Luzerner war als UN-Beobachter vor Ort

«Eritrea ist ein wunderschönes Land»

Roby Schärli (Zweiter von links) während seines Einsatzes in Eritrea bei einem Meeting mit den Konfliktparteien. (Bild: zvg)

Viele Eritreer kommen als Asylsuchende in die Schweiz. Doch was wissen wir überhaupt über ihre Herkunft Eritrea? Der Luzerner Roby Schärli war als UN-Beobachter vor Ort und schildert uns seine Eindrücke. Und er versucht die Frage zu beantworten, ob die Eritreer Wirtschaftsflüchtlinge sind.

532 Menschen aus Eritrea wurden dem Kanton Luzern 2015 zugewiesen. Damit machen die Eritreer über einen Viertel aller Asylsuchenden des Kantons aus. Doch: Was bewog diese zur Flucht, weshalb sind sie in der Schweiz und können nicht einfach zurückgeschickt werden? Wir haben mit einem gesprochen, der’s wissen sollte: Der erfahrene Luzerner Roby Schärli arbeitete im Asyl- und Flüchtlingswesen und leistete vor 10 Jahren im Rahmen einer UNO-Mission als Beobachter in Eritrea einen Einsatz. In seiner Funktion sind Interviews heikel, weil zu kritische Aussagen einen weiteren Einsatz in der kritisierten Region erschweren könnten. Trotzdem haben wir ihm die brennendsten Fragen gestellt, er hat sie so gut wie möglich beantwortet.

zentralplus: Sie waren 2006 als UN-Beobachter in Eritrea. Was haben Sie dort gemacht?

Roby Schärli: Das Hauptmandat war, das Waffenstillstandsabkommen zwischen Eritrea und Äthiopien zu überwachen. 1998 brach ein Krieg zwischen den beiden Ländern aus, da man sich nebst wirtschaftlichen Streitigkeiten über den Verlauf der Grenze nicht einig war. Dieser endete jedoch ohne Sieger. 2002 wurde durch eine unabhängige Grenzkommission eine «green line» gezogen, also eine Landesgrenze. Die UNO war in der Konfliktzone rund um den Ort Badme präsent. Dieser Ort wurde Eritrea zugesprochen – Äthiopien anerkennt dies aber bis heute nicht. In der errichteten Pufferzone durften keine militärischen Bewegungen stattfinden.

zentralplus: Der militärische Konflikt war also beendet?

Schärli: Nein, es war kein Friedensvertrag, sondern lediglich ein Waffenstillstand. Dahinter fanden die ganzen Verhandlungen der UNO mit den verfeindeten Parteien statt. Wir mussten den Waffenstillstand überwachen.

zentralplus: War das nicht gefährlich?

Schärli: Es war relativ ruhig. Es gab Minen, und die Räumung dieser Sprengstofffallen war nicht ganz ungefährlich. Aber mit den Konfliktparteien hatten wir ein gutes Verhältnis – vor allem mit Äthiopien.

zentralplus: Waren Sie bewaffnet?

Roby Schärli am ersten Tag seines Einsatzes.

Roby Schärli am ersten Tag seines Einsatzes.

Schärli: Nein, UN-Beobachter sind unbewaffnet. Zur Erklärung: Blauhelme sind das Kontingent, das bewaffnet ist und zum Schutz gewisser Arbeiten eingesetzt wird. Die Schweiz stellte keine solchen bewaffneten Blauhelme. Wir trugen die blauen Perets und wurden als Blaumützen bezeichnet.

zentralplus: Der Aufenthalt ist nun zehn Jahre her. Ist die Situation heute noch vergleichbar mit dazumals?

Schärli: Das kann ich nur schwer beurteilen, seit meinem Einsatz vor 10 Jahren war ich nicht mehr vor Ort.

zentralplus: Was ist Ihnen von Eritrea in Erinnerung geblieben?

Schärli: Eritrea ist ein wunderschönes Land. Es liegt am roten Meer. Hat auch von der Höhe her einiges zu bieten. Weil es auf einem Hochplateau liegt, ist das Land grösstenteils auch malariafrei. Die Vegetation gedeiht vor allem in der Regenzeit. Und es sind sehr herzliche Leute – dieses Bild ist mir geblieben.

Roby Schärli beim Interview. Er war als UN-Beobachter in Eritrea.

Roby Schärli beim Interview. Er war als UN-Beobachter in Eritrea.

zentralplus: Für viele ist es dennoch schwierig, sich ein Bild des Landes zu machen. Können Sie Ihre Berichte noch etwas ausführen?

Schärli: Die Hauptstadt Asmara ist noch immer geprägt von der italienischen Kolonialherrschaft. Besonders an der «kleinen Kathedrale» erkennt man diese Einflüsse. Auf dem Markt dort gab es viele schöne Erlebnisse. Oder auch in ihren Bäckereien, wo sie Gebäcke verkauft haben. Die Leute waren sehr freundlich und zuvorkommend. In Erinnerung blieb mir die traditionelle Mahlzeit Enjera: Eine Art saure Omelette wird mit Gemüse und Fleisch belegt. Und auch die Kaffeezeremonien sind sehr verbereitet. Es werden drei Runden Kaffee serviert, und bei der dritten weiss man, es ist Zeit zu gehen.

In der Konfliktzone um Badme war alles viel einfacher eingerichtet. Der Ort besteht aus ein paar Lehm- und Backsteinhütten, die mit Wellblechen bedeckt sind. Mehr gab’s nicht – und darum stritten sich die beiden Parteien. Vielleicht noch ein spannendes Detail: Egal, wie abgelegen eine Kontrollstelle lag, Bier, Coca Cola und eine TV-Satellitenschüssel waren vorhanden. Und Fussball ein riesiges Thema, Stephane Chapuisat kannten alle.

Die Hauptstadt Asmara: links ein Gewürzmarkt, rechts die Kathedrale.

Die Hauptstadt Asmara: links ein Gewürzmarkt, rechts die Kathedrale.

zentralplus: Trotz all diesen Ausführungen scheint die Lage in Eritrea schwierig zu sein. Warum?

Schärli: Damals ging es wirklich noch um die Nachwehen des Konflikts mit Äthiopien. 2008 hat die UNO dann ihre Mission eingestellt, weil keine Fortschritte erzielt werden konnten. Seither geniesst der Machthaber Isayas Afewerki wieder mehr Freiheit.

zentralplus: Betreffend Pressefreiheit ist ja bekannt, dass Eritrea auf dem weltweit letzten Platz steht, hinter Nordkorea.

Schärli: Die Pressefreiheit war zu meiner Zeit tatsächlich eingeschränkt. Was ich nicht beurteilen kann, ist, wie stark die Leute unterdrückt werden und wie dies mit den Flüchtlingen zusammenhängt. Ich kann einfach kurz einige Punkte nennen, die darauf hinweisen, dass die Situation nicht sehr einfach ist: Seit 1993 gibt’s eine Übergangsregierung, die Verfassung von 1997 wurde nie in Kraft gesetzt. Der Präsident wurde nie demokratisch gewählt, einen Vize-Präsidenten gibt es nicht. Man spricht von einem Einparteiensystem, andere Parteien sind nicht zugelassen. Wahlen gibt es keine, Gewaltentrennung auch nicht.

Typische eritreische Traditionen. Links eine Kaffeezeremonie, rechts das nationale Gericht Enjera.

Typische eritreische Traditionen. Links eine Kaffeezeremonie, rechts das nationale Gericht Enjera.

zentralplus: Also ist Eritrea eine Diktatur?

Schärli: Vieles deutet darauf hin. Aber es ist nicht so, dass der Präsident 100 Prozent fest im Sattel sitzt. Es gab schon Versuche ihn zu stürzen, bisher aber erfolglos.

zentralplus: Wie funktioniert die eritreische Armee?

Schärli: Sie ist ein wichtiger Teil des Landes. Die Menschen gehen in die Schule um sich für eine gute Stelle bei der Armee zu bewerben. Aber grundsätzlich werden schon Kinder eingezogen. Der offizielle Wehrdienst dauert nur 18 Monate, aber eigentlich kommt man nie mehr von der Armee weg. Denn der Präsident beruft sich darauf, im Krieg zu sein, und verlängert den Militärdienst auf unbestimmte Zeit.

zentralplus: Die entscheidende Frage: Sind die Eritreer, die in die Schweiz kommen eigentlich Wirtschaftsflüchtlinge oder wirklich an Leib und Leben bedroht?

Schärli: Ich denke, einen wirtschaftlichen Grund kann man nie ausschliessen. Es ist immer eine Kombination von Krieg und seinen wirtschaftlichen Folgen.

zentralplus: Also kommen die Leute auch nach Europa, weil sie ein besseres Leben wollen?

Schärli: Jeder Mensch will weiterkommen. Aber hier eine Schwarz-Weiss-Antwort zu liefern, ist sehr schwierig. Ich vergleiche das manchmal mit anderen (Drittwelt-)Staaten. Wären nur wirtschaftliche Gründe ausschlaggebend, könnten viel mehr Personen nach Europa flüchten. Aber, sie finden ihr Leben in ihrer Heimat trotzdem lebenswert. In Eritrea scheint das anders zu sein, die Perspektive fehlt, und deshalb wird die Flucht ergriffen. Und man muss auch bedenken, was die Menschen alles auf sich nehmen, denn zum Leben hätten sie eigentlich genug. Wir wissen einfach nicht, was betreffend Menschenrechte in diesem Land genau abläuft – es existiert eine Blackbox.

So lebte Schärli in Eritrea. Links die Lehmhütte, rechts sein Bett.

So lebte Schärli in Eritrea. Links die Lehmhütte, rechts sein Bett.

zentralplus: Die Schweiz beheimatet, gemessen an der Bevölkerungszahl, die zweitgrösste Diaspora der Eritreer. Warum?

Schärli: In der Schweiz hat sich über längere Zeit eine Diaspora gebildet. Die meisten Personen flüchten in jenes Land, in welchem bereits Landsleute anzutreffen sind. Die Schweiz steht immer wieder in Kontakt mit Eritrea und ist deshalb nicht unbekannt.

zentralplus: Also ist es für die Regierung attraktiv, wenn Eritreer sich in Europa niederlassen und Geld nach Eritrea schicken?

Schärli: Man sagt ein bedeutender Anteil des Bruttosozialproduktes stamme aus dem Geldfluss von aussen.

zentralplus: Sie meinen Entwicklungsgelder?

Schärli: Nein, Geld von Eritreern, die im Ausland, etwa in der Schweiz, leben und Geld zurückschicken.

«Eritrea hat auch Mineralien, ist also nicht unattraktiv.»

zentralplus: Ein breit diskutiertes Thema sind Rückschaffungen. Was ist möglich?

Schärli: Um diese Frage abschliessend zu beantworten, war ich zu lange nicht mehr dort. Ich weiss also nicht, ob die Menschen in Eritrea in Sicherheit wären.

zentralplus: Als Erstes müsste doch versucht werden, alle Konflikte um Eritrea zu beenden, damit der eritreische Präsident sich nicht mehr aufs Kriegsrecht berufen und den Militärdienst nicht mehr verlängern kann. So könnte man ihm mehr und mehr Macht entziehen. Wäre eine verstärkte Zusammenarbeit mit Nachbarländern möglich?

Schärli: Es würde bestimmt helfen, wenn Äthiopien die Grenze akzeptieren würde. Der eritreische Machthaber ist mittlerweile auch bereits 70 Jahre alt. Rein altersbedingt wird es in Eritrea zu Veränderungen kommen, wie diese aussehen, weiss ich nicht.

Links der Grenzübergang zwischen Äthiopien und Eritrea, rechts die Ortschaft Badme. Um diese Region streiten sich die beiden Länder.

Links der Grenzübergang zwischen Äthiopien und Eritrea, rechts die Ortschaft Badme. Um diese Region streiten sich die beiden Länder.

zentralplus: Was macht eigentlich die UNO? Die USA oder andere?

Schärli: Wirtschaftlich existiert unter anderem ein eritreisch-kanadisches Konsortium, welches Bodenschätze fördert. Eritrea hat auch Mineralien, ist also nicht unattraktiv. Im Grossen und Ganzen läuft Eritrea aber unter dem Radar der grossen Nationen.

zentralplus: Also muss ein wirtschaftliches Interesse da sein, damit man sich für das Land interessiert.

Schärli: Ja, es scheint so.

«Eine Familie überlegt sich natürlich, welches Kind sie nach Europa schickt.»

zentralplus: Was nützen Schweizer Entwicklungsgelder?

Schärli: Bei Rücknahmeabkommen geht es immer auch darum sicherzustellen, dass die Rückkehrer in ihrem Land fair behandelt werden und im Gegenzug Projekte vor Ort initialisiert würden. Bis heute konnte mit Eritrea kein Rücknahmeabkommen abgeschlossen werden. Ob und wie viel Entwicklungsgelder nach Eritrea fliessen, entzieht sich meinem Wissen.

zentralplus: Stört es die eritreische Regierung eigentlich nicht, wenn ganze Bevölkerungsschichten abwandern?

Schärli: Nun, die Rechnung ist relativ einfach. Pro Jahr verlassen zirka 5000 Menschen das Land. Trotzdem ist das Bevölkerungswachstum ungebrochen. Derzeit leben 5,2 Millionen Einwohner in Eritrea und 800’000 Eritreer im Exil. Aber es ist schon so, eine Familie überlegt sich natürlich, welches Kind sie nach Europa schickt. Dasjenige mit dem grössten Potential – dieses fehlt dann natürlich in Eritrea.

zentralplus: Sie haben vorher die «Blackbox» angesprochen. Gehören da auch Folter und Menschenrechtsverletzungen dazu?

Schärli: Was genau vor sich geht, weiss man nicht. Aber es gibt Indizien. Etwa, dass die Reisefreiheit eingeschränkt ist und man vorab nur ein Visum für die Hauptstadt Asmara erhält und dass Inlandreisen nur in Begleitung einer zugewiesenen Person und eines weiteren Visums möglich sind. Oder Berichte von Menschen, die selbst von Menschenrechtsverletzungen betroffen waren. Aber selbst in Eritrea gibt es Stimmen, die sagen, diese Probleme seien erlogen. Es ist also schwierig zu sagen.

«Ich würde es nicht wagen, einen Ort ohne Visum auf abenteuerliche Art zu bereisen.»

zentralplus: Wie wird etwa kontrolliert, dass man sich nur in Asmara aufhält?

Schärli: Schon 2005 gab es Ausgangsverbote. Rundherum sind Zugangsstrassen, die von der Polizei bewacht werden. Ich würde es nicht wagen, einen Ort ohne Visum auf abenteuerliche Art zu bereisen.

zentralplus: Wie sieht es mit den Gefängnissen aus – haben Sie solche gesehen? Die sind wohl in einer Zone, wo man nicht hinkommt.

Schärli: Ich habe nie eines besucht oder gesehen. Ob sie tatsächlich existieren, weiss ich nicht.

zentralplus: Welche Perspektiven hat Eritrea?

Schärli: Wenn eine grosse Organisation oder ein Land sich ein Schwerpunktprogramm leisten würde, könnte dieses Land mit 600 Kilometern Küste durchaus eine Chance haben.

 

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