Minderjährige Frauen während Jahren festgehalten

Fälle von Menschenhandel in Luzern

Am Geissensteinring wurden zwei minderjährige Frauen während Monaten als Sexsklavinnen gehalten. (Bild: hch)

Zwei minderjährige Frauen sollen in Luzern während Monaten gegen ihren Willen festgehalten, zur Prostitution gezwungen und mit dem Tode bedroht worden sein. Der Massagesalon, in dem sich die Taten bis 2010 abspielten, wurde von einem ungarisch-schweizerischen Ehepaar zusammen mit dem gemeinsamen Sohn betrieben.

Die Taten haben sich laut Anklage im Zeitraum von 2008 bis 2010 ereignet. Erst dann ist den beiden aus Ungarn und der Slowakei stammenden Frauen, die in Luzern unter sklavenähnlichen Verhältnissen gehalten worden seien, die Flucht gelungen. Diese führte zuerst in die Westschweiz, bevor die Frauen dann bei der Kantonspolizei Solothurn Anzeige einreichten.

In Ungarn abgeholt

Das Martyrium der beiden Frauen nahm seinen Anfang in einem Massagesalon in Luzern. Hier prostituierte sich Sonja* 2008 laut Anklage zunächst freiwillig. Nach drei Wochen kehrte die damals 17-Jährige in ihre Heimat Ungarn zurück. Im Folgejahr wurde sie durch die mutmassliche Betreiberin des Massagesalons persönlich abgeholt und nach Luzern gebracht. Hier soll sie sich während den nächsten 1,5 Jahren meistens gegen ihren Willen prostituiert haben müssen. Vermittelt wurde Sonja jeweils durch einen Zuhälter, der ihr den Ausweis abgenommen und diesen der Salonbetreiberin übergeben haben soll.

Derselbe Zuhälter hat auch die zweite Minderjährige, Edith*, in Ungarn abgeholt. Diesmal in Begleitung des Sohnes der Salonbetreiberin. Dieser hat sich ihrer Identitätskarte behändigt, ihr wurde Schwarzarbeit in einer Küche in Aussicht gestellt. Laut den Ermittlern liegen Hinweise vor, dass die junge Frau von ihrer Familie verkauft worden sei. Auch erscheint ihre Identität nicht restlos geklärt. Es wird vermutet, dass der Ausweis ihrer Schwester benutzt wurde und die Slowakin zum Zeitpunkt der Abreise noch keine 17 Jahre alt gewesen sei.

Im Ausgang neue Kunden gesucht

Während ihrer Zeit im Massagesalon hatten die beiden Frauen sämtliche sexuellen Dienstleistungen anzubieten, welche die Betreiberin verlangte. Die Arbeitszeiten dauerten jeweils von 18 Uhr bis 4 Uhr morgens, dies während sieben Tagen die Woche, auch im Krankheitsfall. Die Sexarbeiterinnen durften ihre Arbeitszimmer nur in Begleitung verlassen und dies nur, um einzukaufen oder Escort-Kunden zu besuchen. Selbst beim Toilettengang wurden sie von der Salonbetreiberin oder ihrem Sohn kontrolliert, telefonieren konnten sie nur unter Aufsicht. Die Aussentür des Massagesalons war jeweils verschlossen und mittels Fernsteuerung zu öffnen. Es waren Kameras und vor den Fenstern Mikrofone installiert.

Mehrere Gerichtsverfahren

Die Salonbetreiberin sass 69 Tage in Untersuchungshaft und ist teilweise geständig. Der Staatsanwalt fordert in diesem Fall eine dreijährige Freiheitsstrafe (wovon die Hälfte unbedingt) sowie eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen. Ihre Verteidigerin argumentierte vor dem Kriminalgericht, dass die Gewalt gegen die beiden Frauen von den Zuhältern ausgegangen sei und die «Puffmutter» – wie die Beklagte von ihr wiederholt genannt wurde – lediglich in einem Fall des Menschenhandels schuldig zu sprechen sei. Da sie vom Vorwurf der Förderung der Prostitution und der Freiheitsberaubung freizusprechen sei und die Verteidigung überdies das Beschleunigungsgebot verletzt sah, plädierte sie für ein Jahr Freiheitsstrafe, die auf Bewährung auszusetzen sei. Das Urteil wird schriftlich eröffnet.

Von den drei mutmasslichen Zuhältern konnte in der Zwischenzeit einer vor Gericht gestellt werden, das Verfahren wurde jedoch mangels Beweisen eingestellt. Die beiden anderen sind zur Fahndung ausgeschrieben. Der Ehemann wurde in der Zwischenzeit der Gehilfenschaft zur Förderung der Prostitution sowie Widerhandlung gegen das Ausländergesetz per Strafbefehlt abgeurteilt, während der gemeinsame Sohn der Gehilfenschaft zu Menschenhandel schuldig gesprochen wurde.

Zwar seien die jungen Frauen durch die Salonbetreiberin wiederholt bespuckt oder geohrfeigt worden. Für massivere Disziplinierungen waren laut Anklageschrift aber drei ebenfalls aus Ungarn stammende Zuhälter zuständig. Diese hätten Edith während ihres halbjährigen Aufenthaltes in Luzern wiederholt geschlagen und misshandelt sowie mit dem Tod bedroht. Sonja wurde laut Anklage mit einem Messer unter das Auge gestochen, damit sie bei ihrem Zuhälter bleibe.

Einzig in einem Falle gestand die Bordellbetreiberin Tätlichkeiten. Edith hätte ihren damals 17-jährigen Sohn verführt, was sie dermassen in Rage brachte, dass sie mit Händen und Füssen auf die junge Frau losgegangen sei. Vor Gericht begründete sie die körperliche Gewalt damit, dass sie in Angst um ihren Sohn war, sollte Ediths Zuhälter von der Liaison erfahren.

10 bis 20 Franken Sackgeld

Von den monatlichen Einnahmen blieben Edith nur gerade 10 bis 15 Franken für das tägliche Essen und Telefonkarten. Ihre rauchende Kollegin erhielt fünf Franken zusätzlich. Über die Ausgaben hatten sie genau Buch zu führen. Durchschnittlich bedienten die Frauen pro Nacht drei Kunden, womit sie einen Umsatz von je etwa 9’000 Franken erzielten. Der Löwenanteil der Einnahmen ging an die Salonbetreiberin und die Zuhälter. Ausserdem stellte der Schweizer Ehemann monatlich 1’000 Franken für die Miete der Parterre-Räume in Rechnung, während der Ehemann als Chauffeur für Escort-Fahrten ebenfalls 50 Franken verlangte.

Sonja musste ausserdem in Bars vor Gästen tanzen. Dann und wann durfte sie in den begleiteten Ausgang, um so neue Kunden zu gewinnen. Bei dieser Gelegenheit lernte die inzwischen 18-Jährige auch ihren Freund kennen, vermochte diese Beziehung aber vor ihrem Zuhälter geheim halten.

Flucht nach Sex mit Freund

Dennoch kam es offenbar genau wegen ihres Freundes zum Eklat zwischen den beiden Frauen. Die Bordellbetreiberin, die im Salon selbst auch anschaffte, hatte Sex mit Sonjas Freund. Tags darauf, am 11. Februar 2010, gelang den beiden jungen Frauen die Flucht mit dem Taxi, als die Salonbetreiberin eingeschlafen war und ihr Sohn mit Kopfhörern vor dem Computer sass. Nach der Anzeige leitete die Luzerner Polizei ein Verfahren gegen die Salonbetreiberin, ihren Mann und den Sohn wegen Menschenhandels ein. Im Zuge der Ermittlungen kamen die Vorwürfe der Förderung der Prostitution, der qualifizierten Freiheitsberaubung, Förderung des rechtswidrigen Aufenthaltes und der Beschäftigung von Ausländerinnen ohne Bewilligung hinzu.

Während die eine der beiden Frauen noch immer in Luzern lebt, führte Ediths Weg zurück nach Ungarn und weiter nach England, wo sich die Spur verlor. Bis heute ist ihre Identität nicht restlos geklärt. Die Bordellbetreiberin mittleren Alters ist weiterhin als Prostituierte aktiv.

*Namen von der Redaktion geändert

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