Hochwasser 2005

«Es kann jederzeit wieder passieren»

Am Schwanenplatz stand am 22. August 2005 alles unter Wasser. (Bild: zvg)

Zehn Jahre ist es her, seit das verheerende Hochwasser halb Luzern überschwemmte. Seither wurde viel in den Hochwasserschutz investiert, vor allem das neue Wehr soll mehr Schutz bieten. Was ist damals eigentlich schief gelaufen? Ist Luzern künftig gewappnet gegen solche Katastrophen?

Vielen Luzernern sind die Bilder noch in lebhafter Erinnerung. Die Reuss-Stadt wird im Normalzustand mit Venedig verglichen – an diesen Tagen Ende August 2005 jedoch noch ein Stück mehr. «Acqua alta» heisst es jeweils in Venedig, wenn das Wasser über die Ufer steigt. So sah es auch in Luzern aus: Der Schwanenplatz stand unter Wasser und konnte nur noch auf Stegen begangen werden, der Verkehr war tagelang unterbrochen. Entlang der Reuss bis hinunter zum historischen Museum und an der Seepromenade bis zum Verkehrshaus waren Boote das passendste Verkehrsmittel. Und der Seetalplatz wurde regelrecht geflutet von den gewaltigen Wassermassen, die aus dem Entlebuch die Kleine Emme herunterstürzten.

Alles palletti?

Seit einem Jahrzehnt herrscht nun Ruhe. Der Vierwaldstättersee ist seither nie mehr über die Ufer getreten und die Kleine Emme hat auch keine Verwüstungen mehr angerichtet. Auch der Dauerregen der vergangenen Tage hat in der Zentralschweiz glücklicherweise zu keiner Katastrophe geführt. Alles palletti also? Haben der Neubau des Reusswehrs und die baulichen Massnahmen, die zur Zeit an der Kleinen Emme im Zusammenhang mit der Neugestaltung des Seetalplatzes umgesetzt werden, dafür gesorgt, dass Luzern künftig keine Hochwasser mehr zu befürchten hat?

Als Erstes bekommt man bei solchen Fragen nur ein mitleidiges Lächeln zur Antwort vom obersten «Wasseraufseher» des Kantons. Albin Schmidhauser, Leiter Naturgefahren bei der Dienststelle Verkehr und Infrastruktur (vif), schüttelt den Kopf. «Wenn heute wieder so viel Regen in so kurzer Zeit fällt, würde wieder genau das Gleiche passieren.» Die Aussage erstaunt einigermassen, schliesslich wurden 23 Millionen Franken für ein neues Wehr ausgegeben, ganz zu schweigen von anderen wasserbaulichen Massnahmen. Die Luzerner müssten doch Lehren aus dem Unglück von 2005 gezogen haben.

1910 und 2005 waren die schlimmsten Hochwasser

Am 21. August 2005, nach tagelangen intensiven Regenfällen, trat die Kleine Emme am Seetalplatz über die Ufer. Es kam zu starken Überschwemmungen im Gebiet des Seetalplatzes, welche den Verkehr zum Erliegen brachten. Am 22. August trat die Reuss in Luzern über die Ufer. Der Wasserstand war mit 435,23 Meter über Meer der zweithöchste, der je gemessen wurde. Nur 1910 war er noch um zwei Zentimeter höher. 2005 war sogar der Schwanenplatz überschwemmt, auch das Verkehrshaus und die Ufergebiete längs des Sees und der Reuss waren betroffen. Das Hochwasser zerstörte das Längswehr der seit Jahrzehnten baufälligen Reusswehranlage. In der Folge wurde die Anlage für 23 Millionen ausgebaut (2009 bis 2011). Zudem wird die Abflusskapazität der Kleinen Emme derzeit mit baulichen Massnahmen vergrössert.

Die Schäden des Hochwassers 2005 waren beträchtlich. Rund 500 Millionen Franken mussten für Wiederaufbau und Instandsetzung von Strassen, Gebäuden, etc. aufgewendet werden. Zudem sind zwei Feuerwehrleute bei einem Rettungseinsatz im Entlebuch ums Leben gekommen.

Ganz so einfach sei das nicht, erwidert Schmidhauser. «Damals im August war es ein Genua-Tief, das für drei Wochen Dauerregen sorgte. Drei Tage lang flossen 1500 Kubikmeter Wasser pro Sekunde in den Vierwaldstättersee – im Jahresschnitt sind es nur 109 Kubikmeter. Durch das neue Wehr wurde die Kapazität von 330 auf 400 Kubikmeter erhöht. Für ein Ereignis wie 2005 würde das nie und nimmer reichen. «Deshalb kann so ein Hochwasser jederzeit wieder vorkommen», so Schmidhauser.

2013 wurde es brenzlig

Besonders jetzt, im Mai und Juni, ist es besonders heikel. «Jetzt kommt die grosse Schneeschmelze. Wenn da auch noch starke, anhaltende Niederschläge hinzukommen, dann wird es brenzlig», sagt Albin Schmidhauser. So geschehen vor zwei Jahren: «Am 31. Mai 2013 hatten wir eine kritische Situation, als 80 bis 100 Millimeter Regen pro Tag und Quadratmeter angekündigt waren», so Schmidhauser. Zum Glück zog das Zentrum des Tiefs nach Osten weiter, so waren es «nur» 40 Millimeter – und die Überschwemmungen blieben aus.

Luzern wird also, ähnlich wie Venedig, weiterhin mit Hochwasser rechnen müssen. Warum schafft man es nicht, solche Ereignisse komplett auszuschliessen? Dafür müsste man die Reuss stark verbreitern, sagt der Wasserschutzexperte. «Man müsste ganze Häuserzeilen in der Altstadt abreissen, was undenkbar ist.» Dieser «100-Jährige Hochwasserschutz», wie er in Hochwasserschutzprojekten für den geschlossenen Siedlungsraum von Bund und Kantonen angestrebt wird, kann hier nicht realisiert werden. Der Reussabfluss ist im Verhältnis zum Einzugsgebiet schlicht und einfach zu klein. «Das Wasser kommt aus einem Einzugsgebiet, das zwanzig mal grösser ist als der Vierwaldstättersee – da kann unglaublich viel Wasser gesammelt werden.»

Nur noch alle 16 Jahre

Immerhin sollten Hochwasser seltener werden. Zwischen 1861 und 2009 wurde alle vier Jahre die so genannte Schadenquote erreicht, wo der Seespiegel so hoch stieg, dass das Wasser über die Ufer floss, nämlich bei 434,45 Metern über Meer. «Nun sollte nur noch durchschnittlich alle 16 bis 20 Jahre so ein Ereignis eintreten», sagt Albin Schmidhauser.

«Jetzt kommt die grosse Schneeschmelze. Wenn da auch noch starke, anhaltende Niederschläge hinzukommen, dann wird es brenzlig»

Albin Schmidhauser, Abteilungsleiter Naturgefahren

Nach dem Hochwasser 2005 wurde verschiedentlich kritisiert, dass das Wehr zu spät geöffnet worden war. Erstaunlich ist, dass es auch heute noch je einen ganzen Arbeitstag braucht, um die Holznadeln am Stirn- und am Längswehr zu entfernen. Ist das im Katastrophenfall nicht viel zu langsam? Schmidhauser winkt ab. «Vorzeitig öffnen hilft nur bedingt, es kann höchstens die Spitze des Hochwassers etwas brechen.» Aber wenn der Seespiegel rasch steigt, nützt alles nichts. Immerhin hat man heute ein Reglement mit einem Ausnahmeartikel, das ein rasches Öffnen des Wehrs erlaubt. «Ab 434 Meter muss alles offen sein», sagt Schmidhauser.

Es kam fast zur Katastrophe

Damals ging alles zu schnell. Das Längswehr konnte gar nicht mehr geöffnet werden, weil der See derart schnell anstieg – und wurde zerstört. Zuerst ging es rund um den Seetalplatz los. Am frühen Morgen des 21. Augusts stand alles unter Wasser, zum Teil bis zu dreieinhalb Meter hoch. Auch das Roten-Quartier war betroffen. Gefährlich war vor allem das viele Schwemmholz, das umhertrieb. Der Verkehr brach völlig zusammen, nur die Bahn konnte noch im Schritttempo passieren. 700 Kubikmeter braune Brühe schoss pro Sekunde die Emme hinunter – 50 Kubikmeter davon trat pro Sekunde (rund 250 Badewannen-Füllungen) über die Ufer und ergoss sich auf den Verkehrsknotenpunkt.

«Es gibt meteorologische Ereignisse, bei denen wir nur noch zuschauen können.»

Albin Schmidhauser, Abteilungsleiter Naturgefahren

Am nächsten Tag ging es dann am See los. Die Armee hat Beaver eingeflogen; Wasserschläuche, die vor dem Eindringen des Hochwassers schützen sollten. Viele Gebäude wurden mit Sandsäcken geschützt, manche sogar notfallmässig aufgemauert. «Am heikelsten war die Situation rund um das Parkhaus am Bahnhof», sagt Schmidhauser. Um ein Haar hätte man es fluten müssen. Dies, weil das Hochwasser rund um den unterirdischen Bau dafür sorgte, dass sich das mit Luft gefüllte Parkhaus zu heben drohte. Dies hätte zu einer Katastrophe mit unvorhersehbaren Folgen führen können.

Aus Schaden wir man klug

Welche Lehren wurden aus dem Ereignis 2005 gezogen? Unter anderem gibt es heute eine kantonale Notfallplanung, die vor allem für die Feuerwehr relevant ist. «So ist man heute schneller vor Ort und macht von Anfang an das Richtige», fasst es Schmidhauser zusammen. Auch gibt es heute beim vif einen 24-Stunden-Pikett-Dienst, der Naturgefahren möglichst frühzeitig erkennt. Grundsätzlich ist man heute auch etwas vorsichtiger geworden, das Ereignis vor zehn Jahren ist dem einen oder anderen immer noch in lebhafter Erinnerung. «Wir bewegen uns, wenn es um Massnahmen wie das frühzeitige Öffnen des Wehrs geht, eher auf der sicheren Seite», so Schmidhauser. Aber er betont nochmals: «Es gibt meteorologische Ereignisse, bei denen wir nur noch zuschauen können.»

 

Sehen Sie weitere Bilder vom Hochwasser 2005 in unserer Slideshow

 

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