Künftig wird auf dem Lebenshof vegane Milch produziert

Dieses Luzerner Bauernpaar hat genug – und steigt aus der Nutztierhaltung aus

Beat und Claudia Troxler auf ihrem Lebenshof Aurelio – hier mit Hahn Raffi. (Bild: ida)

Einst war es auf dem Eichenmoos-Hof in Büron ein Kommen und Gehen: Schweine wurden gemästet, Kälber von ihren Müttern getrennt. Damit ist nun Schluss. Landwirt Beat Troxler und seine Frau Claudia formen ihren Bauern- zu einem Lebenshof um – und setzen künftig auf vegane Milch.

Hier haben nicht nur die Kühe ihren Namen: Hahn Raffi stolziert umher, die Henne Beauty humpelt einmal quer über den ganzen Hof. Einst von einem Velofahrer angefahren und am Strassenrand liegen gelassen, wurde sie auf dem Eichenmoos-Hof wieder aufgepäppelt.

Auf dem Bauernhof im luzernerischen Büron liegt der Duft von frisch gemähtem Gras in der Luft, als Claudia und Beat Troxler uns begrüssen und zum Hofrundgang laden.

Hinter ihnen im Stall sind 48 Kühe mit ihren Kälbern untergebracht, weiter unten hausen die Schweine Felix und Nala, um die Ecke treiben sieben Alpakas ihr Unwesen. Eines stampft ins Planschbecken, Wasser spritzt umher. Anscheinend finden hier regelmässig Alpaka-Poolypartys statt (siehe Video).

So sieht dann wohl ein gechilltes Alpaka aus. (Bild: ida)

Doch so friedlich und unbeschwert war es hier nicht immer. Einst wurden hier Mastschweine gemästet, alle drei Monate mit dem Lastwagen zum Schlachthof gekarrt. Kam ein Kalb auf die Welt, wurde es von seiner Mutter getrennt, dem Viehhändler verkauft. Die Mutter wurde gemolken. So, wie das auf einem ganz normalen Bauernhof eben so ist.

Den Tieren zuliebe – und aus finanziellen Gründen

Vor einigen Monaten hat sich das geändert, als sich Claudia und Beat Troxler entschieden, aus der Nutztierhaltung auszusteigen und fortan den Lebenshof Aurelio zu führen. Die Kühe werden nicht mehr besamt, die Kälber dürfen bei ihren Müttern bleiben. Wo sie auch die Milch trinken dürfen. Ziel ist es – wenn es die Platzverhältnisse zulassen – künftig auch andere Tiere, die vor dem Schlachthof gerettet werden, aufzunehmen. Auch setzt das Paar künftig auf die Produktion veganer Milch – nämlich Hafermilch.

?
zentralplus fragtAktuelle Meinungsumfrage
Was hältst du vom Lebenshof?
  • Eine tolle Sache! Ich gönne es den Tieren. Es sollte viel mehr solche Lebenshöfe geben.
  • Hmmm... Hafermilch? Ich selbst könnte auf Fleisch und Milchprodukte nie verzichten.
  • Davon halte ich nichts. Der Mensch braucht Fleisch.

Doch wie kommt's dazu? Schliesslich hat Beat Troxler sein Einkommen mit dem Fleisch und der Milch verdient – wie bereits seine Eltern. Vor sechs Jahren hat er den Hof übernommen, für ihn ist das alles ganz normal. Einerseits wolle er den Tieren zuliebe aus der Nutztierhaltung aussteigen. Andererseits sieht er mit der jetzigen Infrastruktur auf dem Betrieb in Zukunft eine zu geringe Wertschöpfung.

Schon länger sei er auf der Suche nach Alternativen gewesen. Wolle man heute mithalten, brauche es fast einen Roboter für alles – fürs Melken, Füttern und Misten. Alles grosse Investitionen. «Und dann braucht man 150, 200 Kühe im Stall, um auf dem Markt bestehen zu können.»

Die Poolparty unter Alpakas:

Durch Eber Felix lernten sich die beiden kennen

Wir laufen weiter, vorbei an den beiden Haflinger-Pferden, eines blickt neugierig unter seinen hellen Strähnen durch. Beat Troxler klettert durch die beiden Stangen des Schweinestalls, Claudia greift zu den Leckerli und ruft Eber Felix und seine Freundin Nala nach draussen. Die Schweine haben hier auf dem Lebenshof Aurelio permanent Auslauf, der Hitze wegen bleiben sie an diesem heissen Tag im Stall, wo es viel kühler ist.

Zwei imposante, 300-kiloschwere Tiere trotteln nun raus. Glücklich sehen sie aus, wie sie schelmisch mit ihren kleinen Augen unter den Wimpern hervorblinzeln.

Eber Felix kann gar Sitz machen, blickt auffordernd seine Besitzer an. Im Wissen, dass er sich gerade wieder eine Belohnung verdient hat.

«Schnäderfrässig» ist wohl ein passender Ausdruck. (Bild: ida)

Mit Felix hat das Ganze auch seinen Lauf genommen. Denn durch ihn haben sich Claudia (35) und Beat (36) überhaupt erst kennengelernt.

Claudia erzählt, wie sie beim Fährtentraining mit ihrer Hundetrainerin jeden Sonntag ihr Auto beim Hof von Beat parkierte und dabei jeweils für einige Minuten am Gitter stand und die Schweine beobachtete. In eines der Tiere verliebte sie sich schliesslich. Sie taufte es Felix. Sie wusste, dass auch er einst geschlachtet würde und wollte ihn retten. Tiere habe sie schon immer gern gehabt. «Für mich gibt es keine Nutz- und keine Haustiere.» Für sie seien alle Tiere gleich wertvoll und individuell, würden Angst und Schmerz fühlen.

So kam es, dass Claudia einen Platz für Felix auf einem Gnadenhof suchte, Bauer Beat sagte, dass sie ihm den Eber abkaufen wolle. Dieser willigte ein – und besuchte Wochen danach mit Claudia Eber Felix an seinem neuen Ort beim Gnadenhof Hodel bei Ivo Zürcher in Aeugst am Albis. Claudia und Beat lernten sich besser kennen und wurden ein Paar. Eber Felix nahmen sie zurück auf ihren Hof. Hier soll er nun alt werden.

Wenn die Mutter nach der Trennung nach ihrem Kalb ruft

«Viele Bauern bauen zu ihren Kühen und Schweinen nicht dieselbe Beziehung auf wie beispielsweise zu ihrem Hund», sagt Beat bei einem Glas Mineral später, im Garten des Hauses. Man lasse die Tiere nicht gleich nah an sich ran. «Denn man weiss: Sie gehen wieder.» Und meint damit die Endstation Schlachthof.

Dass es auch anders sein könnte, brachte ihm Claudia bei. Etwa, als sie ein junges Rind namens Graziella frei auf dem Laufhof striegelte und streichelte. Graziella hätte sich den Pflegeeinheiten entziehen können. Doch sie blieb – und genoss es sichtlich.

Als Claudia auf den Hof gezogen ist, packte die gelernte Verkäuferin immer mehr mit an – und musste mitansehen, wie die Kälber und Schweine zur Schlachtbank gebracht wurden.

Das ist ihr eingefahren. Insbesondere derjenige Moment, den heute beide als Schlüsselmoment bezeichnen. Ein Kalb kam in der Nacht auf die Welt, trank bereits am Euter seiner Mutter Milch. «Als wir am Tag danach das Kalb von seiner Mutter trennen wollten, drehte diese völlig durch.» Sie schrie nach ihrem Kind. Stundenlang. Tagelang. Und auch dem Kalb ging die Trennung nahe. «Wir mussten es gar mit der Sonde zwangsernähren, weil es partout nicht mehr essen wollte», sagt Claudia.

Mitten in Corona fiel der definitive Entscheid

So hat sich auch Beat immer mehr damit auseinandergesetzt, ob es richtig sei, Tiere für den Nutzen des Menschen auszunutzen.

Schritt für Schritt krempeln die beiden nun ihren Hof um. Seit über einem Jahr lassen sie die Kälber bei ihren Müttern direkt am Euter trinken, statt sie wie üblich mit Nuckeleimer zu füttern. Sie merkten, dass die Kälber so auch viel gesunder waren als vorher.

Im Frühling entschied sich das Paar, endgültig aus der Nutztierhaltung auszusteigen. Bei der Umstellung werden sie unterstützt vom «Hof Narr» im Kanton Zürich, wo Sarah Heiligtag einen Hof für gerettete Nutztiere führt und andere Bauernhöfe bei der Umstellung unterstützt. Die Schweine wurden weggebracht, die Kühe dürfen ihre Kälber nun behalten. Die beiden haben einige Tiere bei sich aufgenommen. Etwa Lenny, das Kalb des Nachbarn, das einst auf seinen Fesselgelenken gelaufen ist.

Das Paar kaufte ihm Schienen, machte mit ihm Physiotherapie. Heute gehört Lenny zum Lebenshof, läuft und rennt normal auf der Weide umher.

Tiere sollen sich durch Patenschaften selber tragen

Doch die komplette Umstellung ist ein langer Prozess. «Beat ist immer noch dabei», sagt Claudia und lacht. Fleisch esse er beispielsweise noch. Selten zwar und viel bewusster. Zuhause ernähren sich die beiden praktisch vegan – Claudia ist seit 20 Jahren Vegetarierin, seit drei Jahren ernährt sie sich praktisch vegan.

Bis das Paar beginnen kann, Hafermilch zu produzieren und so ihr Einkommen sicherstellen wird, so lange werden die Kühe noch gemolken. «Sonst wären wir in drei Monaten finanziell ausgelaugt», sagt Beat.

Ziel ist es, dass sich die Tiere auf dem Lebenshof selbst tragen können – mit Patenschaften. Wer beispielsweise Pate einer Kuh werden möchte, muss für eine Vollpatenschaft 250 Franken aufwenden. Für ein Schwein 200 Franken, ein Alpaka 150, für ein Huhn 30 Franken. «Wir wollen aber nicht von Almosen abhängig sein», sagt Beat Troxler bestimmt auf die Frage, ob ein solcher Lebenshof denn finanziell überhaupt tragbar sei.

«Und wir wollen ja nicht einfach Kühe streicheln», lenkt auch Claudia ein. In ihrem Zukunftsprojekt – vegane Milch und allenfalls Ackerbau-Produkte wie Gemüse und Getreide – sehen sie die Zukunft.

«Isst der Mensch Feldfrüchte direkt vom Acker und nicht über den Umweg durch das Tier, ist die Effizienz pro Quadratmeter Land viel höher», sagt Beat.

13 Kommentare
Aktuelle Artikel
Apple Store IconGoogle Play Store Icon