Experte zu Minihäusern: «Mehr Selbstverwirklichung als Nachhaltigkeit»
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Kleinhäuser erfreuen sich grosser Beliebtheit. Auch, weil sie ein nachhaltiges Wohnen versprechen. Ein Experte der Hochschule Luzern stellt aber genau das in Frage. Und auch die Stadt Luzern reagiert zurückhaltend.
Wohnen auf wenigen Quadratmetern: Sogenannte Minihäuser machen es möglich. Der Tiny-House-Trend aus Amerika hat die Schweiz erreicht. Doch viele Gemeinden tun sich schwer mit der neuen Wohnform.
Der Luzerner Markus Mühlbacher vom Verein Kleinwohnformen kämpft für bessere Bedingungen – zieht selber jedoch von Luzern weg, weil er hier keine Unterstützung für sein Projekt fand (zentralplus berichtete).
Tiny Häuser bevorzugt zu behandeln, das kommt bei der Stadt Luzern nicht in Frage. «Solche Minihäuser sind aufgrund den Bestimmungen des Planungs- und Baugesetzes des Kantons Luzern aus baurechtlicher Sicht nicht anders zu beurteilen als ein ‹normales› Wohnhaus», sagt Markus Hofmann, Bereichsleiter Baugesuche. Das heisst, dass auch Minihäuser – wie alle mobilen Bauten, die länger als einen Monat am selben Standort bleiben – eine Baubewilligung brauchen. Spezielle baurechtliche Bestimmungen gebe es dafür nicht.
Vereinzelte Anfragen bei der Stadt
Tiny Häuser sind laut Stadt eine neue Wohnform. «Es gibt zwar vereinzelt Anfragen zu den Minihäusern», sagt Hofmann. Konkrete Baubewilligungsverfahren seien bislang aber nicht vorgekommen. Bereits heute werden in Einzelfällen Ausnahmen ermöglicht, beispielsweise bei Zwischennutzungen von Brachen.
«Ob Kleinsthäuser als Mittel zur Verdichtung in urbanen Gebieten taugen, ist zumindest fraglich.»
Markus Hofmann, Stadt Luzern
Grundsätzlich steht die Stadt dem Konzept aufgeschlossen, aber nicht vorbehaltlos positiv gegenüber. «Solche Minihäuser können je nach Situation aus unterschiedlichen Gründen sinnvoll sein», sagt Markus Hofmann. Der mit einem Minihaus verbundene sparsame Umgang mit Bauland und die Senkung des durchschnittlichen Wohnflächenverbrauchs seien sicherlich im Sinne der Stadt Luzern. Im Durchschnitt beansprucht eine Person in der Schweiz eine Wohnfläche von rund 45 Quadratmetern. Die Stadt verfolgt mit ihrem Raumentwicklungskonzept das Ziel, diese Zahl zu senken.
Allerdings nicht mit kleinen Häusern, sondern mit gemeinnützigem Wohnungsbau und der Förderung von 2000-Watt-Arealen. Markus Hofmann verweist darauf, dass Kleinsthäuser in der Regel maximal zweistöckig sind. «Ob sie daher als Mittel zur Verdichtung in urbanen Gebieten taugen, ist zumindest fraglich.» Zudem sei es wahrscheinlich nicht jedermanns und jederfraus Sache, in einem Minihaus zu leben.
Experte ist kritisch
Ähnlich äussert sich Peter Schwehr vom Departement Technik & Architektur der Hochschule Luzern. «Aus meiner Sicht geht es bei Tiny-Häusern mehr um Selbstverwirklichung als um Nachhaltigkeit», sagt er. «Zwar argumentiert man oft, dass sie wenig Wohnfläche verbrauchen, aber wenn man die Infrastruktur ringsum mitzählt, sieht die Bilanz nicht mehr so gut aus.» Dazu zählten zum Beispiel Anschlüsse an die Wasser- und Wärmeversorgung oder verkehrstechnische Erschliessungen.
Es gebe unter dem Strich nichts Unökologischeres als ein alleinstehendes Haus, sagt Schwehr. Den Tiny-House-Trend erklärt er sich damit, dass «ein nachvollziehbares Bedürfnis nach Selbstverwirklichung beim Wohnen adressiert wird».
«Alles in allem leisten Tiny-Häuser keinen Beitrag zur Verdichtung.»
Peter Schwehr, Hochschule Luzern
Ein grosses Fragezeichen macht der Experte auch hinter der Philosophie der Tiny-House-Bewegung, sich selber zu versorgen. «In einer Hütte auf 2000 Meter über Meer macht das Sinn», sagt der Leiter des Kompetenzzentrums Typologie und Planung in Architektur. «Aber in den Zentren liegt Nachhaltigkeit in der Kooperation und dem nützen von Synergien und nicht in der Isolation.» Würden sich alle in der Stadt selber versorgen wollen, käme dies einem unangemessenen Aufwand gleich. «Warum muss ich mein Tiny House mit gewissen Anstrengungen zum Tech-Haus umbauen, um selber Energie herzustellen?» Es sei viel effizienter, Synergien zu nutzen, etwa durch Wärmevebundnetze. «Alles in allem leisten Tiny-Häuser keinen Beitrag zur Verdichtung.»
Potenzial – in anderer Form
So deutlich die kritischen Worte, ganz abschreiben würde der HSLU-Dozent das Thema nicht. Peter Schwehr sieht durchaus Potenzial im Konzept der Kleinhäuser – aber in anderer Form. Nämlich nicht als Projekte von Individuen, sondern in einem grösseren Kontext. «Wenn man den individuellen, temporären, ökologischen Anspruch von Tiny-Häusern auf die Ebene von Grosssiedlungen übertragen könnte, wäre das als Wohnform sehr spannend.» Da sieht der Experte auch noch Forschungsbedarf.
Peter Schwehr würde es begrüssen, wenn die Gemeinden oder Private dazu Hand bieten würden. «Wir bräuchten eine Experimentierfläche, um verschiedene Wohnformen – darunter Tiny-Häuser – ausprobieren zu können.» Was sich bewährt, könnte man weiterentwickeln; was durchfällt, könnte man zurückbauen. Ein solches Projekt könnte laut Schwehr einen wichtigen Beitrag zu Fragen des Städtebaus und der Baukultur liefern.
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