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Spekulationen, Indiskretionen, anonyme Quellen. Für die Berichterstattung rund um die Vorkommnisse zwischen Jolanda Spiess-Hegglin und Markus Hürlimann an der Landammann-Feier in Zug stellen Experten den Medien kein gutes Zeugnis aus. Verschiedene Publikationen setzen sich dem Risiko von Strafklagen aus.
Was ist in der Nacht vom 20. Dezember zwischen Jolanda Spiess-Hegglin und Markus Hürlimann vorgefallen? Diese Frage stellen sich derzeit nicht nur die Zuger Strafverfolgungsbehörden, sondern auch die Medien – mit erstaunlichem Echo: Landauf, landab werden dem Leser fast täglich neue Schlagzeilen feilgeboten, die Schweizerische Mediendatenbank SMD zählt bereits über 150 Artikel zum Thema.
Doch wie kam es überhaupt dazu? Wie hat sich die Geschichte um die Zuger Landammann-Feier in den Medien entwickelt? Und was ist von der Leistung der Medien zu halten? Eine Medienjournalistin hat für zentral+ die Berichterstattung rekonstruiert, bei den Verantwortlichen nachgefragt und Experten um eine Einschätzung gebeten.
Gebotene Zurückhaltung zu Beginn
Die Geschichte nahm ihren Lauf auf zentral+: Wir berichteten am 23. Dezember, ein Mann soll einer Zuger Politikerin an der Landammann-Feier vom 20. Dezember K.-o.-Tropfen in ihr Getränk gemischt haben. Die Zuger Strafverfolgungsbehörden bestätigten gegenüber zentral+, sie hätten ein Strafverfahren eingeleitet und einen Mann in Haft genommen.
«Relevant war das Thema für uns, weil die Strafverfolgungsbehörden wegen eines Sexualdeliktes gegen eine Zuger Politikerin am Rande der Landamman-Feier ermittelten und als mutmasslicher Täter ebenfalls ein Politiker in Frage kam», hält Christian Hug, Geschäftsführer und publizistischer Leiter von zentral+ dazu fest.
Die Meldung von zentral+ wurde sodann auch in einer Onlinemeldung der «Neuen Zuger Zeitung» übernommen. Dies mit einer ähnlichen Begründung des öffentlichen Interesses: «Die Festsetzung eines Parteipräsidenten in Untersuchungshaft ist unseres Erachtens öffentlichkeitsrelevant», so Robert Bachmann, Leiter der Online-Redaktion.
Öffentliches Interesse gegeben
Diese Überlegungen sind gemäss Dominique Strebel legitim. Der Studienleiter am MAZ in Luzern schult angehende Journalisten im Medienethik-Kurs in eben diesen Fragen. «Sitzt ein Politiker in Polizeihaft wegen Verdachts auf ein schwerwiegendes Delikt, so ist das öffentliche Interesse an einer Publikation gegeben», so Strebel.
Bis dahin verzichteten sowohl zentral+ als auch die «Neue Zuger Zeitung» darauf, die Namen der beteiligten Personen – Spiess-Hegglin und Hürlimann – zu nennen. «Es galt, den Schutz des Opfers wie auch des möglichen Täters zu gewährleisten», erklärt Hug. Auch für Christian Peter Meier, Chefredaktor der «Neuen Zuger Zeitung», war zu diesem Zeitpunkt Zurückhaltung angebracht, «nicht zuletzt, weil die Identität des verhafteten Mannes nicht zweifelsfrei feststand.»
Namensnennung ja, aber …
Die anonymisierten Meldungen hielten allerdings nicht lange. So entschied die «Neue Zuger Zeitung» am folgenden Morgen, die Namen der Beteiligten nun doch zu nennen. Dies aufgrund der «veränderten Faktenlage», sagt Meier. So habe sich inzwischen bestätigt, dass es sich beim verhafteten Tatverdächtigen um Hürlimann handelte.
Aus ähnlichen Gründen nannte am späteren Nachmittag auch zentral+ die Namen der beiden Politiker in der Berichterstattung. Zumal der Anwalt von Hürlimann sowie dessen Partei, die SVP, in einer Medienmitteilung zum Fall sowohl Hürlimann als auch Spiess-Hegglin namentlich nannten, so Hug.
Die Entscheidung, zu diesem Zeitpunkt den Namen von Hürlimann zu nennen, sei medienethisch vertretbar, hält Strebel fest. Zum selben Schluss kommt auch Medienrechtsexperte Andreas Meili. «Die Bekanntgabe des Namens einer Person kann durch ein überwiegendes öffentliches Interesse gerechtfertigt sein, wenn die Person zum Beispiel verhaftet oder gegen sie Anklage erhoben wird.»
Opferschutz ungenügend
Der Name des mutmasslichen Opfers allerdings, darin sind sich Strebel und Meili einig, hätte zu diesem Zeitpunkt nicht öffentlich gemacht werden dürfen. Daran ändere auch die Medienmitteilung von Hürlimanns Anwalt nichts, so Strebel. Erst als Spiess-Hegglin selber an die Medien gelangte, durfte ihr Namen publiziert werden. In diesem Fall also nach ihrer Medienmitteilung vom 25. Dezember.
«Hätte man die Namen der Beteiligten nicht genannt, wäre es zu Spekulationen und damit möglicherweise zu falschen Verdächtigungen gekommen»
René Lüchinger, Chefredaktor «Blick»
Dazu beigetragen, die Namen von Hürlimann und Spiess-Hegglin zu nennen, haben sowohl bei der «Neuen Zuger Zeitung» wie auch bei zentral+ die Berichterstattung anderer Medien. Tatsächlich hatte der «Blick» in der Printausgabe am 24. Dezember als erstes Medium die Geschichte mit Namen und Bild von Hürlimann und Spiess-Hegglin gebracht. Gemäss «Blick»-Chefredaktor René Lüchinger eine legitime Entscheidung. «Hätte man die Namen der Beteiligten nicht genannt, wäre es zu Spekulationen und damit möglicherweise zu falschen Verdächtigungen gekommen», hält er auf Anfrage fest.
Dammbruch der Spekulationen
Mit der Berichterstattung im «Blick» wird nicht nur Spiess-Hegglin als mutmassliches Opfer identifiziert. Das Boulevardblatt setzt die fortan als «Sex-Skandal von Zug» bezeichnete Geschichte auf die Medienagenda. Wie der «Blick» im besagten Artikel mit Bestimmtheit insinuiert – «Der Blick weiss» – soll es an der Landammann-Feier zu Sex gekommen sein. Ein Ball, den weitere Medien dankend aufnehmen und weiterspinnen.
So auch die «Neue Zuger Zeitung». Über die Festtage wurden die Vorkommnisse zwischen Spiess-Hegglin und Hürlimann zum dominierenden Thema. «Nachdem der Skandal mit der Berichterstattung im ‹Blick› und mehreren nationalen Newsplattformen eskalierte, erschien es uns als Medium im Epizentrum des Skandals angezeigt, die uns bekannten Fakten zu publizieren», erklärt Meier.
Das Resultat erschien am 27. Dezember. Unter dem Titel «Ein wilder Abend mit bitteren Folgen» schildert Charly Keiser in der «Neuen Zuger Zeitung» seine Version der Vorkommnisse zwischen Hürlimann und Spiess-Hegglin. Die beiden hätten den ganzen Abend aneinander geklebt wie frisch Verliebte und seien gar beim Knutschen erwischt worden. Am selben Tag sind auch im «Blick» weitere Details zur Landammann-Feier zu lesen – Zeitangaben inklusive. So seien Hürlimann und Spiess-Hegglin nach 1.00 Uhr in einen Nebenraum verschwunden und später sogar von Gästen in flagranti erwischt worden.
Grenze des Zulässigen überschritten
Damit haben sowohl die «Neue Zuger Zeitung» als auch der «Blick» die Grenze des Zulässigen überschritten, findet Strebel. «Blosser Sex und Knutscherei von Politikern dürfen in der Regel nicht öffentlich gemacht werden, da es sich um Verhalten handelt, das der Intimsphäre zugerechnet wird.»
«Voyeurismus und Neugier sind keine legitimen öffentlichen Interessen»
Andreas Meili, Medienrechtsexperte
Das öffentliche Interesse an der Geschichte sei wohl gegeben, so Strebel. Es beziehe sich nur auf die Strafuntersuchung. Daraus dürfe kein öffentliches Interesse an einer darüber hinausgehenden voyeuristischen Berichterstattung abgeleitet werden – weder über Details der mutmasslichen Tat noch des allgemeinen Sexlebens der Beteiligten. Strebel hält die fortan geschilderten Mutmassungen für unverhältnismässige Eingriffe in die Intim- und Privatsphäre.
Diese Ansicht teilt auch Medienexperte Meili. Auch wenn ein Strafverfahren gegen eine öffentliche Person eingeleitet wird, sei es im öffentlichen Interesse nicht nötig, über pikante Details zu berichten. «Voyeurismus und Neugier sind keine legitimen öffentlichen Interessen», so Meili.
«Blick»-Chefredaktor Lüchinger hingegen hält die Berichterstattung in seinem Blatt für legitim. Schliesslich handle es sich bei der Landammann-Feier nicht um ein privates Fest, sondern um die «höchste politische Feier im Kanton Zug» im politisch-öffentlichen Raum. «Kommt hinzu, dass Spiess-Hegglin und Hürlimann nicht etwa als Privatpersonen an der Feier teilnahmen, sondern als gewählte Volksvertreter.»
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Wie mit anonymen Quellen umgegangen wurde und wie die Weltwoche in den Fall eingriff
Bemerkenswert an der Berichterstattung des «Blick» und der «Neuen Zuger Zeitung» ist auch, worauf die Schilderungen des Abends in den Artikeln abgestützt werden. Es zeigt sich, dass als Quellen wiederholt und fast ausschliesslich Personen aufgeführt werden, welche die Handlungen von Hürlimann und Spiess-Hegglin an der Feier mitbekommen haben sollen, die selber aber anonym bleiben wollen.
Für Strebel sind solche Augenzeugen bei Verdachtsstorys, die in sehr sensible Bereiche eingreifen, ungenügende Quellen. Je sensibler der Bereich sei, über den Journalisten berichten, desto härter müssen die Quellen sein. «Gerade bei Ereignissen rund um Beziehungen und Sex ist die Wahrheit sehr schwer festzustellen, die Fehlerquote somit hoch und der Schaden von Falschmeldungen gross», so Strebel.
«Gerade bei Ereignissen rund um Beziehungen und Sex ist die Wahrheit sehr schwer festzustellen, die Fehlerquote hoch und der Schaden von Falschmeldungen gross»
Dominique Strebel, Studienleiter Medienausbildungszentrum Luzern MAZ
Wie zuverlässig anonyme Augenzeugen sein können, zeigte sich bei einer späteren Meldung der «Zentralschweiz am Sonntag» vom 27. Dezember. Darin war zu lesen, Hürlimann und Spiess-Hegglin seien sich bereits an der Feier des neuen Kantonalratspräsidenten «sehr nahe gekommen» – auch hier unter Berufung auf «Kantonsräte, die anwesend waren». Am selben Tag dementierte Spiess-Hegglin, je an der Feier teilgenommen zu haben. Darauf musste die Meldung der «Zentralschweiz am Sonntag», die inzwischen auch auf weiteren Newsplattformen verbreitet worden war, berichtigt werden.
Schaden auch für Journalisten
Wenn nun also die «Neue Zuger Zeitung» und der «Blick» unter dem Deckmantel der Anonymität ihrer Augenzeugen immer weitere Behauptungen in Umlauf bringen, schaden sie nicht nur den Betroffenen, die längst nicht mehr in der Lage sind, zu jedem Gerücht einzeln Stellung zu nehmen. Sie schaden auch ihrer eigenen Glaubwürdigkeit, wie obiges Beispiel zeigt.
Und sie schwächen letztlich auch ihre Stellung vor Gericht, sollte es zu einem juristischen Nachspiel kommen, wie Meili erklärt: Haben die Journalisten ihren anonymen Augenzeugen Quellenschutz zugesichert, können diese vor Gericht nicht als Zeugen verwendet werden, um die Richtigkeit der Gerüchte zu bestätigen.
«Weltwoche» wittert Komplott
Am 8. Januar schliesslich nahm sich auch die «Weltwoche» der Geschichte an. Philipp Gut, stellvertretender Chefredaktor, schildert auf zwei Seiten die angeblichen Vorkommnisse zwischen Hürlimann und Spiess-Hegglin ohne Hinweis auf Quellen. Er führt gar neu einen angeblichen Sturz während des Geschlechtsverkehrs sowie eine gemeinsame Taxifahrt der beiden im Anschluss an die Feier ins Feld.
Daneben stellt das Blatt mögliche Verbindungen zwischen Spiess-Hegglin und zentral+ in den Raum. Darauf reagiert zentral+ mit einer Stellungnahme. Der Verdacht der «Weltwoche», die Politikerin hätte zentral+ die Geschichte «gesteckt», entbehre jeglicher Grundlage – so die Kurzfassung.
Auf die Frage, ob er die Redaktion von zentral+ vor der Publikation mit den Vermutungen konfrontiert habe, weicht Gut aus. Auch die Frage, ob die «Weltwoche» im Hinblick auf das Dementi von zentral+ eine Gegendarstellung publizieren werde, bleibt unbeantwortet. «Alles Relevante und Interessante steht im Blatt. Zu redaktionsinternen Vorgängen nehmen wir grundsätzlich keine Stellung.»
«Nur Verlierer»
Klar: Die Liste der Medien, welche sich bisher – mehr oder weniger aktiv – an der Bewirtschaftung des Skandals beteiligten, ist lang. Die über 150 in der Schweizerischen Mediendatenbank erfassten Artikel zum angeblichen «Sex-Skandal von Zug» stammen nicht nur vom «Blick», der «Neuen Zuger Zeitung», der «Weltwoche» oder von zentral+.
Und doch zeigen sie den Mechanismus der bisherigen Medienberichterstattung auf, den Meili passend beschreibt: «Ein Medium gibt vor, etwas zu wissen, spielt es damit anderen Medien zu, die es aufnehmen, weiterverbreiten und mit weiterem angeblichen Wissen anreichern. Was wahr ist, ist nicht mehr transparent.»
«Es gibt heute nur Verlierer, einschliesslich des Publikums, dessen Voyeurismus befeuert und bisher ohne Erkenntnis auf Trab gehalten wurde.»
Vinzenz Wyss, Journalistikprofessor Winterthur
Zurück bleibt also ein Konglomerat an immer neuen Spekulationen, die weder von den Lesern, geschweige denn von beteiligten Personen je bewältigt werden können. Ein ähnliches Fazit zieht auch Vinzenz Wyss, Journalistikprofessor an der ZHAW in Winterthur. «Es gibt heute nur Verlierer, einschliesslich des Publikums, dessen Voyeurismus befeuert und bisher ohne Erkenntnis auf Trab gehalten wurde.»
Es wird sich zeigen, ob sich Spiess-Hegglin und Hürlimann gegen die voyeuristische und unverhältnismässige Berichterstattung wehren. Gemäss Medienrechtsexperte Meili und MAZ-Studienleiter Strebel wäre dies möglich. Mit einer Beschwerde an den Presserat, einer Klage wegen Persönlichkeitsverletzung an die Zivilgerichte oder einer Strafanzeige wegen Ehrverletzung.
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