Workshops als Rollenspiele

Die Zyklus-Show in Luzern: So lernen Mädchen und Jungs, wie Babys entstehen

Die Mädchen spielen auf «der Bühne des Lebens» nach, wie ein Kind entsteht. (Bild: Kuno Scheuber)

In Luzern gibt es Workshops, in denen Mädchen eine «Zyklus-Show» abspielen und lernen, wie Babys entstehen. Die Workshops sind Teil eines Schweizer Projekts. Kursleiterin Miranda Brügger und Kursleiter Roland Demel erklären, um was es darin geht – und warum auch Klischees dazugehören.

«Die Zyklus-Show»: Kürzlich ist zentralplus auf ein Inserat mit dieser Überschrift gestossen. Das hat uns neugierig gemacht. Geht's da ums Menstruieren? Ein Bühnenstück?

Exakt. Bei der «Zyklus-Show» handelt es sich um einen Workshop für zehn- bis zwölfjährige Mädchen. In diesem lernen sie mehr über den weiblichen Zyklus. Und das auf eine spielerische Weise. Denn «Show» ist hier kein dahingesagtes Wort.

«Mädchen schlüpfen in die Rolle der verschiedenen Hormone und entschlüsseln als Detektivinnen die Geheimcodes des eigenen Körpers», heisst es in der Beschreibung weiter. Und das Herzstück der Show: die Bühne des Lebens.

Das lernen die Kids dabei

Der Workshop ist Teil des Projekts «MFM» – die Abkürzung steht für «My Fertility Matters». Gegründet hat das Projekt die deutsche Medizinerin Elisabeth Raith-Paula 1999 im Raum München. Erst gab es nur einen Workshop für Mädchen – fünf Jahre später einen zusätzlichen für Jungs – «Agenten auf dem Weg». Beide Workshops haben zehn- bis zwölfjährige Kinder als Zielgruppe. Seit 2003 werden solche Workshops auch an Schweizer Schulen angeboten. In Bern bereits fast flächendeckend – zunehmend auch in der Zentralschweiz. Zusätzlich bietet der Verein regelmässig öffentliche Kurse an – auch in den Kantonen Luzern und Zug. Der Leitgedanke der Workshops lautet: «Nur was ich schätze, kann ich schützen.»

Was lernen die Mädchen konkret? Miranda Brügger ist eine der Kursleiterinnen der Mädchen-Workshops in Luzern. «Mädchen lernen, was in ihrem Körper während der Pubertät und in einem Monatszyklus passiert, und verstehen, wie ein Kind entsteht. Ziel ist es, ein neues Verständnis aufzubauen. Eines, in dem es um Wertschätzung geht», so die Sozialpädagogin. Die Mädchen bereiten «ihr Hotel» für einen besonderen Stargast ein – will heissen: die Gebärmutter für die befruchtete Eizelle. Dabei spielen sie den Zyklus mit spielerischen Begriffen und Symbolen wie Herzen und Blumen durch.

«Wir geben den Mädchen mit auf den Weg: Nehmt in einem ruhigen Moment, in dem ihr für euch seid, mal einen Spiegel zur Hand und betrachtet eure Vulva.»

Miranda Brügger, Kursleiterin

Zudem soll ein verantwortungs- und lustvoller Umgang mit dem eigenen Körper und der eigenen Sexualität gefördert werden. «Wir geben den Mädchen mit auf den Weg: Nehmt in einem ruhigen Moment, in dem ihr für euch seid, mal einen Spiegel zur Hand und betrachtet eure Vulva, sie ist perfekt, wie sie ist. Lernt euren Körper kennen, schaut ihn an und berührt ihn, so wie es für euch stimmt.» Denn auch das ist ein wichtiger Teil: Dass jeder und jede über seinen oder ihren Körper entscheidet.

Der Sexualpädagoge Roland Demel führt die Jungs durch die Workshops in Luzern. Bei ihm lernen sie, wie und wo Spermien entstehen, wie ihr Weg durch den Körper eines Mannes führt und wie dabei Samenflüssigkeit entsteht. «Dabei schlüpfen Jungs in die Rolle der ‹Spermienagenten›, um eine Eizelle zu befruchten und so das Überleben der Menschheit zu sichern.»

Die Jungs schlüpfen in die Rolle der Spermienagenten. (Bild: Kuno Scheuber)

Klischees und Stereotype sind bewusst

Mädchen, die mit rosa Herzen spielen – und Jungs, die in klassischer James-Bond-Manier auf Actionreise gehen. Da müssen wir uns nichts vormachen: Das klingt klischiert. Das ist auch den Kursleiterinnen und Kursleitern bewusst. «In der Altersgruppe von Zehn- bis Zwölfjährigen grenzen sich Mädchen noch stark von Jungs ab und umgekehrt», findet Roland Demel. «Jedes Kind und jedes Geschlecht ist sich noch am Finden. Erst mit der Pubertät kommt das sexuelle Interesse fürs andere Geschlecht.»

«Wir sind auf diese Klischees angewiesen, damit die Kinder mit Herz und Freude mitmachen.»

Roland Demel, Kursleiter

Auch wenn der Vorwurf des Klischierten berechtigt sei – der Sexualpädagoge sagt: «Wir sind auf diese Klischees angewiesen, damit die Kinder mit Herz und Freude mitmachen. Würde ich den Jungs sagen, dass wir jetzt ein Theaterstück spielen, in dem sie Frühlingsboten spielen – so, wie das in den Mädchen-Workshops der Fall ist – hätte ich wahrscheinlich nicht dieselbe Reaktion.»

Allerdings diskutiere man das Thema auch intern immer wieder. Und wägt ab, wo auf Klischees verzichtet werden kann. Beispielsweise hatten die Spermien mit X-Chromosom früher die Farbe Rosa, Spermien mit Y-Chromosom die Farbe Blau. Heute sind die Farben neutral gehalten.

Alle sind wertvoll

Die Workshops finden zwar geschlechtergetrennt statt – die Jungs werden aber genauso mit dem weiblichen Zyklus und die Mädchen mit der Funktion und Rolle der Spermien vertraut gemacht. «Denn nur so können wir gegenseitiges Verständnis schaffen – was ein zentraler Teil unserer Workshops ist», sagt Roland Demel.

Auch Themen wie Homosexualität und Geschlechtsidentität werden angesprochen. Oder dass Mädchen und Jungen genauso auf Mädchen und Jungs gleichzeitig stehen können. Und dass alle – unabhängig ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität – gleichermassen wertvoll sind.

Einzigartig und wertvoll sein: Auch das ist eine Botschaft des Workshops. Denn nicht selten sind Jugendliche in der Pubertät von Selbstzweifeln geplagt. Also heisst es: Back to basics. «Jeder und jede ist ein zweifacher Sieger, eine zweifache Siegerin», sagt Miranda Brügger. Wie meint sie das? Sie erklärt, wie eine Eizelle befruchtet wird. Mädchen kommen auf die Welt und besitzen rund eine Million Eizellen. Pro Zyklus werden dann zwischen 20 und 25 aktiviert, wovon eine bis zwei heranwachsen. Und von 200 Millionen Spermien in einem Samenerguss braucht es rund 300, um eine Eizelle zu knacken, und nur eine Spermie schafft es, die Eizelle zu befruchten. «Jeder und jede, der oder die an sich rumnörgelt, soll dann an diesen einen Moment zurückdenken. Die Befruchtung der Eizelle ähnelt einem riesigen Auswahlverfahren – und bringt bereits so viel an Einzigartigkeit mit sich.»

Jede von ihnen ist eine «doppelte Siegerin». (Bild: Kuno Scheuber)

Die Scham ablegen

Miranda Brügger und Roland Demel sind sich einig: Die Kinder gehen zumeist anders aus dem Workshop, als sie hereingekommen sind. «Am Ende des Tages wissen die Mädchen viel mehr als viele Frauen auf dieser Welt», sagt Brügger. Parallel zu den Workshops stehen für Eltern Informationsabende offen. «Auch sie lernen viel dabei, was sie vorher nur ungenau oder gar nicht wussten», so Roland Demel.

Insbesondere würden die Kinder lernen, ihren Körper wertzuschätzen. Gerade auch, wenn es um die Menstruation geht. Dass es nichts Ekliges ist. Miranda Brügger sagt: «Immer wieder bekomme ich von Mädchen auf die Frage, was das Wichtigste ist, das sie im Workshop gelernt haben, die Antwort: Dass ich mich für meine Menstruation nicht schämen muss. Und das im Jahr 2021. Das finde ich krass.»

Weitere Infos zum Projekt und alle Kursleiterinnen und Kursleiter finden sie hier.

Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


0 Kommentare
    Apple Store IconGoogle Play Store Icon