Kirchenstreit: «Es gab tausend Seitenhiebe gegen mich»
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In der Luzerner Christuskirche gerät ein Streit zwischen der Gemeinde und dem Luzerner Unikat Gilbert Schaffner aus dem Ruder. Jetzt kehrt der 69-Jährige der Kirche den Rücken zu.
Viele Luzerner kennen Gilbert Schaffner vom Sehen. Der 69-Jährige hat sich in den vergangenen Jahren das ganze Gesicht tätowieren lassen, selbst seine Augen schwärzte er. Im kleinen Luzern fällt er auf: Vor kurzem habe sich eine indische Reisegruppe vor ihm verbeugt, erzählt er gegenüber zentralplus und grinst. Was nur wenige wissen: Der gebürtige Luzerner ist katholisch aufgewachsen und beschreibt sich selbst als konservativ.
Seit einigen Jahren engagiert sich Gilbert Schaffner in der christkatholischen Gemeinde Luzern, der dritten und kleinsten Landeskirche des Kantons. Jetzt hat der 69-Jährige einen offenen Brief, der der Redaktion vorliegt, an den Schweizer Bischof der Kirche verfasst und darin seinen Kirchenaustritt erklärt. Er ist wütend auf seine ehemalige Gemeinde.
Vom Wunsch nach Reform
Die Christuskirche an der Museggstrasse 15 ist die einzige christkatholische Kirche in der Stadt Luzern. Die Gemeinde sei für Schaffner, der ohne Geschwister aufwuchs und in der Wohnung seiner verstorbenen Eltern lebt, «Familienersatz» gewesen. Er sei in den vergangenen zwei Jahren täglich daran vorbeigegangen, um nach dem Rechten zu sehen. Häufig habe er die Kirche aufgemacht und abgeschlossen. «Deswegen hat es mich so getroffen, was passiert ist», sagt er mit leiser Stimme.
«In der Stadt denken viele, die Gemeinde sei eine Sekte.»
Gilbert Schaffner
Stein des Anstosses: ein Fasnachtsgottesdienst. Schon seit längerem habe er versucht, das zweifelhafte Image der christkatholischen Gemeinde abzubauen, erklärt Schaffner. «Ich wollte neue Leute ins Haus bringen. In der Stadt denken viele, die Gemeinde sei eine Sekte.» Er organisierte Gottesdienste und engagierte sich in der Gemeinde. Dann, am Sonntag während der Fasnacht, veranstaltete er einen eigenen Fasnachtsgottesdienst. «Ich habe mich zu weit aus dem Fenster gelehnt», meint er heute.
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«Es war ein Riesenerfolg»
Er habe eine Predigt vorbereitet, für alle gekocht und extra eine 24-köpfige Guuggenmusig organisiert. Der Pfarrer selbst sei zu diesem Zeitpunkt auf den Philippinen gewesen, die Verantwortung für den Gottesdienst habe Schaffner gern übernommen. Letztendlich seien die Reihen aber leer geblieben, nur wenige Zuschauerinnen seien vor Ort gewesen. Denn die Gemeinde habe keine Werbung für den Gottesdienst gemacht, sagt Schaffner.
«Es gab tausende Nadelstiche und Seitenhiebe gegen mich.»
Gilbert Schaffner
«Alle hatten gehofft, dass es in die Hose geht, aber es war ein Riesenerfolg.» Doch dann sei eine Lawine losgegangen. Im folgenden Monat habe sich ein Teil der Gemeinde gegen ihn gewandt. «Ich kann nicht genau sagen, was sie gemacht haben. Es gab tausende Nadelstiche und Seitenhiebe gegen mich.» Besonders eine Kirchenrätin habe sich auf ihn eingeschossen. Einer der Vorwürfe sei gewesen, dass Schaffner am Gottesdienst das Evangelium vorgetragen habe. Üblicherweise täten das Priester.
Ärztin bittet ihn, sich nichts anzutun
Etwa einen Monat später gegen 23 Uhr stand die Luzerner Polizei vor Schaffners Tür und brachte ihn ins Spital. Eine Stunde vorher hatte er eine E-Mail an sechs Mitglieder der Gemeinde geschickt und seinen Suizid angekündigt. Er halte es nicht mehr aus, schrieb er. Die Empfänger alarmierten sofort die Polizei. Heute sagt er, dass er es ernst meinte: «Mir ging es wirklich schlecht an diesem Abend.»
«Diese Menschen sind doch Seelsorger. Warum hat mich keiner vorher kontaktiert?»
Gilbert Schaffner
Herauszufinden, ob der 69-Jährige suizidgefährdet ist, dauerte – in seiner Erinnerung – nicht lange. «Ich war rechtzeitig zurück, um im Stadtkeller noch ein Bier zu nehmen», ergänzt er und grinst. Die Ärztin habe ihn gefragt, ob er wirklich Suizid begehen wolle. Er erwiderte: Nein. Die Ärztin habe ihn dann gebeten, sich nichts anzutun, so etwas falle sonst auf sie zurück.
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Zum ersten Mal konfessionslos
Nach dieser Nacht versuchte die Gemeinde mehrfach Mediationsgespräche mit ihm aufzunehmen, sogenannte «Gesprächsrunden». Schaffner lehnte ab, denn er empfand den vorgeschlagenen Moderator als parteiisch. Als es am Samstag vor einer Woche doch zu einem Gespräch kam, stürmte Schaffner nach wenigen Minuten wütend aus dem Raum. «Sie haben mich nicht einmal mit meinem Namen angeredet, einfach mit Monsieur.»
«Ich bin jetzt konfessionslos und das bleibt auch so.»
Gilbert Schaffner
Am nächsten Tag habe er einen offenen Brief an den Bischof geschickt und seinen Kirchenaustritt eingereicht. Im Brief wirft er der Gemeinde Intransparenz, Ausgrenzung und mangelhafte Kommunikation vor. Gilbert Schaffner ist jetzt gemäss eigenen Aussagen zum ersten Mal in seinem Leben ohne Kirchenzugehörigkeit. «Ich bin jetzt konfessionslos und das bleibt auch so. Jetzt bin ich frei.» Dass die Gemeinde in der Nacht die Polizei rief, verstehe er. Was er nicht versteht: «Diese Menschen sind doch Seelsorger. Warum hat mich keiner vorher kontaktiert?»
Das Thema auf Augenhöhe klären
Die christkatholische Kirchengemeinde Luzern wäre gern mit Schaffner ins Gespräch gekommen, heisst es in einem Brief der Gemeindeleitung, welcher zentralplus vorliegt. Sie bedauert darin auch, dass Schaffner das Gespräch nicht habe führen wollen. Aufgrund der «Eskalation der letzten Wochen» habe die Leitung das Gespräch als «dringlich» erachtet. Unterzeichnet ist der Brief von der Kirchgemeindepräsidentin, dem Vizepräsident und dem Pfarrer der Christuskirche.
In ihrem Brief verzichten die Verfasser auf eine «inhaltliche Stellungnahme» zu den Vorwürfen von Schaffner. Stattdessen drücken sie ihre Wertschätzung für seine Arbeit in der Gemeinde aus und für sein Engagement. Sie bieten ihm weiter ein Gespräch an und bringen ihre Hoffnung zum Ausdruck, das Thema mit «etwas Abstand» auf Augenhöhe klären zu können.
«Es gab Aussagen in deinen Mails, die einige der Adressaten als selbst- und fremdgefährdend wahrgenommen haben.»
Brief der Gemeindeleitung der christkatholischen Kirche Luzern an Schaffner
Gleichzeitig kritisiert die Leitung Schaffners E-Mail-Kommunikation der letzten Woche. «Er hat Drohungen und Hass-E-Mails geschrieben», erzählt Pfarrer Adrian Suter auf Anfrage von zentralplus. Die Leitung sei davon überzeugt, dass Schaffners Sprache den Konflikt verschärft habe. «Es gab Aussagen in deinen Mails, die einige der Adressaten als selbst- und fremdgefährdend wahrgenommen haben», heisst es in dem Brief.
Es habe massive Grenzüberschreitungen von Schaffner gegeben, sagt Suter. Eigentlich habe er den Konflikt nicht in die Öffentlichkeit tragen wollen, doch Schaffner habe das so gewollt.
Anmerkung: In einer ersten Version des Texts reiste der Pfarrer nach Indonesien. Dies wurde nachträglich richtiggestellt, denn seine Reise ging auf die Philippinen.
- Gespräch mit Gilbert Schaffner
- Offener Brief von Gilbert Schaffner
- Gespräch mit Pfarrer Adrian Suter
- Brief der Gemeindeleitung der christkatholischen Kirche Luzern
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