Entwicklungen in Zuger Stadt-Quartieren

Es knistert im Cervelat-Quartier

Dieter Meinhold vor seinem Haar-Studio im Herti Einkaufszentrum. (Bild: anm)

In Zug wachsen die Stadtteile Lorzen und Herti am schnellsten. Im Herti-Quartier in Zug West läuft deshalb einiges: Die Schule platzt aus allen Nähten, die Migros kauft das Einkaufszentrum, und die Stadt sowie Quartiervereine suchen nach harmonischen Beziehungen zwischen Neuzuzügern und alteingesessenen «Hertianern». Wie ist die Stimmung im Quartier? Und was kommt auf das Herti zu? zentral+ fragte nach, bei einem Coiffeur, Vertreterinnen der Stadt und einem visionären Architekten.

Ein beiger Plattenboden, eine tief hängende Decke, kaum Tageslicht, eine veraltete Einrichtung. Wer das Herti Einkaufszentrum in der Stadt Zug betritt, fühlt sich in die Anfänge der 80er Jahre zurück katapultiert. Das Herz des Herti-Quartiers kommt ziemlich verstaubt daher.

Dieter Meinhold begrüsst alle paar Minuten einen Bekannten in seinem Coiffeur-Salon «Dieter’s Haarstudio». «Brauchst du Schnapps?» witzelt er mit einem älteren Herrn, der vorbeischaut. Ein anderer bringt eine grosse Flasche Haarspülung von L’Oréal vorbei. Wie ein Vertreter sieht er nicht aus, er scheint ein alter Nachbar zu sein.

Schon rosigere Zeiten erlebt

Der Coiffeur-Laden von Dieter Meinhold läuft gut. Er bedient eine grosse Stammkundschaft und hat sich seit 1983 einen Namen gemacht. Dennoch hat das Einkaufszentrum schon rosigere Zeiten erlebt. Vor kurzem musste eine Papeterie schliessen, und ein Ladenlokal gleich beim Eingang zum Herti steht leer. Das, obwohl rundherum ganze neue Quartiere aus dem Boden gestampft werden. In der Region Zug West, zu der die Gebiete Herti und Lorze zählen, finden grosse Veränderungen statt. Die Moderne hält Einzug.

Seit Anfang Februar ist bekannt, dass die Migros Genossenschaft das Einkaufszentrum Herti gekauft hat. Dieter Meinhold ist erleichtert. Vorher habe das Zentrum belgischen Investoren gehört, die sich überhaupt nicht für das Zentrum interessiert hätten. «Sie haben nur den Profit gesehen, wollten einfach die Mieten einkassieren», so der Coiffeur. Um einen guten Mietermix und eine funktionierende Einrichtung hätten sich diese nie gekümmert. «Die Migros hingegen weckt Vertrauen», sagt Meinhold. Es sei bereits kommuniziert worden, dass sich an den Mietverhältnissen nichts ändern werde. Bekannt sei auch, dass der Vertrag mit Coop nicht mehr verlängert werde.

Massnahmen aus «Zug westwärts!»

Unter dem Projekt «Zug westwärts! – Soziokulturelle Quartierentwicklung im Stadtteil Zug West» entstanden 47 Massnahmen, um das Zusammenleben in Zug West zu verbessern. Sie werden in die Bereiche «Zugezogene und Alteingesessene», «Orte für Begegnung», «Mobilität» und «Vereinsleben & soziokulturelle Angebote» unterteilt. Einige befinden sich bereits in der Umsetzungsphase:

  • Mittelinsel Chamerstrasse beim Fussgängerstreifen Rankhof
  • Verkehrs- und Betriebskonzept Herti, Beruhigungsmassnahmen für den Verkehr im Quartier Herti bis 2016/17
  • Mobile Spielanimation für Kinder in den Quartieren Herti und Riedmatt
  • Quartierarbeit in Zug West, z.B. Treffpunkt für Familien
  • Vereine präsentieren sich am Neu-Zuzüger-Anlass

Meinhold ist es ein Anliegen, dass die Migros das Herti Einkaufszentrum aufwertet. Schliesslich wohne über ein Drittel der Einwohner der Stadt Zug hier (Die Stadt hat rund 28’000 Einwohner). «Ich wünsche mir hier ein Sportartikelgeschäft, einen Schuhladen, ein Haushaltwarengeschäft», sagt der gebürtige Deutsche, der seit mehr als dreissig Jahren in Zug Haare schneidet. Meinhold ist eigentlich pensioniert, sein Geschäft will er aber nicht aufgeben: «Das hier ist mein Baby, mein Leben», sagt er.

Die «Bude» füllen mit Breakdance-Shows

Meinhold kennt das Quartier wie kein anderer und wohnt nur wenige Meter von seinem Laden entfernt im «Herti 1». Er erinnert sich, was früher über das Herti gesagt wurde: «Als hier gebaut wurde, gab es Boykotte von den Anwohnern. An den Stammtischen im Restaurant Brandenberg hiess es, das Zentrum würde niemals rentieren.» Mit Frisuren-Shows, Modeschauen, Oldtimer-Ausstellungen und Breakdance-Veranstaltungen brachte Meinhold aber «die Bude voll», wie er selbst sagt.

Es habe eine Weile gedauert, bis die Leute begriffen hätten, dass im Herti eine «irre gute Lebensqualität für Familien mit Kindern» herrsche. «Sie nannten es früher Cervelat-Quartier, weil die Arbeiter hier wohnten», so Meinhold.

Ein voller Erfolg der Stadtentwicklung?

Mit dem Bau des Herti-Quartiers ermöglichte die Korporation Zug – ihr gehört das Land – einer breiten Bevölkerungsschicht den Zugang zu Wohneigentum und preisgünstigen Mietwohnungen. Es entstanden Konzepte für 8’000 bis 10’000 Einwohner. Zwischen 1960 und 1977 plante und realisierte die Korporation die Überbauung. Das Herti-Quartier galt in der Stadt Zug lange als «das Beispiel» für ein sozial sehr durchmischtes Quartier.

Es gibt jedoch durchaus kritische Stimmen. Einige Entwicklungen sorgen derzeit für Diskussions-Stoff. Einerseits steht die Durchmischung der Bewohner auf dem Prüfstand, andererseits stösst durch die schnelle Entwicklung die Infrastruktur an ihre Grenzen.

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«Hertianer» nagen am «Scheibenhaus»

Die Quartiervereine und die Stadt Zug richteten im Jahr 2011 ihre Aufmerksamkeit auf das grosse und schnelle Wachstum in Zug West. Unter der Leitung des Bildungsdepartements der Stadt Zug (Abteilung Kind Jugend Familie) und der Hochschule Luzern (Soziale Arbeit) startete das Projekt «Zug westwärts! – Soziokulturelle Quartierentwicklung im Stadtteil Zug West». Unterstützt wurde die Initiative durch Bewohnerinnen und Bewohner, Vereine, Institutionen und die Kirchen. Das Ziel war es, den Kontakt zwischen der Bewohnerschaft und der städtischen Verwaltung aufzubauen und die Identität mit der eigenen Wohnumgebung und Nachbarschaft zu fördern. Denn neben den «alten», meist genossenschaftlich verwalteten Herti-Wohnhäusern, stehen neue Gebäude mit teuren Wohnungen wie das Scheibenhaus (Uptown). Ein Gegensatz, an dem einige Quartier-Bewohner bis heute nagen.

Susanna Peyer-Fischer von der Abteilung Kind Jugend Familie sagt: «Das Quartier wächst sehr stark. Zunehmend äusserten sich die Bewohner über dieses Wachstum.» Das habe auch die Stadt Zug gemerkt und so sei schliesslich ein Projekt entstanden. Vor allem wollte man verhindern, dass in Zug West anonyme Quartiere entstehen. Die Abgrenzung zwischen «Alteingesessenen» und Neuzuzügern sei während der Projekt-Arbeit immer wieder ein Thema gewesen. «Wir leben in einer Stadt, wo man sich schnell in seinem Privatleben beeinträchtigt fühlt, in den Gebieten mit teuren Wohnungen noch mehr», sagt Peyer-Fischer.

Herti ist nicht gleich Herti. Auch das Scheibenhaus gehört zu diesem Quartier. (Foto: anm)

Herti ist nicht gleich Herti. Auch das Scheibenhaus gehört zu diesem Quartier. (Foto: anm)

(Bild: anm)

Entstanden sind durch die Mitarbeit von ungefähr 350 Personen 47 konkrete Massnahmen, um das Zusammenleben in Zug West zu verbessern. Viele davon befinden sich bereits in Umsetzung oder werden in den nächsten Monaten angegangen. Das teilt die Projektleitung mit. Das Nachbarschaftsgefühl soll unter anderem auch durch mehr Begegnungsmöglichkeiten unterstützt werden. Immer noch für Diskussionen sorgt laut Peyer-Fischer und Regula Kaiser von der Stadtentwicklung der Arenaplatz. Der Platz vor der neuen Bossard-Arena entspreche nicht ganz den Vorstellungen der Leute im Quartier, so Kaiser. Der Platz komme kahl daher. Für eine «Belebung» des Platzes sind aus dem Projekt keine konkreten Lösungen hervorgegangen. In naher Zukunft sollen aber verschiedene Möglichkeiten ausprobiert werden, um den Arenaplatz auch als Begegnungsort erlebbar zu machen, sagt Peyer-Fischer.

2017 wird der Schulraum knapp

Ein weiterer Brennpunkt im Herti-Quartier ist die Schule. Das Schulhaus Herti bietet nicht mehr genügend Platz für alle Schüler aus dem Quartier. Vroni Straub-Müller, Bildungsvorsteherin der Stadt Zug, sagt: «Wir müssen den ganzen Raum Zug West im Auge behalten. Die Quartiere Herti und Lorzen wachsen sehr stark. Wir stehen unter ziemlich grossem Zeitdruck.» Das Gebot der Stunde seien flexible Lösungen, so Straub. Wie es mit den Schulhäusern weiter gehen soll, ist zurzeit ein Politikum. Eine Lösung muss aber bald her, denn die Stadt sagt voraus, dass 2017 ein ernsthaftes Problem bezüglich Schulraum auf sie zukommen wird.

Der Antrag des Stadtrats zur Erweiterung des Herti-Schulhauses wurde letzten Sommer im Grossen Gemeinderat (GGR) abgelehnt. Nun müssen neue Pläne her. Der Stadtrat erarbeite einen Zwischenbericht, der im April dem GGR vorgelegt werden sollte, teilt Straub mit. Darin würden verschiedene Varianten geprüft, so Straub. Zum Beispiel eine Erweiterung des Schulhauses Riedmatt oder ein neuer Standort Unterfeld.

Dennoch ist für die Bildungsvorsteherin klar: «Das Herti muss sowieso erweitert und renoviert werden.» Gegner der letztjährigen Initiative zur Herti-Erweiterung wollen eine Konzentration an diesem Standort verhindern, weil das Zuger Quartierschulhaus-Prinzip aufrecht erhalten werden soll. Dazu sagt Straub: «Dieses Prinzip ist ein schöner Gedanke. Es ist aber auch eine Kostenfrage.»

Visionen eines Architekten

Zu solch politischen Fragen will sich der Zuger Architekt Melk Nigg nicht äussern. Auf die Frage, ob das «alte» Herti neben all den neuen Bauten bei der Stadtplanung vergessen ging, sagt er nur: «Das sehen wir dann in 20 Jahren, ich bin gespannt.» Auch er macht sich aber Gedanken über das Herti: «Als Architekt interessiert mich vor allem, wie diese Quartiere die vergangene Zeit widerspiegeln und die Menschen es jetzt beleben.» Würden wir dieses Quartier heute planen, sähe es extrem anders aus, so Melk Nigg. Ihn fasziniert die Dichte im Herti, und er ist der Meinung, dass es auf die richtige Mischung der Bewohner ankomme.

Bei der Entwicklung einer Stadt gehe es immer um die Frage, was verlangt ein Ort? Und wie kann ich ihm mit einer Lösung gerecht werden? Nigg möchte mit seinen architektonischen Konzepten «eine Vielfalt der Lesearten in Bezug auf die kulturelle Bedeutung zulassen». Sein Ziel für das Herti-Quartier hat er für zentral+ skizziert. Warum nicht einmal losgelöst von politischen Diskussionen und städtebaulichen Vorlagen denken?

Könnte so das Herti-Quartier einmal aussehen? Der Architekt Melk Nigg entwirft in seiner «Vision» ein endloses Hochhaus und einen neuen Pool mit Walen. Das Scheibenhaus (rechts der Strasse) bleibt wie es ist. (Quelle: Melk Nigg Architects AG SIA)

Könnte so das Herti-Quartier einmal aussehen? Der Architekt Melk Nigg entwirft in seiner «Vision» ein endloses Hochhaus und einen neuen Pool mit Walen. Das Scheibenhaus (rechts der Strasse) bleibt wie es ist. (Quelle: Melk Nigg Architects AG SIA)

(Bild: anm)

 

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