Zugriff ging gründlich in die Hosen

Fall Malters: Urteil des Bezirksgerichts lässt Fragen offen

Oskar Gysler, der Anwalt des klagenden Sohnes, gibt den Medien vor dem Kantonsgericht Auskunft.

(Bild: giw)

Der Polizeieinsatz in Malters, der mit dem Tod einer psychisch kranken Frau ein tragisches Ende nahm, lässt Fragezeichen offen. Das schriftliche Urteil belegt, wie kläglich die Polizei beim Zugriff scheiterte. Ob das Urteil weitergezogen wird, zeigt sich in den nächsten Wochen.

Ende Juni wurden Polizeikommandant Adi Achermann und Kripo-Chef Daniel Bussmann vom Verdacht der fahrlässigen Tötung freigesprochen (zentralplus berichtete). Nun liegt das schriftliche Urteil zum Fall Malters vor. Doch die Kritik am Vorgehen der beiden höchsten Polizisten dürfte nicht so schnell verstummen, Fragezeichen bleiben.

«Dass man von einer Intervention die Finger lassen solle, wollte man nicht hören.»

Ehemaliger Luzerner Polizeipsychologe

Ein wichtiger Punkt der Anklage war, ob der Zugriff auf die psychisch kranke Frau die sicherste Variante war, um das Leben der psychisch labilen Frau zu schützen. Hier geht aus dem Urteil hervor, dass die Polizeiführung die Empfehlungen der Experten nicht berücksichtigte. Denn die Verhandlungsgruppe riet von einen Zugriff ab und empfahl Bussmann, weiter zu verhandeln. Die Experten vertraten die Meinung, dass bei einer Intervention eine grosse Gefährdungslage herrsche.

«Sohn spinnt in der Zelle»

Der zugezogene Polizeipsychologe sagte gegenüber den Untersuchungsbehörden: «Im Nachhinein, nach dem Einsatz, habe ich realisiert, dass man von mir vor allem hat hören wollen, dass die Frau unberechenbar und gefährlich ist. Aber dass man von einer Intervention zu diesem Zeitpunkt die Finger lassen sollte, wollte man nicht hören.» Das Gericht kommt zwar auch zum Schluss, dass keine unmittelbare Dringlichkeit für den Zugriff bestanden habe. Ein weiteres Zuwarten wäre möglich gewesen. Dies heisse aber nicht, dass der Zugriff unverhältnismässig gewesen sei.

Ein weiterer zentraler Vorwurf der Anklage: Die Beschuldigten hätten nicht ernsthaft geprüft, ob der Sohn als Verhandler hätte beigezogen werden können, da dieser eine enge Beziehung zu seiner Mutter hatte. Hier folgte das Gericht klar der Argumentation der Luzerner und Zürcher Polizei, die von einem Einbezug des sich in Untersuchungshaft befindlichen Sohnes abriet. So informierten die Zürcher die Luzerner: «Sohn spinnt in der Zelle», am Vormittag des gescheiterten Zugriffs.

Ausserdem habe der Sohn und gleichzeitige Vormund seine Mutter bewaffnet. Für das Gericht ist deshalb verständlich, weshalb man den den Beizug des Sohnes nicht in Erwägung zog: «Nach dem Gesagten ist jedenfalls nicht von einer begründeten Erfolgsaussicht auszugehen.»

Der Plan scheiterte kläglich

Aus den Gerichtsunterlagen geht auch hervor: Der Plan der Polizei ging gründlich in die Hose. In einer erste Phase sei es der Plan gewesen, die Frau in einen definierten Sektor der Wohnung heranzuführen und sie mittels der Verhandlungsgruppe am Telefon zu binden. In der zweiten Phase hätte man draussen eine Ablenkung parat gehabt, um die Aufmerksamkeit der Frau mittels Knall und Feuer darauf zu lenken. Währenddessen hätte die Tür aufgehen, ein Zugriffshund reingehen und die Frau mit einem Biss blockieren sollen, um den Suizid zu verhindern. Man habe gewollt, dass sich die Frau in einem bestimmten Sektor aufhalte, damit der Hund sie dann auch finde.

Doch der Plan scheiterte kläglich. Vor dem Zugriff brachte man eine hydraulische Presse an der Tür zum Haus an – diese öffnete sich zu früh, was Rösli möglicherweise bemerkte. Die Tür ist aufgegangen, als das «GO» für den Zugriff noch nicht gegeben worden und auch die Ablenkung noch nicht gezündet worden war. Danach oder davor, da sind sich die Zeugen nicht sicher, fiel im Innern der erste Schuss. Auch der Versuch, die Frau mittels Telefonanruf an einen Ort zu binden misslang, eine Verbindung kam nicht zustande. Das «Go» für den Hundeeinsatz erfolgte nach der Schussabgabe. Das Ablenkungsfeuerwerk wurde von der Interventionseinheiten im Haus aufgrund des Gehörschutzes jedoch nicht bemerkt.

Der ausserordentliche Staatsanwalt Christoph Rüedi nimmt zum Freispruch von Achermann und Bussmann Stellung.

Der ausserordentliche Staatsanwalt Christoph Rüedi nimmt zum Freispruch von Achermann und Bussmann Stellung.

(Bild: giw)

 

20 Tage Bedenkzeit für Anklage

Als der Hund letztlich zum Zug kam, war er erst am Türeingang drei bis fünf Sekunden durch die Kabel der hydraulischen Presse absorbiert. Danach ging das Tier mehrmals ein und aus, ohne auf die Frau zu treffen. Danach war es bekanntlich zu spät, Frau und Katze lagen beide tot im Badezimmer der Wohnung. Er sei in eine Stöberlage gegangen, noch einmal zurückgekommen und wieder hineingeschickt worden.

Das Gericht erachtet jedoch das Vorgehen der Polizei als verhältnismässig, ein unerlaubtes Risiko sei sie mit dem Zugriff nicht eingegangen. Der Zugriff war in der Beurteilung des Gerichts am ehesten geeignet, die potentielle Drittgefährdung zu beenden, die Hausdurchsuchung durchzuführen und den rechtmässigen Zustand wieder herzustellen.

Der ausserordentliche Aargauer Oberstaatsanwalt Christoph Rüedi und der Vertreter des privatklagenden Sohnes äussern sich zu diesem Zeitpunkt nicht zum Urteil. Ob sie das Urteil weiterziehen, ist derzeit offen. Es bleibt der Klägerschaft 20 Tage Zeit, ihren Einspruch einzulegen, bis der Entscheid des Gerichtes rechtsgültig ist.

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