Interview mit Christian Studer

Doktor Google hilft auch Ärzten

Der Präsident der Vereinigung Luzerner Hausärzte, Christian Studer (50), spricht den Patienten heute mehr Autonomie zu. (Bild: zvg)

Die Nutzung des Internets hat sich in den letzten Jahren gewandelt. Laien sind immer besser informiert und stellen Mediziner vor neue Herausforderungen. Aber auch Ärzte nutzen digitale Medien, wenn sie mit ihrem Latein am Ende sind.

zentral+: Christian Studer, Sie sind Präsident der Vereinigung Luzerner Hausärzte. Bedeutet es für Sie eine zusätzliche Herausforderung in der Praxis, wenn Ihre Patienten aufgrund des Internets in gesundheitlichen Fragen besser informiert sind?

Christian Studer: Auf jeden Fall. Ich gehöre zu jener Generation, die mit dem digitalen Zeitalter ein Stück weit aufgewachsen ist. Die Arzt-Patienten-Beziehung hat sich in den letzten Jahren stark verändert, das heisst, man pflegt eine partnerschaftliche Gesprächskultur. Die Autonomie der Ratsuchenden wird weitaus höher gewichtet als früher.

zentral+: In Bezug auf Krankheiten dürften Ängste heutzutage ebenfalls eine grössere Rolle spielen, zumal im Internet auch Falschinformationen lauern.

Studer: Das trifft sicher zu. Allerdings haben sich die Menschen früher über andere Kanäle wie Zeitungen oder Fernsehen informiert und zeigten sich in den Arztpraxen bezüglich Krankheiten nicht weniger irritiert. Man kann sich auch in einer falschen Sicherheit wiegen, wenn man beispielsweise einen Fernsehbeitrag verfolgt.

zentral+: Der virtuelle Einfluss hat in den Arztpraxen längst Einzug gehalten. Das gilt auch für das elektronische Patientendossier. Stösst dieses im Raum Luzern auf Akzeptanz?

Internet schafft auch Verunsicherung

An der 17. Fortbildungstagung des Kollegiums für Hausarztmedizin (KHM), die im vergangenen Juni im Kultur- und Kongresszentrum Luzern durchgeführt wurde, stand das Thema «Wie beeinflussen Internet und Social Media die Arzt- und Patientenbeziehung?» im Zentrum. Diverse Experten des Schweizer Gesundheitswesens setzten sich mit der kontroversen Frage auseinander.

Fazit: Es sollte die Pflicht bestehen, sämtliches Internet-Wissen auch im Bereich der Gesundheit stetig zu aktualisieren und den aktuellen Standards anzupassen. In dieser Hinsicht scheint es auch besonders essentiell zu sein, dass Mediziner vermehrt eine aktive Rolle einnehmen und verunsicherte Patienten in fachlicher und emotionaler Hinsicht aufzufangen versuchen.

Studer: E-Health ist in unserem Gebiet noch kein zentrales Thema. Es handelt sich um ein zeitgemässes Dokument der Datenverarbeitung, das jedoch meines Erachtens nicht mit einem Einführungszwang verbunden sein sollte. Viele Menschen begrüssen es, wenn ihre Patientendaten bereits elektronisch gespeichert sind. Doch handelt es sich zum Beispiel um eine Geschlechtskrankheit, wird auch diese auf die Diagnoseliste gesetzt. Dabei geht ein Stück Privatsphäre verloren. Das Patientendossier wird sich langfristig durchsetzen, gute flankierende Massnahmen in Bezug auf den Datenschutz sind aber dringend gefragt.

zentral+: Besteht auch die Gefahr, dass zusätzliche unnötige Untersuchungen veranlasst werden könnten, um die elektronischen Unterlagen scheinbar zu vervollständigen, obwohl die Krankengeschichte des jeweiligen Patienten ausreichend bekannt ist?

Studer: Anreize gegenüber medizinischen Kriterien spielen nicht selten eine übergeordnete Rolle, aber man kann diese Entwicklung nicht lediglich auf das elektronische Patientendossier zurückführen. Meiner Meinung nach versuchen die meisten Mediziner, ihre Untersuchungen zu begründen.

zentral+: Ist ein ausführlicher Dialog zwischen Arzt und Patient demnach wichtiger geworden?

Studer: Im Bereich der Medizin steht das Gespräch zunehmend im Mittelpunkt. Das Ziel sollte auch darin bestehen, digitale Informationen korrekt einzuschätzen. Zu den wichtigsten Eigenschaften eines Arztes gehört, die eigenen Grenzen klar zu erkennen. Ich erlebe es im Sprechzimmer nicht als Nachteil, wenn ich gemeinsam mit meinen Patienten zusätzliche Informationen im Internet suche. Auch Mediziner kennen sich nicht in jedem Bereich aus. Allerdings wissen wir im Gegensatz zu Laien, welchen Informationsquellen wir tatsächlich vertrauen können.

«Man darf nicht vergessen, dass hinter manchen Foren auch Sponsoren stehen.»

zentral+: Inzwischen existieren auch zahlreiche Patientencommunitys, die sich zunehmend im Netz verlagern mit dem Bestreben, einen gegenseitigen Austausch zu pflegen. Was halten Sie davon?

Studer: Wichtig ist, dass Selbsthilfegruppen auch von Medizinern begleitet werden. Ansonsten besteht die Gefahr eines angstschürenden Klimas. Man darf nicht vergessen, dass hinter manchen Foren auch Sponsoren stehen, und es gilt, entsprechend wachsam zu sein – auch in Bezug auf Behandlungsmöglichkeiten. Spezialisten-Netzwerke der Universitätskliniken bieten jedoch wichtige zusätzliche Unterstützungsmöglichkeiten und Zweitmeinungen an.

zentral+: Wie viel Zeit verbringen Sie im Internet?

Studer: Ich investiere täglich mindestens eine Stunde mit E-Mails. Wenn ein Patient eine Laboruntersuchung in Anspruch genommen hat, besteht die Möglichkeit, ihm das Resultat und die damit verbundenen weiteren Schritte auch auf elektronischem Wege mitzuteilen. Dies trägt zu einer gewissen Effizienz bei.

zentral+: Die direkte Kommunikation fehlt jedoch.

Studer: Wenn es sich um komplexere Fälle und Beschwerdebilder handelt, ist ein Patientengespräch in der Hausarztpraxis unerlässlich. Eine Verdachtsdiagnose wird mit der Anamnese gestellt, was ein genaues Zuhören bedingt. Es gibt allerdings auch Patienten, die mir frühmorgens eine Nachricht schicken und bereits mittags mit einer Antwort rechnen. Deshalb muss ich mich auch abgrenzen und signalisieren, dass ein Hausarzt nicht zu jeder Zeit verfügbar sein kann.

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