Gesellschaft
Dozentin der Hochschule Luzern im Interview

Flug, Fleisch, Feuerwerk – Warum uns Verzicht schwerfällt

Worauf die Psychologin Sarah Seyr selbst nicht verzichten kann: Schokolade. (Bild: mik)

Der Nachhaltigkeit wegen verzichten Gemeinden wie Zug oder Luzern inzwischen auf Feuerwerk. Trotzdem zünden heute Abend so einige ihre Raketen. Im Interview erklärt die Wirtschaftspsychologin Sarah Seyr, wieso uns der Verzicht schwerfällt.

Mit Wasserfontänen und Videoprojektoren ersetzten die Veranstalter des Zuger Seefests das traditionelle Feuerwerk – aus ökologischen Gründen. Auf der anderen Seite soll heute Abend «das grösste Feuerwerk, das je im Kanton Zug abgefeuert wurde», über dem Zuger Seebecken leuchten (zentralplus berichtete). Das Spektakel spaltet die Gemüter: Während beispielsweise SP- und ALG-Politiker das kritisieren, freuen sich einige zentralplus-Leserinnen in der Kommentarspalte auch darüber.

Doch nicht nur über dem Salesianum, sondern auch über so manchem Garten in der Zentralschweiz dürften heute Abend Raketen «chlöpfen» oder ein Cervelat auf dem Grill brutzeln. Warum fällt es uns so schwer, auf Dinge wie Fleisch, Feuerwerk oder auch den Flug in die Sommerferien zu verzichten? Die Wissenschaft beschreibt das Phänomen unter anderem mit dem «intention-behavior gap» – also einer Absichts-Verhaltens-Lücke. Wir wissen, dass es ökologisch sinnvoll wäre, statt des Cervelats einen Maiskolben zu grillieren. Doch wir tun es wider besseres Wissen nicht.

Auf der Suche nach Antworten trifft sich zentralplus mit Sarah Seyr, Dozentin an der Hochschule Luzern für Wirtschaftspsychologie. In einer qualitativen Studie hat sie kürzlich 30 Personen aus der Zentralschweiz im Alter von 18 bis 64 Jahren intensiv interviewt. Dabei kam heraus, dass diese zwar bis zu einem gewissen Punkt bereit sind, der Nachhaltigkeit halber auf Dinge wie Fleisch oder Fliegen zu verzichten. Aber nicht auf alles.

zentralplus: Frau Seyr – warum können wir so schlecht auf Dinge wie Fleisch, Feuerwerk oder Flüge verzichten?

Sarah Seyr: Es scheitert meist nicht am Wissen darüber, dass diese Dinge klimaschädlich sind. Was ab und zu bei unseren Befragten fehlte, war das Problembewusstsein. Doch auch die, die sich dessen bewusst waren, wollten nicht auf alles verzichten. Damit wir uns trotzdem nicht schlecht fühlen, suchen wir nach Ausreden. So hatten die Befragten auch Rechtfertigungen parat, um in bestimmten Bereichen nicht nachhaltig zu sein.

zentralplus: Was wollten die Befragten nicht missen?

Seyr: Das war sehr individuell. Doch die meisten machten sich sehr viele Gedanken zur Mobilität, etwa zum Auto oder zu Flügen. Andere wollten nicht auf Fleisch verzichten. Viele der Themen, bei denen sich die Befragten Gedanken machten, waren Themen, die in der Öffentlichkeit diskutiert werden oder in den Medien präsent sind. Welche Folgen übermässiger Avocado-Konsum in den Herkunftsländern hat, dürften viele bereits gehört haben. Jetzt, zum 1. August, ist natürlich auch Feuerwerk ein Thema.

zentralplus: Worauf können Sie persönlich nicht verzichten – wider besseres Wissen?

Seyr: Schoggi. Ich esse jeden Tag Schokolade, obwohl ich weiss, dass Kakao nicht hier wächst. Zwar achte ich insofern auf mein Verhalten, dass ich nachhaltige und fair produzierte Schokolade kaufe. Wo ich dafür auf Ausreden zurückgreife, sind Restaurants: Ich kann nicht wissen, woher mein Fondant oder meine Schokoladenmousse stammt. Wenn ich mich mit Intransparenz herausrede, haben alle Verständnis.

zentralplus: Nebst mangelnder Transparenz: Wie rechtfertigen wir unser Verhalten?

Seyr: Die Rechtfertigungen verteilen sich auf drei Bereiche: Meist geht es um ökonomische Rationalisierung. Das sind Aussagen wie, dass die nachhaltigere Variante von schlechterer Qualität ist oder ich mir die Bio-Produkte schlicht nicht leisten kann. Die häufigsten Ausreden drehen sich darum, Zeit und Geld zu sparen. Der zweite Bereich ist institutionelle Abhängigkeit, wo auch Intransparenz hineinfällt. Hier rechtfertigen wir uns mit der Tatsache, dass wir etwa keinen Überblick über die gesamten Lieferketten eines Produkts oder einer Firma haben.

zentralplus: Und weiter?

Seyr: Der letzte Bereich ist Entwicklungs-Realismus. Wenn man beispielsweise Kleider kauft, bei denen man weiss, dass die Näherinnen dabei ausgebeutet werden, fallen Sätze wie: «Die Welt ist nun mal nicht gerecht.» Häufig wird auch abgewogen und nicht nachhaltiges Verhalten damit erklärt, dass man schon in anderen Bereichen verzichtet.

zentralplus: Also quasi: Ich reise für meine Irland-Ferien mit dem Zug statt mit dem Flieger, gönne mir dafür aber ein «Irish Stew» mit Lammfleisch?

Seyr: Genau. Man kann es so zusammenfassen: Wir verspüren eine gewisse Ohnmacht gegenüber der Nachhaltigkeit. Komplett nachhaltig zu leben, ist für uns zu viel verlangt. Es kostet zu viel und dauert zu lange. Wir sind auf Kosten des Planeten verwöhnt.

zentralplus: Wie können wir dieser Ohnmacht begegnen?

Seyr: Zuerst braucht es Aufklärung. Konsumentinnen und Konsumenten brauchen Informationen, um zu wissen, was nachhaltig ist und was nicht. Danach geht es darum, die eigenen Rechtfertigungen zu hinterfragen: Nur weil es für die Familienferien bequemer ist, muss man nicht fliegen. Dieses ständige Hinterfragen ist aber anstrengend. Am einfachsten verändern wir unser Verhalten, wenn die gute Alternative auch die einfachere ist. Die nachhaltige Wahl sollte zur naheliegendsten Wahl werden, beispielsweise indem das Bio-Müsli vorne ins Regal gepackt wird. Wir brauchen zwar noch viele Ideen, um für jedes Verhalten eine nachhaltige Alternative zu haben. Aber da vertraue ich auf die Innovationskraft der Schweiz.

Wer kennt ihn nicht, den markanten Zytturm, das Zuger Wahrzeichen.
Die Alternative zum Feuerwerk am Zuger Seefest, Zug Magic, begeisterte etwa mit einer Projektion des Zytturms. (Bild: hch)

zentralplus: Aber für Fleisch gibt es inzwischen auch Ersatzprodukte und für das Spektakel eines Feuerwerks Dinge wie die Wasser- und Multimedia-Show in Zug (zentralplus berichtete) …

Seyr: Dann stimmt die Alternative nicht für alle. Die einen feiern die neue Wassershow, die anderen sind sich Raketen zu sehr gewohnt, oder verbinden damit viele Erinnerungen. Oder beim Beispiel Fleischessen: Sich zwischen Varianten entscheiden zu müssen, macht den Griff ins Kühlregal für die Konsumenten komplexer. Und wenn wir überfordert sind, neigen wir dazu, uns einen Anker zu suchen und beim Altbewährten zu bleiben. In dem Fall das Steak statt des Tofu. Entscheidungen auf persönlicher Ebene sind dabei meist schwieriger als Entscheidungen auf gemeinschaftlicher Ebene. Wenn wir Fleischessern vorschlagen, stattdessen die Bedingungen auf den Tierhöfen zu verbessern, wehren sich wohl wenige dagegen.

zentralplus: Wie sinnvoll erachten Sie in diesem Zusammenhang Verbote oder Einschränkungen – wie das in der Stadt Zug oder auch in der nationalen Feuerwerks-Initiative diskutiert wird?

Seyr: Je mehr es um persönliche Entscheidungen und den persönlichen Freiraum geht, desto weniger sollte die Politik involviert sein. Wenn mir jemand sagen würde, ich darf meine Füsse nicht auf meinen Sofatisch legen, hätte ich eine Trotzreaktion. Aber je mehr es ums Allgemeinwohl und die Öffentlichkeit geht, desto eher soll sich die Politik um Entscheidungen kümmern. Beispielsweise beim Feuerwerk: Kaum jemand kann glaubhaft sagen, sie fühle sich im Alltag eingeschränkt, wenn sie kein Feuerwerk sehen kann.

zentralplus: Solche Einschränkungen oder ständige Aufklärung werden auch als Bevormundung wahrgenommen. Was sagen Sie dazu?

Seyr: Sobald wir aufhören zu informieren und ins Bevormunden kippen, sinkt die Akzeptanz. Wenn wir mit reinen Fakten wie «Avocados brauchen viel Wasser» aufhören und Leuten vorschreiben wollen, wie sie ihr Leben zu führen haben, gibt es Gegenreaktionen. Meistens funktioniert der konstruktive Weg besser, wenn man informiert und gute Varianten zeigt.

zentralplus: Welche Rolle spielen dabei die Medien?

Seyr: Die spielen natürlich eine grosse Rolle, gerade dabei, wie wir uns informieren. Wenn diese einem Massenpublikum und Klicks hinterherrennen, setzen sie auf Emotionen. Und diese Emotionen werden oft durch Polarisierung hervorgerufen. Leute, die sich fürs Klima auf die Strasse kleben, landen öfter in den Schlagzeilen als beispielsweise die kamerascheue Biologiestudentin, die seit fünf Jahren im Labor wirklich etwas nachhaltig verändert. Die hochstilisierten Botschaften ermüden uns schneller. Wenn Themen wie Klima oder Nachhaltigkeit ad absurdum geführt werden, reicht es den Leuten irgendwann.

Verwendete Quellen
Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.


Apple Store IconGoogle Play Store Icon