Wie fussgängerfreundlich ist Luzern wirklich?

Die Stadt wehrt sich: Fussgängerstudie sei «willkürlich»

Hier muss man lange warten, bis es grün wird: Fussgängerstreifen beim Schwanenplatz in Luzern. 

(Bild: Emanuel Ammon/AURA)

In einer neuen Fussgängerstudie schneidet die Stadt Luzern schlecht ab. Alles halb so wild, entgegnet man beim Tiefbauamt. Luzern tue viel für die Fussgänger. Und zudem sei der Test wenig aussagekräftig.

Lange Wartezeiten beim Überqueren von Strassen, schlechte Sicht oder Hindernisse für Gehbehinderte: Geht es nach einer neuen Studie, macht Luzern seinen Fussgängern das Leben schwer. Acht Deutschschweizer Städte hat die verkehrspolitische Organisation Umverkehr untersucht. Sie wollte erstmals wissen: Wie fussgängerfreundlich sind sie? Luzern bildet in der Studie das Schlusslicht, die anderen Städte schnitten alle besser ab (zentralplus berichtete).

In allen acht getesteten Städten ist der Verband diesen Sommer eine beispielhafte Route abgelaufen – in Luzern vom Bahnhof via Seebrücke, Schwanenplatz, Altstadt, Kleinstadt, Hirschmattstrasse, Bundesplatz an den Helvetiaplatz. Die Tester bewerteten die Fussgängerfreundlichkeit anhand vier Kriterien: Hauptstrassenquerungen, Plätze, Haltestellen und Abschnitte (hier geht’s zur Studie).

Ein «bedenkliches Ergebnis»

Zwar erfüllt Luzern immerhin 63 Prozent der Anforderungen, ist damit aber nur «genügend» und liegt in der Gesamtbewertung am Schluss. Und schon melden sich die Politiker. Die Grünen schreiben am Donnerstag in einer Interpellation an den Stadtrat: «Dieses Ergebnis ist in vielerlei Hinsicht bedenklich.» Insbesondere Touristen, ältere Menschen und solche mit einer Behinderung seien auf eine gute Infrastruktur angewiesen. «Der Fussverkehr ist eine wichtige Alternative zu verstopften Strassen und überfüllten Bussen», so die Grünen.

Auch bei der Stadt Luzern hat man die Studie zur Kenntnis genommen – und relativiert die Ergebnisse und bemängelt die Methodik des Tests. Wir wollten von Daniel Rudin, Bereichsleiter Mobilität bei der Stadt Luzern, wissen, wo es denn bei der Studie hapert – und was die Stadt für die Fussgänger tut.

Wie komme ich hier als Fussgänger durch? Der Bundesplatz in Luzern bekommt schlechte Noten.  (Bild: Emanuel Ammon/AURA)

Wie komme ich hier als Fussgänger durch? Der Bundesplatz in Luzern bekommt schlechte Noten.  (Bild: Emanuel Ammon/AURA)

zentralplus: Die Stadt Luzern liegt am Schluss der acht getesteten Städte – ist das Urteil gerechtfertigt?

Daniel Rudin: Es ist unbestritten so, dass der Fussgängerverkehr eine sehr wichtige Bedeutung im städtischen Raum hat. Die im Bericht beschriebenen Anforderungen an den Fussverkehr teilen wir zum grossen Teil. Für einen generellen Städtevergleich ist die Studie aber bezüglich Methodik und Wissenschaftlichkeit nicht repräsentativ.

zentralplus: Weshalb?

Rudin: Wir stellen fest, dass es sich bei der Studie nicht um eine wissenschaftliche Arbeit handelt. Die Wahl der Routen und die Bewertung der Kriterien sind ziemlich willkürlich. Es wurde nur eine Route begangen und die Bewertungen sind teilweise nicht nachvollziehbar.

«Uns ist bewusst, dass wir für den Fussverkehr noch einiges tun können.»

Daniel Rudin, Bereichsleiter Mobilität Stadt Luzern

zentralplus: Wieso denn nicht nachvollziehbar?

Rudin: Kritisch beurteilen wir die Vergleiche von verschiedenen Strassenzügen und Plätzen sowie Querungsstellen. Diese haben teilweise grosse Differenzen in der Nutzung und sind daher schwierig zu vergleichen. Beispiele: Der Sternenplatz etwa liegt im Altstadtbereich in einer Fussgängerzone, der Bundesplatz hingegen ist primär ein Verkehrsknotenpunkt und kein Aufenthaltsbereich. Der Helvetiaplatz wiederum ist eine Parkanlage.

Im frisch sanierten Hirschmattquartier – hier an der Sempacherstrasse – hat sich die Situation auch für Fussgänger verbessert.  (Bild: Stadt Luzern)

Im frisch sanierten Hirschmattquartier – hier an der Sempacherstrasse – hat sich die Situation auch für Fussgänger verbessert.  (Bild: Stadt Luzern)

zentralplus: Luzern erhält als Gesamtnote ein «Genügend». Können Sie damit leben?

Rudin: Uns ist bewusst, dass wir für den Fussverkehr noch einiges tun können. Die im Bericht dargestellten Defizite sind uns mehrheitlich bekannt. Aber ob man Luzern im Städtevergleich nur als genügend bezeichnen darf, kann aufgrund der vorliegenden Studie nicht beurteilt werden.

Bei allen Projekten im urbanen Raum messen wir dem Fussverkehr eine sehr hohe Bedeutung bei. Die Förderung des Fussverkehrs ist ein wichtiger Bestandteil der Mobilitätsstrategie der Stadt Luzern. Diverse Massnahmen wurden bereits umgesetzt oder sind in Planung (siehe Box am Ende). Beispielsweise hat das Stadtparlament im Frühling 2015 einen Kredit von 1,2 Millionen Franken zur Optimierung der Fussgängerstreifen auf Gemeindestrassen bewilligt.

«Kürzere Wartezeiten für Fussgänger bedeuten in der Regel grössere Staulängen für den Verkehr.»

zentralplus: Insbesondere Fussgängerstreifen kommen in der Studie nicht gut weg. Um die Pilatusstrasse oder den Schweizerhofquai zu überqueren, muss man als Fussgänger lange warten. Kennen Sie das Problem?

Rudin: Die Thematik der längeren Wartezeiten an Lichtsignalanlagen ist uns bekannt. Kürzere Wartezeiten für Fussgänger bedeuten in der Regel grössere Staulängen für den motorisierten Individualverkehr und/oder längere Wartezeiten für den öffentlichen Verkehr sowie den Veloverkehr.

Die erwähnten Querungen sind sehr breit und benötigen dementsprechend lange Grünphasen für die Fussgänger. Kürzere Übergänge werden in der Stadt Luzern bereits heute mit deutlich längeren Grünzeiten, als dies die Normen vorsehen, geschaltet. Grundsätzlich werden, wo immer möglich, die Wartezeiten der Fussgänger verkürzt. Aktuelles Beispiel sind die vier Fussgängerquerungen im Bereich des Löwencenters (zentralplus berichtete).

zentralplus: Die Querung Hirschengraben bekommt die schlechteste Bewertung überhaupt: ungenügende Beleuchtung, fehlende Schutzinsel und störende Velos.

Rudin: Es ist uns bekannt, dass der Fussgängerstreifen einen gewissen Sanierungsbedarf aufweist. Dementsprechend ist er auch im Sanierungsprogramm enthalten. Neben dem berechtigten Hinweis auf die Beleuchtung weist der Fussgängerstreifen aber primär Defizite auf, welche in der Studie nicht erfasst wurden. Beispielsweise ist die Fahrbahn nur 8 Meter breit und eine Mittelinsel wäre nur mit einer unverhältnismässigen Fahrbahnverbreiterung möglich.

Querung Hirschengraben, nur knapp genügend.  (Bild: Umverkehr)

Querung Hirschengraben, nur knapp genügend.  (Bild: Umverkehr)

 

zentralplus: Die Hirschmattstrasse kommt schlecht weg, weil Autos von Einfahrten die Trottoirs blockieren. Was sagen Sie dazu?

Rudin: Diese Situation gibt es bei jeder Stadt mit Blockrandbebauung. Aber einige Bewertungen in diesem Strassenabschnitt sind nicht nachvollziehbar und führen deshalb zum «schlechten» Bewertungsergebnis.

«Wenn es die Platzverhältnisse zulassen, bevorzugen auch wir die Trennung des Velo- und Fussverkehrs.»

zentralplus: Der Schwanenplatz ist der zweitschlechteste Platz überhaupt in der Studie: Wird das so bleiben, solange Cars parkieren?

Rudin: Die Problematik ist längst erkannt. Solange die Nutzung dieses Platzes der Carparkierung vorbehalten bleibt, ist der Handlungsspielraum für eine Aufwertung gering. Um die Situation zu verbessern, gilt seit 1. Mai 2015 ein neues Parkregime auf dem Schwanen- und Löwenplatz, welches nun definitiv eingeführt wird. Mit dem neuen Regime konnte die Aufenthaltszeit der Cars am Schwanen- und am Löwenplatz gesenkt werden. Und trotz höherer Frequenzen konnten wir die Verkehrsbehinderungen auf dem angrenzenden Strassennetz und für die Passanten reduzieren. Ganz in der Nähe wird zudem das Projekt Grendel/Löwengraben vorangetrieben, welches eine wesentliche Verbesserung für den Fussverkehr bewirkt.

Die Hirschmattstrasse: Der vordere Fussgängerstreifen erhält für mehr Sicherheit eine Schutzinsel – der hintere fällt weg.  (Bild: Google Maps)

Die Hirschmattstrasse: Der vordere Fussgängerstreifen erhält für mehr Sicherheit eine Schutzinsel – der hintere fällt weg.  (Bild: Google Maps)

zentralplus: Eine überraschende Erkenntnis der Studie ist auch: Von Mischzonen Velo/Fussgänger rät Umverkehr ab, das führe zu Konflikten. Sehen Sie das auch so?

Rudin: Wenn es die Platzverhältnisse zulassen, bevorzugen auch wir die Trennung des Velo- und Fussverkehrs. In gewachsenen historischen Städten wird es aufgrund der gegebenen Platzverhältnisse jedoch immer auch Mischverkehrsflächen geben. Nämlich dort, wo Verbindungen sowohl für den Fuss- wie auch für den Veloverkehr von essenzieller Bedeutung sind und eine Trennung nicht möglich ist.

zentralplus: Also funktionieren die Mischzonen in Luzern?

Rudin: In der Stadt Luzern gibt es einige Mischzonen, die gut funktionieren. Unfälle zwischen Velofahrenden und Fussgängern sind sehr selten und stehen in keiner Relation zum Gefahrenpotenzial des motorisierten Verkehrs; das belegen die Unfalldaten eindeutig. Für die bestehenden Mischzonen sind keine Anpassungen vorgesehen.

Was Luzern aktuell für die Fussgänger tut

«Diverse Massnahmen für Fussgänger wurden in der Stadt Luzern bereits umgesetzt oder sind in Planung», sagt Daniel Rudin, Bereichsleiter Mobilität bei der Stadt Luzern. Doch was tut die Stadt konkret? Hier ein aktueller Überblick – die Aufzählung ist nicht abschliessend:

Bereits umgesetzt:

  • Optimierung Lichtsignalanlage vor dem Löwencenter (zentralplus berichtete)
  • Trottoirverbreiterung Zürichstrasse 1–3 (vor Restaurant Lapin)
  • Gesamtsanierung Hirschmatt (zentralplus berichtete)
  • Neue Mittelinseln Langensandstrasse
  • Bei verschiedenen Ampeln wurden die Grünzeiten für den Fussverkehr erhöht und die Wartezeiten reduziert
  • Sanierung Bundesplatz: Erhöhung Verkehrssicherheit vor allem für den Fussverkehr (Mittelinsel, kürzere Querungsdistanzen)
  • Mit Ausnahme der Hauptverkehrsachsen sind unterdessen praktisch im gesamten Stadtgebiet verkehrsberuhigte Zonen realisiert (Tempo 30 und Begegnungszonen)
  • Aktualisierung des Fussgängerleitsystems in der Innenstadt mit schwarzen Stelen auf Trottoirs und in Fussgängerzonen

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