Eingebürgerter Flüchtling aus Horw

«Die Jugo-Hass-Phase hat uns voll erwischt»

Die 28-jährige Emina Muminović mit ihrer Mutter: 1997 kamen sie als Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegovina in die Schweiz. (Bild: zvg)

«Es lohnt sich, in Flüchtlinge zu investieren», gibt Emina Muminović mit Überzeugung zum Ausdruck. Seit 2005 hat die gebürtige Bosnierin den Schweizer Pass. Dennoch konnte die 28-Jährige nicht mit ihrer Vergangenheit abschliessen – zu tief sitzen die traumatischen Erlebnisse aus dem Krieg. 

Sie ist Schweizerin, spricht wie eine Schweizerin und fühlt sich auch als Schweizerin: Emina Muminović ist 28 Jahre alt, Angestellte im IT-Bereich einer Schweizer Grossbank und wohnhaft in Horw. Eine junge Frau, die offen erzählt, ehrgeizig ist, viel arbeitet und gerne reist. Sie studierte an der Universität Zürich Betriebswirtschaft, erwarb den Bachelor.

«Was mich von meinen Kolleginnen und Freundinnen unterscheidet, ist die Vergangenheit», sagt sie. Und der Name. Das -ić am Schluss verrät die Herkunft: Emina Muminović stammt aus Bosnien-Herzegowina.

Dort wurde sie 1987 in Konjević Polje geboren. Im Winter 1992, als der Krieg ausgebrochen war, floh sie mit ihrer Familie – Vater, Mutter und jüngerem Bruder – in die Gemeinde Srebrenica. Am 11. Juli 1995, als die Stadt in die Hände von General Mladić und seinen Truppen fiel, floh der Vater durch die Wälder. Emina Muminović, ihr Bruder und ihre Mutter wurden in einem Bus nach Tuzla gebracht.

«Als Kind dachte ich, Krieg sei normal und gehöre zum Alltag, das sei überall auf der Welt so.»
Emina Muminović

Ihren Vater haben sie nie mehr gesehen. Lange Jahre war er verschollen. Am 11. Juli 2009 wurde er schliesslich auf dem Friedhof im Memorial Center von Potočari begraben.

Plastikplanen statt Fenster

Emina Muminović (Bild: zvg)

Emina Muminović (Bild: zvg)

Emina war acht Jahre alt, als sie Srebrenica verlassen musste. Sie erinnert sich gut an die Zeit in der ostbosnischen Enklave, an die Angst, an die Granaten und das eintönige Essen – «Linsen und Mais konnte ich schon fast nicht mehr sehen». Auch die Versprechen der Erwachsenen, alles würde besser werden, sind ihr in Erinnerung geblieben.

Was sie heute besonders schlimm findet: «Als Kind dachte ich, Krieg sei normal und gehöre zum Alltag, das sei überall auf der Welt so.» Zwei Jahre lang lebte sie mit ihrem Bruder und der Mutter in der Nähe von Tuzla ohne jeden Komfort in einer Art Garage. Statt Fenster gab es Plastikplanen.

Illegal über die Schweizer Grenze

1997 holte sie der Cousin des Vaters in die Schweiz. «Er war kein Schlepper, wir alle hatten keine Ahnung – und bekamen daher auch ziemlich viele Probleme», sagt die 28-Jährige lächelnd. In Chiasso verwehrte man der Familie die Einreise – und sie wurde wegen des Versuchs, illegal über die Grenze zu kommen, gleich auch noch mit einem generellen Einreiseverbot belegt. «Wir fuhren also weiter zu einem Grenzübergang in der Westschweiz. Dort wurden wir durchgewinkt, da wir in einem Auto mit Waadtländer Nummernschild unterwegs waren.»

«Ich war ein sehr stilles und introvertiertes Kind, einsam und traurig.»

Zwei Tage später meldeten sich die Flüchtlinge im Aufnahmezentrum Genf und ersuchten um Asyl. Etliche Stationen folgten: Altstätten (SG), der Sonnenhof in Emmenbrücke, ein Asylheim an der Neustadtstrasse und ein Caritasheim in Horw. Und nach zehn Jahren dann die erste eigene Wohnung in einem Mehrfamilienhaus.

Positive Geschichten sollen Ängste nehmen

Die Stadt Luzern hat eine integrationspolitische Vision: «Luzern nutzt Internationalität als Chance und pflegt ein respektvolles Zusammenleben in der Vielfalt». Diese will die Fachstelle Integration anhand von positiven Migrationsgeschichten öffentlich bekannt machen und in der Bevölkerung verankern. Das sei besonders in der aktuellen Situation wichtig, sagt Sibylle Stolz, Leiterin der Fachstelle Integration, Stadt Luzern. Denn: «Vielfalt und Interkulturalität sind in der Stadt Luzern Realität. Wir haben aber festgestellt, dass die oft negative Berichterstattung über die Flüchtlingssituation zunehmend Ängste hervorruft. Deshalb wollen wir positive Geschichten erzählen.» Zum Beispiel die von Emina Muminović.

Noch heute dankbar

Emina Muminović ist heute noch dankbar für die Hilfe, die sie und ihre Familie erhalten haben, für den Deutschunterricht und die finanzielle Unterstützung. Sie hat es geschafft: privat, beruflich und sozial. «Uns geht es heute gut», sagt sie. Und doch: Die erste Zeit sei schwer gewesen, sehr schwer sogar. Probleme mit der Sprache, mit den Mitschülern.

Die Mutter war krank und die «Jugo-Hass-Phase hat uns voll erwischt», wie Muminović erzählt. «Ich war ein sehr stilles und introvertiertes Kind, einsam und traurig», erinnert sie sich. Der Umschwung kam nach der Primarschule, als die junge Bosnierin beschloss, ab sofort Dialekt zu sprechen. Das machte alles einfacher und besser. Emina Muminović entdeckte ihre Liebe zur Gruppenfitness, zu Jazz-Tanz und Hip-Hop, sie hatte Freundinnen – und war endlich anerkannt. 2005 wurde sie eingebürgert, 2007 ihr Bruder und 2012 schliesslich die Mutter.

Albträume und Depressionen

Trotzdem: Die Vergangenheit lässt sich nicht so schnell verbannen. Sie kehrt immer wieder zurück – sei es mit Bildern aus der Kindheit oder als Albträume und Depressionen. Auch die aktuelle Flüchtlingssituation beschäftige die 28-Jährige. Die fehlende Anteilnahme und der Mangel an Empathie bedrückten sie.

Es mache ihr zu schaffen, «dass es Menschen gibt, die meinen, diese Flüchtlinge kämen hierher, um hier alles kaputt zu machen». Den Wenigsten sei bewusst, was eine solche Flucht für die Betroffenen bedeute. Man dürfe sich nicht von populistischen Sprüchen beeinflussen lassen. «Klar kostet es Geld, Flüchtlinge aufzunehmen und zu beherbergen. Aber diese Investition lohnt sich. Da bin ich mir sicher.»

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Andreas_Unternaehrer
    Andreas_Unternaehrer, 11.11.2015, 23:47 Uhr

    Diese bewegende Lebensgeschichte einer jungen Frau zeigt, dass ernsthafte Integration sich für alle lohnt. Aber ohne Hilfe vom Staat und der Gesellschaft und ohne Integrationswille von Flüchtlingen sind solche Geschichten nicht möglich. Unser Land darf durchaus Regeln fürs Zusammenleben festlegen – mit Augenmass und Respekt. Die Schweiz ist ein Einwanderungsland – auf Wachstum programmiert alles andere ist blauäugig. Ich freue mich, dass Emina so gut angekommen ist und wünsche ihr alles Gute für die Zukunft.

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