Severin Hofer aus Zug baut Welten aus Zeitung

Die Idee zum Kinderbuch knisterte während des Lockdowns

Am vergangenen Freitag erschien das Kinderbuch von Severin Hofer. Dass ihm der Protagonist ähnlich sieht, kommt nicht von ungefähr.

Ein Kinderbuch, fernab von Regenbogen und Neonfarben. Geht ja auch gar nicht anders, wenn die Welt plötzlich fast nur noch aus Zeitungen besteht. Inspiration für sein erstes Bilderbuch fand der Zuger Severin Hofer im richtigen Leben. Seine härtesten Kritiker: die eigenen Kindergartenkids.

Herr Stämpfli ist ein ordentlicher Mensch. Jede seiner Zeitungen wird während der Woche ordentlich gestapelt. Jeweils am Samstag, am Zeitungsbündeltag, tut er ebendies und bündelt und entsorgt die gelesenen Zeitungen. Bis zu jenem Tag, an dem die Bündelschnur zu kurz ist. Eine Situation, die bei Herrn Stämpfli bisher noch nie vorgekommen ist und die alles aus den Fugen geraten lässt. Denn schwupps, ist die Wohnung voll mit Zeitung, alles ist Zeitung, Zeitungsberge, ein ganzes Meer davon. Ein Klingeln an der Tür – es ist Frau Gätzig von nebenan – bereitet dem Treiben ein Ende. Jedenfalls vorläufig. Denn alsbald knistert es weiter.

Mit dem Kinderbuch «Am Samstag ist Zeitungsbündeltag» hat der Zuger Severin Hofer, gemeinsam mit dem hiesigen Illustrator Rafael Casaulta, eine sonderbare Zeitungswelt geschaffen. Eine surreale? Nun, nicht wirklich. Denn die Idee für das Buch kam Hofer, nachdem dieser seine eigene Wohnung komplett in Zeitung eingepackt hatte.

Dies natürlich nicht grundlos. Severin Hofer ist Kindergärtner. Vor zwei Jahren, als der Unterricht plötzlich am Bildschirm stattfinden musste, schuf er seine eigene Zeitungsoase, in der mehrere Videos für seine Kindergartenkinder entstanden. «Irgendwann später kam die Idee für dieses Buch.»

Pandemie! Und Hofer baut sich eine Zeitungsoase

Man stelle sich das vor: Da wird in der Schweiz die «ausserordentliche Lage» ausgerufen, die Pandemie hängt wie ein Damoklesschwert über der Menschheit, und der Severin Hofer beginnt, seine Wohnung in Zeitung einzupacken. Schon etwas seltsam vielleicht? «Dass die Leute glauben, ich sei übergeschnappt, ist bei mir eher ein Normalzustand», konstatiert er.

«Klar, nach ein paar Wochen im Lockdown wird man etwas gaga. Doch war das auch eine interessante Beschäftigung.» Jeden Tag sei er dran gewesen, sich seine eigene Welt aus Zeitung zu bauen. Ein Feuer, das auch auf seine Schüler überging. «Sie begannen, selber Dinge aus Zeitung zu basteln. Brillen, Kleider, aber auch ein Schwimmbecken.»

«Überall sassen die Menschen in ihren Wohnungen, umgeben von News.»

Zeitung sei ein tolles Material auf sehr vielen Ebenen, findet der 27-Jährige. «Da gibt es diese Makroebene, die Text- und Bild-Ebene. Man kann die Zeitung lesen, kann aber auch Collagen daraus schnippeln. Weiter kann man sie rollen, damit Geräusche und Musik machen, kann Kleider kreieren oder statische Objekte bauen.»

Hofer überlegt kurz, sagt dann: «Die ganze Szenerie, die ich mir mit Zeitung während des Lockdowns geschaffen habe, war eigentlich sehr sinnbildlich. Überall sassen die Menschen in ihren Wohnungen, umgeben von News. Gleichzeitig kehrten alle zu sehr ursprünglichen Tätigkeiten zurück, backten Bananenbrote und begannen, ihre Pflanzen achtsamer zu giessen. Dasselbe ist ja auch Herrn Stämpfli im Buch passiert.»

Wie er das meint? «Anfangs liest Stämpfli die Nachrichten, später beschäftigt er sich mit alltäglichen Dingen, die aus dem Zeitungspapier entwachsen. Er beginnt sich etwa liebevoll um eine Zeitungsblume zu kümmern.» Diese wächst geräuschvoll. Rsch rsch rsch.

Chindsgi-Kinder: Erbarmungslose Kritiker und bestes Testpublikum

Bei der Erarbeitung seines Kinderbuchs war Severin Hofer nicht nur im regen Austausch mit Rafael Casaulta. Auch die eigenen Kindergartenkinder «arbeiteten» mit. «Insbesondere was die Bildsprache anging. So konnte ich gleich testen, welche Charaktere und Stilrichtungen funktionieren, und welche auf weniger Sympathie stiessen.»

Auch habe man durch die Feedbacks der Kinder gemerkt, wo die inhaltlichen Sprünge zwischen den Bildern zu gross gewesen seien. Ein Bild, das Herrn Stämpfli in einem Wirbelwind zeigte respektive bei dem seine Augen und Ohren nur so durch die Luft flogen, sorgte bei den Kindern für blankes Entsetzen. «Die dachten, er sei tot.» Also: Weg mit dem Bild.

Was Herr Stämpfli besser macht als Herr Hofer

Wer Hofer kennt und sich das Buch anschaut, der blickt in ein bekanntes Gesicht. Denn Herr Stämpfli sieht Hofer, bis auf die Haarfarbe, zum Verwechseln ähnlich. Protagonist und Autor verschmelzen. Wie viel davon ist Kunstfigur? Wie viel davon ist Severin Hofer?

«Ich glaube, Herr Stämpfli macht einige Dinge besser als ich. Als die Bündelschnur an diesem einen Samstag zu kurz ist, zuckt er nur mit den Schultern und legt den Stapel Zeitungen einfach auf den Boden», sagt Hofer. Und weiter: «Die meisten Menschen, auch ich, wären wohl eher auf dieses Problem fixiert, würden sich überlegen, womit sie diese Schnur ersetzen könnten. Nicht immer gelingt es mir, so gelassen zu sein, wie ich es gerne wäre.»

Und immer klopft Frau Gätzig an

Insbesondere da ja immer eine «Frau Gätzig» anklopfe. «Diese verkörpert ja nichts anderes als diese innere Stimme, die einem ein schlechtes Gewissen bereitet.»

Das Buch sei denn nicht unbedingt nur als Kinderbuch zu lesen. «Auch weil es nicht dem gängigen Erzählmuster von Problem, Steigerung, Auflösung, entspricht. Das Ende ist nämlich offen», verrät der Zuger. «Der Leser wird ähnlich irritiert zurückgelassen wie Herr Stämpfli, als ihm die Schnur ausgeht.»

«Am Samstag ist Zeitungsbündeltag» erschien vergangenen Freitag im Baeschlin Verlag. Aussergewöhnlich: Alle 2’000 bisherigen Exemplare wurden bei der Druckerei Heller in Cham produziert. «Das kostet zwar ein Vielfaches mehr als die Produktion im Ausland, die bei Büchern üblich ist. Für mich war das jedoch sehr wichtig. Nicht allein wegen der Nachhaltigkeit. Die Zusammenarbeit mit dem lokalen Drucker war reibungslos, ich konnte jeweils schnell zum Kaffee vorbeigehen und wir konnten alles gemeinsam besprechen.»

50 Buchhandlungen verkaufen aktuell Hofers Buch. Sogar bis in einen Buchladen in St. Moritz hat es das raschelnde Werk geschafft.

Kunstschaffender, Kindergärtner, Autor

Wer Severin Hofer kennt, dürfte nicht überrascht sein von diesem letzten Streich. Hofer ist in Zug schon lange kein Unbekannter mehr. Vor kurzem sorgte er mit der «Befreiung» eines Dromedars für Lacher, ausserdem brachte er vor einigen Jahren den Apparat der Pädagogischen Hochschule ganz schön an seine Grenzen mit seiner Bachelor-Arbeit (zentralplus berichtete).

Verwendete Quellen
  • Telefongespräch mit Severin Hofer
  • Bilderbuch «Am Samstag ist Zeitungbündeltag»
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