Permanente Landkultur

«Dieser Hof ist ein grosses Experiment»

Der Hofbesitzer Beat Rölli blickt stolz auf sein «grosses Experiment». (Bild: cha)

Rund 200 Meter oberhalb von Schachen am Südhang liegt er, der «Chuderboden». Ein Hof, der sich der Permakultur verschrieben und sich zum Ziel gesetzt hat, «innovative, ökologische Landwirtschaft» zu betreiben. Fern von konventioneller Landbewirtschaftung leisten hier Menschen Pionierarbeit im nachhaltigen Umgang mit Agrarland.

Eine kurvige und enge Strasse führt mich an verschiedensten Bauernhöfen vorbei, immer höher zum «Chuderboden». Mit der Mittagssonne erreiche ich den abgelegenen Hof. Während mein Gesprächspartner, der Hofbesitzer und Permakultur-Berater Beat Rölli, noch mit Mähen beschäftigt ist, verschaffe ich mir einen ersten Überblick. Vieles wirkt noch chaotisch auf dem sich noch im Aufbau befindenden Hof.

Um 12.15 Uhr treffe ich auf dem Hof die erste Mitarbeiterin Gina. Sie grüsst mich freundlich, bietet mir etwas zu trinken an. Gina ist gelernte Köchin und verantwortlich dafür, das Mittagessen zuzubereiten, zu welchem sie mich auch gleich einlädt. Spätestens während des Essens und den Gesprächen mit den Menschen, die auf dem Hof wohnen und arbeiten, wird klar: Hier dominiert Offenheit und Freundlichkeit, die man sich als «Städter» nicht unbedingt gewohnt ist.

«Permakultur heisst, neu zu denken»

Permakultur ist ein Konzept, das auf die Schaffung von dauerhaft funktionierenden und nachhaltigen Kreisläufen zielt. In erster Linie für die Landwirtschaft entwickelt, ist es inzwischen ein Denkprinzip, das auch Bereiche wie Energieversorgung, Landschaftsplanung und die Gestaltung sozialer (Infra-)Strukturen umfasst. Das Grundprinzip: Ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltiges Wirtschaften mit allen Ressourcen.

Für Beat Rölli heisst Permakultur in zwei Worten ausgedrückt: «Paradiese schaffen». Er fügt an: «Permakultur ist grundsätzlich ein Planungssystem, um nachhaltige Systeme zu schaffen. Man schaut zunächst, wie die Energieflüsse sind – also wie ist die Besonnung, der Wind, die Bodenbeschaffenheit oder wie stark es an besagter Stelle regnet.» Das grosse Thema sei die Weiterentwicklung des Grundgedankens der Permakultur: «Das Grundwissen von Permakultur ist zwar limitiert. Man kann dieses jedoch in verschiedenen Bereichen anwenden und entwickeln. Permakultur hat grundsätzlich viel mit gesundem Menschenverstand zu tun.» Es gehe aber auch darum, «neu zu denken».

«Wir wollen eine innovative, ökologische Landwirtschaft betreiben»

Gesättigt vom Mittagessen und interessanten Diskussionen komme ich mit Permakultur-Spezialist Beat Rölli ins Gespräch. Er erklärt: «Ich habe den Hof im März 2010 gekauft. Seither befindet sich dieser im Aufbau.» Den Hof bezeichnet Rölli als «grosses Experiment». «Wir versuchen eine Alternative zur industriellen Landwirtschaft zu entwickeln.» Dabei orientiere er sich am Weltagrarbericht, dessen Quintessenz für ihn folgende sei: «Die ökologische Landwirtschaft mit kleinen Höfen ist zukunftsweisend. Es gibt rund 500 Millionen Bauernhöfe auf der Welt, von denen die meisten – rund 400 Millionen – nur eine Hektare Land umfassen. Diese sind jedoch viel ökologischer und produktiver als die chemielastigen Grossbetriebe.»

Er wolle mit seinem «Experiment» einen radikalen Wechsel vom maschinenlastigen Hof zum ökologischen Gärtnerhof mit vorwiegend Handarbeit aufzeigen. Rölli präzisiert: «Es geht um Kooperation mit der Natur. Der Schlüssel ist Innovation für ökologische Landwirtschaft. Ein vielversprechender Ansatz ist der Waldgarten. Dieser ist eine landwirtschaftliche Kultur, die von der vertikalen Struktur wie ein Wald aufgebaut ist: Es gibt eine Krautschicht, kleine und grosse Büsche und Bäume. Von der Funktion ist ein Waldgarten wie ein Garten. Alles kann geerntet werden. Ich erwarte, dass in diesem System das Verhältnis von Aufwand zu Ertrag viel besser ist als in konventionellen Kulturen.» Wie gut das funktioniert, untersuche die Organisation «agridea» im Rahmen des Forschungsprojekts Agroforst Netzwerk Schweiz während den nächsten fünf Jahren, so Rölli und fügt an: «Die Wissenschaftler erforschen verschiedene Aspekte wie den Ertrag, den Aufwand, die Entwicklung der Bodenfruchtbarkeit und der Biodiversität. Auf die Ergebnisse darf man gespannt sein.»

Hier wird von Hand gemäht

Begeistert führt er mich durch das Gelände, hindurch zwischen Beeren, Weinreben, Wildobst. Ich merke schnell: Beat Rölli hat viel zu sagen, ist jedoch stets bemüht, die teils doch recht komplizierten Sachverhalte einfach und verständlich zu vermitteln. Um einen weiteren Aspekt der Permakultur zu verdeutlichen, kommt ihm Isabelle gelegen. Sie hat gerade das Gelände, wo ein Teil der kürzlich gepflanzten Reben steht, von Hand mit einer Sense gemäht. «Wir mähen teilweise mit der Sense wie unserer Grossväter. Wir haben festgestellt, dass wir in einigen Bereichen im Rebberg und in dem Wildobstwaldgarten wesentlich schneller mit der Sense als mit der Motorsense mähen können», erklärt Rölli. Zwar besitze er eine Motorsense und einen hochmodernen Bergmäher. Diese seien weniger ökologisch, gefährlicher und lauter als die Sense. Auch ökonomische Gründe sprechen in gewissen Bereichen für den Einsatz der Sense. «Bereits die Maschinenkosten für die Motorsense belaufen sich in der Stunde auf mindestens 60 bis 80 Franken. Die Sense hingegen kommt auf lediglich zwei bis drei Franken.»

Beat Rölli wird auf dem Hof von verschiedensten Menschen unterstützt. «Die Leute kommen hierher, weil sie an Permakultur interessiert sind. Alle haben einen Beruf gelernt, der jedoch in erster Linie nichts mit Landwirtschaft zu tun hat.» Dies sei eine grosse Herausforderung, habe aber auch gute Seiten. «Wir wollen zwar innovativ sein, haben aber wenig Erfahrung. Das Gute dabei ist, dass wir offen für Neues sind.»

«Die Arbeit hier oben ist erfüllend für mich»

Am längsten auf dem «Chuderboden» arbeitet Marc Hollenstein. «Ich bin bereits seit einem Jahr und zwei Monaten auf dem Hof, wo es mir sehr gut gefällt.» Er kommt aus Dulliken und ist gelernter Bauzeichner. Ein Beruf, den er als «unkreativ» bezeichnet. «Die Arbeit hier oben macht für mich Sinn und ist gleichzeitig erfüllend.» Es sei auch die Ideologie, die ihm die Motivation gebe, auf dem Hof mitzuwirken.

«Wir haben hier eine Pioniersituation»

Der Start des Hofprojekts gestalte sich herausfordernd. «2011 brannnte das Haus ab. 2012 haben wir die anderen, heruntergekommenen Gebäude aufwendig in Stand gehalten. Wir mussten eine Hektare stark verbuschtes Land zurückgewinnen. Grosse Teile der Strasse mussten saniert werden. 2013 haben zehn Hangrutschungen grossen Schaden auf dem Hof angerichtet. Zusätzlich haben wir seit 2011 500 Kubikmeter Holz geschlagen, damit unsere Parzellen, die alle Waldlichtungen sind, wieder besser besonnt werden. All diese Arbeiten bedeuten viel Aufwand und wenig Ertrag.» Aus diesen Gründen seien Finanzierung und Aufbau schwierig, erklärt Rölli und fügt an: «Wir haben hier eine Pioniersituation.»

Seit 2013 erhält der «Chuderboden» Direktzahlungen von Kanton und Bund. Die Summe belief sich im letzten Jahr auf 10’000 Franken. «Dieses Jahr wird es ein bisschen mehr sein. Das ist für uns zurzeit ein wichtiger Teil der Einkünfte, bedeutet aber auch viel administrativen Aufwand. Langfristig sollen die Direktzahlungen einen kleinen Teil der Einnahmen ausmachen.

Zur weiteren Entwicklung des Hofes sagt Beat Rölli: «Als nächstes steht eine Kontrolle vom Bundesamt für Landwirtschaft an. Die sehen sich den Hof und im Besonderen den Wildobstwaldgarten an und entscheiden, ob wir ein landwirtschaftliches Gewerbe oder ein landwirtschaftlicher Betrieb sind. Es ist für uns sehr wichtig, als Gewerbe anerkannt zu werden, damit wir für unsere Bewirtschaftungsweise die entsprechenden Gebäude errichten können. Nächste Jahr möchte ich das Haus wieder aufbauen.»

Rölli selbst investiert viel Zeit und Herzblut in sein Projekt – unbezahlt versteht sich. «Momentan ist der Hof hoch defizitär. Ich habe bisher rund 6’500 Stunden ohne Lohn gearbeitet.» Er hoffe, dass er sich nach weiteren 3’500 Stunden Arbeit Lohn auszahlen könne, erklärt Beat Rölli schmunzelnd. Seine Motivation für diesen Aufwand ist sein Ziel, einen «ökologisch nachhaltigen Hof» aufzubauen, der wirtschaftlich bestehen kann und anderen Bauern Alternativen zur industriellen Landwirtschaft aufzeigt.

«Biovorschriften sind vor allem auf die Industrie gerichtet»

Dass der Hof auch «Bio» zertifiziert ist, erfahre ich erst gegen Ende des Gesprächs. Beat Rölli sagt dazu: «Es ist erfreulich, dass sich ‹Bio› stark verbreitet hat. Als Biobauer musste ich feststellen, dass die Vorschriften vor allem auf die Industrie ausgerichtet sind, was ich schade finde, denn ich bevorzuge gewerbliche Bioproduktion. Es gibt heute so viele Vorschriften, dass der Biobauer dauernd überlegen muss: Darf ich das machen? Darf ich dies kaufen, einsetzen? ‹Bio› passt zwar gut zu Permakutur, aber in der Permakultur sind wir uns gewohnt, situativ Verantwortung zu übernehmen und selber zu denken anstatt sich an starre Vorschriften zu halten.» Denn diese könnten laut Rölli im Einzelfall zu absurden Situationen führen. Ein Beispiel: «Schweizer Biobauern kaufen im grossen Stil Sojabohnen von Brasilien ein und tragen so aktiv zu Zerstörung des Regenwaldes bei. Futter vom Nachbarn kaufen darf man aber nicht, obwohl das viel ökologischer wäre.»

Beat Rölli kommt nochmals so richtig in Fahrt und erzählt mir von seiner Vision. «Mein Wunsch ist es, dass unsere Kunden eine Beziehung zum Hof aufbauen und sich als Teil des Hofes fühlen. Daher laden wir Interessierte zu Rundgängen, Festen oder zur Mithilfe ein.» So könnten die Kunden und Freunde des Hofes selber sehen, wie auf dem Hof produziert werde. «Dadurch wollen wir Vertrauen schaffen. Vielleicht macht dies eines Tages die heute administrativlastige Biokontrollen überflüssig. Schön wäre es.»

Für Interessierte: Der «Chuderboden» lädt am Samstag, 21. Juni, zu einem grossen Fest. Dies ermöglicht den Besuchern einen interessanten Einblick in den Hof und die Möglichkeit, die Menschen, die hinter diesem Projekt stehen, kennenzulernen.

 

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