Matthias Estermann hilft Deutschen in Luzern

«Die Schweizer haben nicht auf den deutschen Mitarbeiter gewartet»

Matthias Estermann im Luzerner «Bahnhöfli», der Stammbeiz seines Vereins.

(Bild: pze)

Matthias Estermann zog einst aus Deutschland in die Schweiz. Nun hilft er seinen Landsleuten, damit sie hier schnell Anschluss finden. Er sagt: «Jeder ist für seine Integration selber verantwortlich.» Dennoch übt der 47-Jährige Kritik an Bund und Behörden.

Die Schweiz hat ihre ganz eigenen Gepflogenheiten. Gerade am Nationalfeiertag pflegen wir unsere Bräuche und Eigenheiten. Da hat’s mancher schwer, der über die kleinen kulturellen Feinheiten nicht Bescheid weiss, hier aber Fuss fassen möchte.

Matthias Estermann arbeitet mit diesen Eigenheiten. Sein Job: Integrationsberater. Bis zu 1000 Anfragen pro Jahr erhält der gebürtige Ostdeutsche, über die Hälfte von Menschen aus Deutschland. Wir treffen ihn im «Bahnhöfli» in Luzern, der Stammbeiz des Vereins Deutsch-Schweiz.

Kleinigkeiten sind entscheidend

Vor rund zehn Jahren begann der grosse Boom der Einwanderung aus Deutschland in die Schweiz – auch nach Zug und Luzern. Zu der Zeit gründete Estermann in der Zentralschweiz seinen Verein für Deutsche in der Schweiz. Als Einzelfirma bietet er heute in Zug Beratungen für Menschen an, die hier Fuss fassen wollen. Die Mitgliedschaft kostet pro Person 100, für ein Ehepaar 150 Franken.

«Man muss sich bewusst sein: Die Schweizer haben nicht auf den deutschen Mitarbeiter gewartet.»

Matthias Estermann, Integrationsberater

Der 47-jährige Deutsche will seine Landsleute dabei unterstützen, in der Schweiz neu anzufangen. Das heisst: Bewerbungsunterlagen checken, Wohnungssuche oder Beratung bei einer eigenen Firmengründung. «Man muss sich bewusst sein: Die Schweizer haben nicht auf den deutschen Mitarbeiter gewartet», sagt er. Deshalb müsse man sich selbständig um seine Integration kümmern.

Was viele Schweizer als selbstverständlich ansehen, sei für Deutsche oft ein Hindernis. «Haben Sie gewusst, dass es einen ‹Einzahlungsschein› nur in der Schweiz gibt?», fragt er rhetorisch. Einwanderer müssten sich über solche Kleinigkeiten informieren, denn solches Wissen werde vorausgesetzt.

Dasselbe bei der Jobsuche: Bei Bewerbungsunterlagen seien Deutsche oft kreativ, um aus der Masse hervorzutreten. «In der Schweiz muss die Bewerbung aber nach klaren Regeln und Normen gestaltet sein», sagt er. «Ist sie es nicht, wird sie gar nicht erst angeschaut.»

Die erste Wohnung ist selten die letzte 

Eine Stunde bei Integrationscoach Estermann kostet 120 Franken – Vereinsmitglieder zahlen die Hälfte. «Die Leute denken, eine Stunde Beratung reiche vollkommen aus. Erst während der ersten Besprechung merken sie, dass vielleicht drei oder vier Sitzungen nötig sind», erzählt Estermann. Gewisse Kunden begleite er über Jahre – denn in einer neuen Kultur stosse man auch nach längerer Zeit immer wieder auf Probleme.

«Man muss sich darauf einstellen: Die erste Wohnung ist ein Anfang im neuen Land, aber nicht das neue Traum-Zuhause.»

Ein Paar aus Deutschland habe sich einst bei ihm gemeldet, erzählt er. «Unbedingt nach Zürich» wollten sie. Sie brauchten eine Wohnung für sich und ihren Hund. «Da musste ich ihnen sagen: Für den Hund ist Zürich wegen seiner Grösse nicht gut geeignet.» Er überredete sie, nach Luzern zu ziehen. «Sie sind jetzt seit mehreren Jahren hier und es gefällt ihnen sehr gut. Dem Hund geht’s blendend», meint er schmunzelnd.

Solche Beispiele zeigten, dass das Wissen über die Schweiz in Deutschland eher klein sei. Deshalb sei vorgängige Information wichtig. Ausserdem sagt er: «Die allermeisten ziehen während den ersten 15 Monaten mindestens einmal um. Man muss sich darauf einstellen: Die erste Wohnung ist ein Anfang im neuen Land, aber nicht das neue Traum-Zuhause.»

Luzern ist Freizeit, Zug ist Business

Estermann kennt das Auswandern aus eigener Erfahrung. Aufgewachsen in der DDR emigrierte er nach dem Mauerfall nach Hamburg. 2002 zog es ihn nach Luzern. Er sagt: «Nach Westdeutschland zu emigrieren, war wesentlich einfacher.» Da sei die Sprache, die Schweizer und Deutsche unterscheidet. «Ich hatte keinen Ostdialekt, das machte die Integration in Hamburg einfach.» Ausserdem herrschte 1990 eine Art «Willkommenskultur», so Estermann.

Später zog es ihn nach Zug, doch Luzern gefalle ihm besser, meint Estermann. Es sei relaxter, das Freizeitangebot sei grösser. Zug sei besser fürs Geschäftliche.

In der Broschüre gibt's Informationen zu Sprachen und Wortschatz.

In der Broschüre gibt’s Informationen zu Sprachen und Wortschatz.

(Bild: pze)

Während des Gesprächs geht eine ausländische Familie über die Strasse – Touristen aus dem Hotel Monopol. Sie überqueren die vierspurige Fahrbahn, anstatt die Unterführung durch den Bahnhof zu benützen. «Genau solche Dinge meine ich», wirft Estermann sogleich ein, «kein Schweizer geht hier über die Strasse, weil es gefährlich ist. Doch vielen Touristen ist nicht klar, dass man die Unterführung benutzen müsste.» Mit einfachen Tipps wäre es möglich, interkulturelle Konflikte zu unterbinden, bevor sie entstehen.

Ein paar Gänge zurückschalten

Matthias Estermann hiess früher Matthias Weigl. Seinen ostdeutschen Namen legte er ab, als er vor sieben Jahren heiratete. Seine Ex-Frau wollte damals nicht Weigl heissen und Weigl sah im Namen Estermann auch die Chance auf eine bessere Integration. «Der neue Name hilft mir sicher», sagt er heute zurückblickend.

«Meine Kunden bekommen keine Unterstützung seitens der Behörden, obwohl sie rund 92 Prozent der Einwanderer ausmachen.»

Neu in der Schweiz habe er «zwei bis drei Gänge zurückschalten» müssen. Zu forsch, zu energetisch, zu aufbrausend sei er gewesen – «wie Deutsche eben sind», sagt er lachend. Rund zwei Jahre habe er gebraucht, um sich anzupassen.

Jetzt zieht es den Stadtzuger nach Obwalden. Wird der ländliche Kanton eine neue Integrationsaufgabe? Er habe keine Angst vor Ablehnung aufgrund seiner deutschen Herkunft. «Ich werde auch dort Anschluss finden», sagt er selbstsicher.

Um Asylfragen kümmert er sich nicht

Seit Neuem bietet Estermann auf der Plattform namens «Hallo Swiss» Integrationsberatung für Menschen aus anderen Ländern an. Estermanns Angebot richtet sich ausschliesslich an Einwanderer, die zum Arbeiten in die Schweiz kommen. Flüchtlinge und Asylsuchende betreue er nicht, dafür sei der Bund zuständig. Er sagt: «Meine Kunden bekommen keine Unterstützung seitens der Behörden, obwohl sie rund 92 Prozent der Einwanderer ausmachen.»

Dafür würden für rund drei Prozent der Einwanderer – er meint damit die Flüchtlinge – Millionen ausgegeben. «Helfersyndrom» nennt er es. Denn er ist sich sicher: «Wirtschaftlich ist diese Unterstützung nicht zu rechtfertigen.» Die potenziellen Steuerzahler, sprich seine Kunden, seien dagegen auf sich allein gestellt. Diese Aufgabe übernimmt jetzt Estermann.

Deutsche gehen wieder zurück 

In den letzten Jahren häuften sich die Presseberichte: Deutsche gehen zurück in ihre Heimat. Viele fühlen sich nicht akzeptiert, fanden nach Jahren keinen Anschluss in der Schweiz. Estermann ist nicht überrascht. «Man muss sich sehr aktiv um seine eigene Integration kümmern», sagt er. Anstrengungen wie beispielsweise einzelne Sätze auf Schweizerdeutsch zu kennen, würden honoriert, ist er überzeugt.

Den 1. August verbrachte Matthias Estermann in den Bergen: Zusammen mit Freunden feierte er – ganz schweizerisch – den Nationalfeiertag mit einem ausgiebigen Brunch.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von claudiabuergler
    claudiabuergler, 07.08.2018, 09:24 Uhr

    Nicht ganz unsympathisch, da hat er eine Nische gefunden und ein bisschen Geld kann er auch damit verdienen. Aber zu bemängeln, dass die Schweiz nur Geld für die Integration von Flüchtlingen ausgibt (politisch Verfolgte, Menschen aus Kriegsgebieten und meist aus ganz anderen Kulturkreisen) und nicht für freiwillig zugezogene ArbeitsemigrantInnen aus dem Nachbarland (meist gut ausgebildet und der Sprache mächtig) finde ich absurd. Integrationsförderung muss weder zwingend wirtschaftlich sein, noch hat das irgendwas mit Helfersyndrom zu tun. Nur mit Logik und gesundem Menschenverstand.

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