Gesellschaft
Luzernerinnen haben Sicherheitsbedenken

Auf dunklen Wegen in die Energiekrise

Werden die Strassen im Winter beleuchtet? Je nach Energielage ist das nicht sicher. (Bild: Unsplash/Roan Lavery)

Eine Gemeinde nach der anderen beschliesst Stromsparmassnahmen. In Luzern wird die öffentliche Beleuchtung bislang nicht angetastet. Und soll sie auch weiterhin nicht werden, finden Luzerner Politikerinnen.

Die Lampe flackert ein letztes Mal, bevor der Raum in tiefe Dunkelheit getaucht wird. Der Puls schnellt in die Höhe und man bereitet sich auf den unmittelbaren Schreckensmoment vor. Dass in Horrorfilmen mit fehlendem Licht Angst gesteuert wird, ist kein Zufall. Die Angst vor Dunkelheit ist tief in uns verankert.

Sie lässt sich auch neurologisch nachweisen. So haben australische Forscher aufgezeigt, dass Licht die Amygdala, das Hirnsystem zuständig für Angstgefühle, aktiv unterdrückt. Kein Wunder also, beschleicht uns mitten in der Nacht auf spärlich beleuchteten Strassen ein Angstgefühl.

Wird Energie knapper, werden Strassen dunkler – allenfalls

Dieses Gefühl könnte uns bald noch öfter überkommen. Denn: Energiesparen ist in der Schweiz angesagt. Und eine der Massnahmen, die der Schweizer Städteverband vorschlägt, ist, die öffentliche Beleuchtung zu dimmen oder komplett abzuschalten. Diese Massnahme zieht vorerst weder die Stadt Zug noch die Stadt Luzern in Betracht (zentralplus berichtete). Wegen Sicherheitsbedenken, wie die Stadt Luzern auf Nachfrage erklärt (zentralplus berichtete).

Diese Bedenken teilen auch Ständerätinnen um die Urnerin Heidi Z'graggen. Sie – darunter auch die Luzerner Ständerätin Andrea Gmür – haben den Bundesrat per Interpellation angefragt, wie wichtig er die öffentliche Beleuchtung für das Sicherheitsempfinden der Personen einschätzt. Und wie er das Sicherheitsgefühl von Frauen erhalten will, sollten die Strassenlaternen wegen einer Strommangellage abgeschaltet werden.

Urner Ständerätin hat Sicherheitsbedenken

Wie Z'graggen auf Anfrage ausführt, sei die Interpellation nach einem gemeinsamen Essen mit anderen Frauen aus dem Ständerat entstanden. Dort hätten sie sich mit genau diesen Fragen beschäftigt: Was würde weniger Beleuchtung im öffentlichen Raum bedeuten?

«Sinnlose Reklamebeleuchtung oder Schaufenster müssen in der Nacht nicht grell leuchten.»

Ylfete Fanaj, Luzerner SP-Kantonsrätin

Als ehemalige Urner Justizdirektorin habe sie sich bereits früher mit dieser Frage auseinandergesetzt. «Mit guten raumplanerischen Massnahmen kann der öffentliche Raum so gestaltet werden, dass sich Menschen sicherer fühlen und dazu gehört intelligente Beleuchtung an neuralgischen Punkten», ist sie überzeugt.

Betrifft auch Schichtarbeiterinnen, Reinigungskräfte und Pfleger

Den Sicherheitsbedenken schliesst sich auch die Luzerner SP-Kantonsrätin Ylfete Fanaj an. «Ich bin absolut dafür, dass wir Massnahmen zum Energiesparen ergreifen. Der Sicherheitsaspekt soll dabei auch verhältnismässig berücksichtigt werden.» Wenn etwa die Museggmauer nicht mehr beleuchtet werde, sei das zwar schade, aber nicht tragisch. Bei der öffentlichen Beleuchtung sei das etwas anderes. Hier werde das Sicherheitsempfinden von Menschen eingeschränkt.

«Nachts bewegen sich auch Menschen, die arbeiten gehen, nicht nur Partygänger.» Sie denke da etwa an Schichtarbeiterinnen, Reinigungskräfte oder Pfleger. Oder auch Jugendliche, die vom Training im Sportverein nach Hause gehen.« Durchgänge oder Unterführungen, wo Leute sich nachts bewegen müssen, sollen weiterhin beleuchtet sein. Das ist für mich wichtig.»

«Die Beleuchtung erhöht nur das Sicherheitsgefühl. Ob sie auch tatsächlich Verbrechen verhindert, ist nicht belegt.»

Yvette Estermann, Luzerner SVP-Nationalrätin

Wenn schon bei Beleuchtung Energie sparen, solle der Hebel zuerst anderswo angesetzt werden. «Sinnlose Reklamebeleuchtung oder Schaufenster müssen in der Nacht nicht grell leuchten», findet die 40-Jährige.

Yvette Estermann schwört auf Taschenlampe

Anders sieht es hingegen die Luzerner SVP-Nationalrätin Yvette Estermann. «Ich wäre offen dafür, die Beleuchtung um 12 Uhr nachts abzuschalten. Heutzutage ist sowieso vielerorts zu hell beleuchtet», meint die 55-Jährige auf Anfrage. Die Sicherheitsbedenken der Ständerätinnen teilt sie nicht: «Die Beleuchtung erhöht nur das Sicherheitsgefühl. Ob sie auch tatsächlich Verbrechen verhindert, ist nicht belegt.»

Und für das eigene Sicherheitsempfinden sollen die Luzerner auch eigene Verantwortung übernehmen. «Wenn man im Dunkeln unterwegs ist, kann man eine Taschenlampe und Leuchtweste tragen. Ich mache das auch.» Für Estermann ist es auch nicht richtig, zuerst Spas oder Schneekanonen vom Strom zu nehmen. «Mit solchen Anlagen verdienen Leute ihr Geld und Unterhalt. Da besteht schon ein Unterschied.»

Wie präventiv ist Beleuchtung wirklich?

Über Sinn und Unsinn von Beleuchtung bei einer Energiekrise lässt sich streiten. Auf Anfrage kann die Luzerner Polizei jedoch keinen Anhaltspunkt in dieser Debatte liefern. Denn wie Polizei-Mediensprecher Urs Wigger auf Anfrage erklärt, erhebe die Polizei keine Daten darüber, ob Verbrechen häufiger an schlecht beleuchteten Ecken geschehen. Auch Abklärungen mit Kollegen der Kriminalprävention verlaufen ins Leere.

Ebenso ratlos ist der Luzerner Sicherheitsmanager Christian Wandeler. Ob Beleuchtung tatsächlich zur Gewaltprävention beitrage, könne er nicht sagen. Aber: «Aus meiner Sicht kann ich sagen, dass eine gute Beleuchtung in den meisten Fällen zu einer Erhöhung der sozialen Kontrolle führt und so das subjektive Sicherheitsgefühl gestärkt werden kann.»

Eine gewisse Präventionswirkung scheint Wandeler der Beleuchtung trotzdem zuzusprechen. Als Antwort auf eine Interpellation, die nach Möglichkeiten zur Verhinderung von Vergewaltigungen im öffentlichen Raum fragt, hiess es von Seiten des Sicherheitsmanagements: «Das Sicherheitsgefühl im öffentlichen Raum soll gestärkt werden, indem z. B. Beleuchtungskonzepte und Farbgestaltungen überprüft und optimiert werden und bei baulichen Gestaltungen auf die Vermeidung von dunklen Ecken geachtet wird.»

Deutlicher wird die Polizei in Deutschland. In einer Sendung des deutschen Radios Südwestrundfunk warnt der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft in Baden-Württemberg vor dunklen Schaufenstern: «Wenn die Vorgaben der Bundesregierung umgesetzt werden, rechnen wir mit einem Anstieg der Kriminalität: Einbrüche, Vandalismus, Sachbeschädigung, Farbschmierereien und ähnliches.»

Licht gibts nur ganz oder gar nicht

Wird es dunkel, wird es also gefährlicher – oder zumindest grusliger. Der Preis dafür? Gut 2,43 Gigawattstunden Energie, die jährlich gespart werden könnten, stellt die Stadt Luzern alle Leuchten ab, wie es beim städtischen Strasseninspektorat und der EWL heisst. Dies entspricht dem jährlichen Stromverbrauch von gut 600 Vier-Personen-Haushalten.

In der Stadt Luzern heisst es übrigens ganz oder gar nicht. Denn das städtische Beleuchtungsnetz lasse sich nicht teilweise oder pro Gebiet abschalten. Nur eine zeitliche Einschränkung sei technisch möglich.

Hinweis: Die 2,43 Gigawattstunden Energie für Strassenlaternen sind der Jahresverbrauch, nicht nur der des Winterhalbjahrs. Die betreffende Passage wurde korrigiert.

Verwendete Quellen
  • Studie von Forschern der Monash Universität in Melbourne
  • Teilnahme an Medienkonferenz zum Energiesparen der Stadt Luzern
  • Liste mit möglichen Energiesparmassnahmen des Schweizer Städteverbands
  • Telefonat mit Luzerner Polizei Mediensprecher Urs Wigger
  • Vorstoss 22.4123 von Heidi Z'graggen, Urner Ständerätin
  • Schriftlicher Austausch mit Heidi Z'graggen, Urner Ständerätin
  • Telefonat mit Ylfete Fanaj, Luzerner SP-Kantonsrätin
  • Telefonat mit Yvette Estermann, Luzerner SVP-Nationalrätin
  • Schriftlicher Austausch mit Christian Wandeler, Sicherheitsmanager der Stadt Luzern
  • Antwort des Luzerner Stadtrats auf die Interpellation 147
  • Sendung SWR1 Baden-Württemberg vom August
  • Schriftlicher Austausch mit dem Strasseninspektorat Stadt Luzern
  • Telefonat mit Alain Brunner, Mediensprecher der EWL
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