertastet. Dieses trägt er dann an Gastronomen heran. «Ich schliesse quasi die Kette zwischen Bauern und Gastronomen.»

Früher ein Profi der exotischen Küche

Nicht immer lag Flammers Fokus auf der Region. Im Gegenteil. 15 Jahre lang betrieb er eine Kochschule mit Fokus Thailand, Libanon und Ceylon. «Irgendwann realisierte ich jedoch, dass ich zwar jedes Annonengewächs kannte, doch über die Schweizer Küche nur sehr wenig wusste.»

Mittlerweile hat sich der Wind gedreht. So sehr, dass Flammer nun findet: «Die Schweizer Küche ist nicht gleich regionale Küche. Regionale Küche kommt für mich wirklich aus einer deutlich kleineren geografischen Umgebung.» Ein Beispiel? Kurzerhand schüttelt Flammer ein «regionales Zuger Frühstück» aus dem Ärmel, das Hotels ihren Reisenden anbieten könnten. «Es wäre doch etwa möglich, dem Gast ein Brot aus Zuger Getreide anzubieten. Dazu drei verschiedene Kirschkonfitüren, geräucherten Rötel mit Chriesisenf, ein Stück Chriesiwurst.»

Überhaupt ist der Gastro-Spezialist erstaunt darüber, dass man aus den hiesigen Spezialitäten nicht mehr mache. «Warum gibt es eigentlich bei den Zuger Gelaterias nicht drei verschiedene Chriesiglaces oder ein Kirschtortenglace?», wundert er sich.

Nicht nur der Elite vorbehalten

Gastronomen neue kulinarische Wege schmackhaft machen, alte Macharten reanimieren, um den Gästen aufregende, noch nie dagewesene Geschmackserlebnisse zu bieten: Das klingt, als würde nur die Elite davon profitieren.

«Nun, viele Lebensmittel entdecke ich in Hofläden und bringe sie dann in die Gastroküche. Daher ist das nicht als elitär zu werten.» Flammer gibt ausserdem zu bedenken, dass fast alle Konsumenten heutzutage bereit seien, einen gewissen Preis zu zahlen, um ein gutes Produkt zu erhalten. «Praktisch in jedem Haushalt gibt es Olivenöl extra vergine. Dabei gäbe es beim Grossisten auch Olivenöl für 1.40 Franken zu kaufen.»

Eine ähnliche Beobachtung macht der Foodscout beim Honig. «Viele Kunden kaufen statt eines Kilos ein kleines Gläschen, sind jedoch bereit, mehr dafür zu zahlen, da es sich beispielsweise um Kastanienhonig handelt. Auch verkaufen sich Pro-Specie-Rara-Gemüsesorten je länger je besser. Es findet demnach eine Entwicklung statt, die nicht nur der Elite vorbehalten ist.»

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