Polizeikader zum zweiten Mal vor Kantonsgericht

Fall Malters: Das steht im lang erwarteten psychiatrischen Gutachten

Polizeikommandant Adrian Achermann betritt mit seinem Anwalt das Kantonsgericht Luzern.

(Bild: ber)

War die Frau, die sich im März 2016 bei einem Polizeieinsatz in Malters das Leben nahm, zurechnungsfähig oder nicht? Das ist die Frage, um die es am zweiten Verhandlungstag vor dem Kantonsgericht geht. Ex-Kripo-Chef Daniel Bussmann und Polizeikommandant Adi Achermann sind wegen fahrlässiger Tötung angeklagt.

Auf dieses psychiatrische Gutachten hat man lange gewartet, nun liegt es vor. Nachdem das Bezirksgericht Kriens noch der Meinung war, die Frage nach der Zurechnungsfähigkeit der Frau müsse nicht weiter abgeklärt werden, kam das Kantonsgericht von sich aus zu einem anderen Schluss und gab ein solches Gutachten in Auftrag (zentralplus berichtete).

In dem 84-seitigen Bericht erfährt man vieles über die Frau, die 2016 bei einem Polizeieinsatz in Malters das Leben verlor. Und doch ist es nur eine Annäherung, die Experten mussten sich auf frühere Arztberichte und spätere Aussagen stützen. Die Betroffene selber kommt in Aussagen zu Wort, die sie vor Jahren gegenüber Ärzten gemacht hatte.

Mehrere Familienmitglieder litten an psychischen Krankheiten

Bereits als sie 17 Jahre alt war, wurde die Frau psychiatrisch begutachtet und entmündigt. Als jüngstes von sechs Kindern geboren, verlor sie als 12-Jährige ihren Vater.

In der Familie waren psychische Erkrankungen verbreitet. Die Mutter der Frau litt an Depressionen. Ein Bruder war ebenfalls depressiv, eine Schwester litt an einer «Mischpsychose» und bei einem weiteren Bruder wurde Schizophrenie diagnostiziert. Dieser nahm sich 1980 das Leben.

Die Frau hatte eine Ausbildung zur Coiffeuse gemacht. Mit 19 Jahren wurde sie schwanger, heiratete und bekam einen Sohn. Schliesslich machte sie eine Weiterbildung zur Fahrlehrerin und gründete eine eigene Fahrschule. In dieser Zeit zeigten sich keine psychischen Auffälligkeiten.  

Furcht vor vergifteter Pizza

Bei einem Ferienaufenthalt im Burgund bemerkte ihr Mann erstmals, dass sich die Frau seltsam verhielt. Sie durchsuchte das ganze Hotelzimmer, als würde sie befürchten, abgehört zu werden.

Bei der Rückfahrt mit dem Zug geriet sie in Panik und floh über die Geleise. Wieder zu Hause entwickelte sie die fixe Idee, dass eine Pizza vergiftet sein könnte.

Es folgten in den kommenden Jahren mehrere Aufenthalte in psychiatrischen Kliniken. Einmal fühlte sie sich von einem Anwalt bedroht, ein anderes Mal bildete sie sich ein, eine Beziehung mit einem Schönheitschirurgen zu führen.

Ende 1999 fiel sie an Gemeindeversammlungen zunehmend durch querulatorische Verhaltensweisen auf. Ihre Fahrschule konnte sie nicht weiterführen, weil sie die Termine nicht wahrnahm und Kunden verlor.

Polizeieinsatz bei dem Versuch, das Haus schatzen zu lassen

Sie zog sich immer mehr in ihr Haus zurück. Als dieses von ihrer Beiständin verkauft werden sollte, verweigerte sie dem Schatzer den Zutritt. Sie verbarrikadierte sich in der Wohnung. Als die Polizei sie überwältigte, war sie mit einer durchgeladenen Pistole bewaffnet.

Auch im Strassenverkehr fiel sie immer mehr auf. Sie verstiess absichtlich gegen die Verkehrsregeln, um mit diesen Experimenten «die Gesellschaft zu provozieren». Nach Angaben ihres Sohnes hat sie sich in den zwei bis drei Jahren vor ihrem Tod von sämtlichen Behörden verfolgt gefühlt.

Das Gutachten kommt denn auch zu dem Schluss, dass mit grosser Wahrscheinlichkeit eine paranoide Schizophrenie vorlag. Es sei aber nicht wahrscheinlich, dass sie einen akuten psychotischen Schub erlitt, als die Polizei in jenem März vor ihrer Tür stand.

Während des Einsatzes telefonierte sie und machte vernünftige Angaben

Es gebe keine Hinweise darauf, dass die Frau an diesem Tag Stimmen gehört oder andere Halluzinationen gehabt habe. Auch ihre Gedankengänge waren mehrheitlich logisch und nachvollziehbar, als sie mit der Verhandlungsgruppe der Luzerner Polizei telefonierte. Das spricht dafür, dass die Frau zurechnungsfähig war.

Die Frau hatte schon sehr früh angekündigt, dass sie sich lieber umbringen werde, als wieder in eine Klinik eingewiesen zu werden. Die Frage, die das Gutachten aber nicht abschliessend klärt, lautet: War die Frau aufgrund ihrer Grunderkrankung in der Lage, einen solchen Entscheid frei zu treffen?

Aus dem Gutachten geht hervor, dass diese Grundhaltung der Frau auf ihre Biografie und das mehrfache Ohnmachtserleben gegenüber dem Staat zurückzuführen ist. Sie hatte Angst vor einem erneuten Verlust des Selbstbestimmungsrechts.

Die entscheidende Frage bleibt offen

Gleichzeitig hatte sie keine Krankheitseinsicht, das heisst, sie selber war davon überzeugt, gesund zu sein. Die Gutachter vermuten aber, dass sie an einem regelrechten Behördenwahn litt, der die Politik, die Kesb und auch die Psychiatrie miteinbezog. Ein normales Abwägen wäre dann nicht mehr möglich gewesen und der Entschluss, sich das Leben zu nehmen, wäre dann Ausdruck der Krankheit gewesen – was für eine Unzurechnungsfähigkeit spricht.

Das Gutachten überlässt es explizit dem Gericht, darüber zu befinden, ob diese «Wahnschwelle» im juristischen Sinn bereits erreicht war oder nicht. Über diese Frage wird demnach bei der Verhandlung am Montag vor dem Kantonsgericht wohl noch gestritten werden. zentralplus wird aktuell darüber berichten.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Joseph de Mol
    Joseph de Mol, 01.07.2019, 17:31 Uhr

    Die Krawatte muss bis zur Mitte der Gürtelschnalle reichen! Diese Herren haben sich schuldig gemacht und erheblich gegen den guten Geschmack und die guten Sitten verstossen! Das Mode-Gericht wird das Urteil mündlich mitteilen.

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