Selbstversuch zu Ostern

Einen Tag Hardcore-Fasten: Von Demut und Gewaltfantasien

Einen Tag lang übte sich zentralplus-Redaktor Marc Sieger im kompletten Verzicht. (Bild: mas)

Vor Ostern ist Fastenzeit. Während die Zeit für Gläubige jährlich zur Vorbereitung auf Ostern dazugehört, hält unser Autor wenig vom freiwilligen Verzicht aus religiösen Gründen. Einen Tag lang hat er es dennoch getan. Hier das (nicht allzu ernst zu nehmende) Protokoll.

Nein, Fasten ist nichts, was ich mir gerne und freiwillig antue – und dann auch noch periodisch. Dazu fehlen sowohl die religiöse Überzeugung als auch die Willensstärke. So viel Ehrlichkeit mit mir selbst will sein. Klar, gibt es das eine oder andere, auf das ich verzichte, die Fastenzeit war aber stets etwas, was ich distanziert zur Kenntnis genommen habe: Schön, wenn das jemand macht, ich mag nicht. Der Hedonist in mir lässt grüssen.

Ich beuge mich nun aber dem masochistischen Plenum der Redaktion, welche fand: «Ja kommt, wir lassen jemanden zu Ostern mal einen Tag lang auf alles verzichten.» Nun, ich verzichte zwar so mässig gerne, aber ich teste mich selbst gerne aus.

Zunächst muss dabei mal festlegen, was ich den alles einen Tag lang aufgeben will. Die reguläre Fastenzeit vor Ostern dauert ja mehrere Tage, andere Religionen kennen ebenso strenge Verzichtsperioden. Ich muss ja nur einen Tag durchhalten. Wennschon, denn schon also: Kein Essen, kein Warmwasser, möglichst wenig Elektronik (ganz verzichten geht nicht, ich muss noch arbeiten und meine Familie koordinieren), kein Kaffee und kein Nikotin.

Das Protokoll des Tages liest du hier.

6.30 Uhr: Tagwache, kalt Duschen. Kein Problem. Das mache ich so oder so regelmässig.

7 Uhr: Frühstück lasse ich weg. Auch das fällt mir leicht. Ich esse so oder so meist nichts, oder wenn, dann nur wenig. Es gibt Wasser. Den Kaffee wegzulassen fällt mir schon etwas schwerer. Automatisch fährt die Hand in die Schublade mit den Kaffeekapseln, nur um dann, dem Vorgenommenen wieder gewahr, innezuhalten. Ich drehe die Kapsel unschlüssig in den Händen. Es ist etwas früh, um aufzugeben. Egal, einen Tag ohne Kaffee geht gut.

8 Uhr: Ich warte auf den Bus und bin erstmals etwas genervt. Wieso habe ich mir auch vorgenommen, auf Nikotin zu verzichten? Das wird schwer. Ich seufze. Habe es ja schon einmal geschafft, vom Nikotin wegzukommen – ach was, mehrmals. Wird schon gehen. Ich bemühe mich um gute Laune. Es gelingt und ich bin zuversichtlich für den Tag.

9 Uhr: Die gute Laune hält an.

9.30 Uhr: Ich trinke viel Wasser.

9.31 Uhr: Ich muss pinkeln.

10 Uhr: Langsam bekomme ich Hunger. Ich trinke weiter Wasser. Dafür macht mir der Nikotinverzicht zu schaffen. So langsam bekommt die gute Laune erste Risse.

10.30 Uhr: Ich arbeite hochkonzentriert. Das lenkt ab. Und ich fühle mich wieder besser. Ich bin im Flow, fühle mich irgendwie leicht und energetisch.

10.35 Uhr: Ich muss nochmals pinkeln.

11.30 Uhr. Ich zapple auf dem Stuhl. Der Hunger geht, aber ich vermisse das Nikotin. Ich beginne, an einem Bleistift zu nagen und lege ihn dann aber gleich wieder beschämt zur Seite. Wie wirke ich denn?

12 Uhr: Ich bin unterwegs für einen Termin. In der Stadt machen die Leute Mittagspause. Dadurch, dass ich zu tun habe und noch einen Zug erwischen muss, bin ich abgelenkt. Etwas neidisch blicke ich aber dennoch auf die Sandwiches, Salat-Bowls, Burger, Döner, Pommes, Pizzen ... so, zusammenreissen.

13 Uhr: Termin fertig und zurück im Zug. Hunger. Ich schaue zum Fenster hinaus. Auf der Weide grasen Steaks, äh Kühe.

13.30 Uhr: Die Laune kippt. Ich will Nikotin.

13.35 Uhr: Erste grosse Krise. Wieso zur Hölle habe ich mir den Quatsch aufgehalst. Nur um diese Zeilen zu schreiben? Ist es das wert? Tief durchatmen. Durchhalten. Ich hätte ja nicht gleich auf alles verzichten müssen. Nur so auf ein paar Sachen – Haifischflossen, Elchsteak und Kakteen zum Beispiel.

14 Uhr: Die Sonne scheint durchs Fenster. Von den Strassen dringt fernes Lachen zu mir hinauf. Ein Vöglein lässt sich fröhlich tschirpend auf dem Fenstersims nieder – ich drehe ihm gleich den Hals um.

14.10: Wut, Hass, Tod. Wehe dem, der sich mir nähert und mich belästigt. Die Apokalypse möge über ihn kommen, Seen von Blut, Seuchen, Verderben. Fürchterlich wird die Pein sein, schrecklich meine Wut ...

14.30 Uhr: Der Vogel lebt noch. Ich bin über den Berg. Der Druck lässt nach. Ebenso der Hunger. Ich trinke wieder Wasser und gehe dann pinkeln. Zum zehnten Mal oder so.

16 Uhr. Die Stunden vergehen nun schneller. Ich arbeite konzentriert, denke nicht mehr so viel ans Essen und Nikotin.

17.30 Uhr: Ich mache mich auf den Heimweg. Wie ich durch die Strasse laufe, wächst wieder der Drang, Nikotin zu konsumieren und ich bekomme erneut Hunger. Die zweite Krise bahnt sich an.

17.45 Uhr: Ich warte auf den Bus nach Hause. Kopfschmerzen bahnen sich an. Entzugserscheinung? Ich will das Handy aus der Hosentasche nehmen, um mich abzulenken, stecke es dann aber wieder zurück. Nein, darauf soll ich ja auch weitestgehend verzichten.

17.50 Uhr: Zweite Krise – im Bus. Ich setze eine Sonnenbrille auf. Einerseits wegen den Kopfschmerzen, anderseits, um dahinter wütend meine Mitfahrer anzufunkeln. Mehrere Teenager steigen ein und beginnen eine lautstarke Unterhaltung, zeigen sich lärmende Videos auf den Handys. Ich schmeisse die Dinger beim nächsten Halt raus – und die Handys auch.

18.15 Uhr: Ich habe die anderen Passagiere in Ruhe gelassen. Sie können doch nichts dafür. Einige moderate Gewaltfantasien helfen aber, die schlechte Laune zu bewältigen. Ich trinke noch einen Schluck Wasser und steige dann aus.

18.17 Uhr: Ich bin zu Hause und gehe pinkeln.

18.30 Uhr: Meine Partnerin erzählt von ihrem Tag. Er war streng. Die Tochter will spielen.

18.31 Uhr: Ich gehe zum Kühlschrank und bediene mich grosszügig an der Lasagne vom Vortag. Dann gebe ich der Nikotinsucht nach. Vorsätze? Über Bord damit. Dann setze ich mich zur Familie – gut gelaunt. Darauf will ich nicht verzichten.

Verwendete Quellen
  • Selbstversuch

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