Luzerner Forensiker zum Mordfall Rupperswil

«Der Täter könnte ein sexuell motivierter Sadist sein»

Der Tatort in Rupperswil AG. Die Polizei tappte lange im Dunkeln, bis sie dem Täter auf die Spur kam.

Das Entsetzen über den Vierfachmord im aargauischen Rupperswil hält an, zumal der Täter jetzt ein Gesicht hat. Der 33-jährige Schweizer ist gefasst und geständig. Er soll neben finanziellen auch sexuelle Motive für seine Tat gehabt haben. Was geht in einem solchen Menschen vor? zentralplus sprach mit einem Luzerner Forensiker.

Dr. med. Shlemen Hanno ist zertifizierter forensischer Psychiater.

Dr. med. Shlemen Hanno ist zertifizierter forensischer Psychiater.

(Bild: lups)

zentralplus: Shlemen Hanno, Sie sind Leitender Arzt des Forensischen Dienstes der Luzerner Psychiatrie (Lups) und spezialisiert auf die Beurteilung von Straftätern, die psychisch auffällig sind. Warum denken Sie, hat der gefasste Täter von Rupperswil so ein abscheuliches Verbrechen begangen?

Shlemen Hanno: Zum Einzelfall kann ich nicht viel sagen, da ich ihn nicht kenne. Meine Informationen habe ich aus den Medien. Danach gibt es Hinweise, dass einerseits ein finanzielles und andererseits ein sexuelles Motiv eine wichtige Rolle gespielt haben könnten.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist es wichtig, dass man viele Möglichkeiten einschliesst. Beim mutmasslichen Täter besteht die Möglichkeit, dass es sich um einen sexuellen Sadisten handelt, der durch Leid anderer sexuell erregt wird. Aber wie gesagt, wäre dies eine Hypothese unter anderen.

zentralplus: Was zeichnet einen sexuellen Sadisten aus?

Hanno: Sexueller Sadismus oder sexuell motivierter Sadismus meint, dass eine Person sexuelle Erregung erlebt, indem sie anderen Schmerzen zufügt oder sie erniedrigt.

zentralplus: Der Täter hat sich zuerst am 13-jährigen Jungen vergangen, bevor er die ganze Familie abschlachtete. Kann es auch ein Pädophiler sein, der sich nach dem Missbrauch des Opfers dessen und aller Zeugen entledigt hat?

Hanno: Das ist denkbar. Das kann ich Ihnen nicht sagen. Vertuschung oder Verschleierung sind mögliche Motive. Im Extremfall wäre auch denkbar, dass die Tat zur sexuellen Erregung beitragen sollte. Es würde sich aber weiterhin die Frage stellen, weshalb oder woher diese mutmassliche Grausamkeit kommt. Pädophilie und Sadismus schliessen sich im Übrigen nicht aus; jegliche Kombination wäre denkbar.

zentralplus: Könnte der Täter selbst missbraucht worden sein?

Hanno: Wir wissen, dass viele spätere Täter früher selbst Opfer von Gewalt waren. Das kann auch sexuelle Gewalt sein. Dies lässt aber keine Rückschlüsse auf den Einzelfall zu; der Mann könnte selbst Opfer gewesen sein – oder aber auch nicht. Er könnte also auch in einem behüteten Elternhaus aufgewachsen sein, eine gute Erziehung genossen und fürsorgliche Eltern gehabt haben. Alles ist möglich. Das wird nun Teil der behördlichen Abklärungen sein.

«Wir wissen, dass viele spätere Täter früher selbst Opfer von Gewalt waren.»
Forensiker Shlemen Hanno

zentralplus: Kann man einen Sadisten behandeln oder sollte man ihn verwahren und die Öffentlichkeit für immer vor ihm schützen?

Hanno: Nochmals, ob überhaupt, und wenn ja, unter welcher psychischen Störung der mutmassliche Täter leidet, wissen wir nicht. Angenommen, es handelte sich um einen sexuellen Sadisten, wäre es extrem schwierig, eine solche Person überhaupt zu behandeln. Eine Verwahrung käme in diesem Fall in Frage.

zentralplus: Was geht in einem solchen Menschen vor?

Was macht der Forensische Dienst?

Der Forensische Dienst der Luzerner Psychiatrie (Lups), den Shlemen Hanno leitet, erstellt Gutachten für die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte des Kantons Luzern. Ausserdem ist er für die psychiatrische Grundversorgung in den Gefängnissen Grosshof, Wauwilermoos und Stans zuständig und therapiert Straftäter. Der Forensische Dienst hat seine Büros an der Voltastrasse in Luzern.

Hanno: Rein hypothetisch kann es sich um einen kognitiv, das heisst auf der abstrakt logischen Ebene, sehr intelligenten Menschen handeln, der gleichzeitig gegenüber den Gefühlen anderer sehr kalt und gleichgültig sein kann. Solche Leute sind sehr geschickt darin, andere zu täuschen, um ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Sie können einerseits sehr gut erkennen, wie es ihrem Gegenüber geht, gleichzeitig aber davon emotional unberührt bleiben. Tiefe emotionale Bindungen bedeuten ihnen nichts, es sei denn, dass sie diese zu ihren Gunsten ausnützen können.
Aber nochmals, auf den Einzelfall bezogen kann ich das – nur aufgrund dessen, was mir aus den Medien bekannt ist – nicht einschätzen. Man müsste den mutmasslichen Täter persönlich untersuchen und den detaillierten Handlungsablauf kennen. Allenfalls beschäftigte sich der mutmassliche Täter lange Zeit vorher schon damit, hatte vielleicht sogar einen detaillierten «Film» respektive «Handlungsablauf» in seiner Phantasie.

«Allenfalls beschäftigte sich der mutmassliche Täter lange Zeit vorher schon damit.»

zentralplus: Sind Ihnen vergleichbare Fälle aus der Zentralschweiz bekannt?

Hanno: Nein. Während meiner bisherigen Tätigkeit in der Zentralschweiz ist mir bisher kein solcher Fall begegnet; doch ich arbeite erst seit knapp einem Jahr in Luzern. Vorher war ich im Kanton Aargau, lange im Bereich der Forensischen Psychiatrie der Psychiatrischen Klinik Königsfelden, tätig.

zentralplus: Das ist just der Kanton, wo sich die Tat abspielte. Sind Ihnen aus dem Aargau ähnliche Fälle in Erinnerung?

«Es handelt sich um äusserst seltene Fälle. Sie erregen Angst.»

Hanno: Nein. Auch wenn man als Forensischer Psychiater regelmässig sowohl im Rahmen von Begutachtungen wie auch im Rahmen von gerichtlich angeordneten Therapien mit Sexualstraftätern zu tun hat, so muss man nach dem Stand des heutigen Wissens davon ausgehen, dass der Fall von Rupperswil doch sehr aussergewöhnlich zu sein scheint. Es handelt sich also um äusserst seltene Fälle, die aber verständlicherweise grosse Aufmerksamkeit, Mitgefühl für die Opfer und deren Angehörige, aber auch Angst erregen. Man stellt fest, dass die Täter bis dahin in der Mitte der Gesellschaft lebten, allenfalls sogar völlig unauffällig waren. Man hat erst einmal keine Erklärung dafür. Das verunsichert.

Der Vierfach-Mord von Rupperswil

Vier Menschenleben wurden im Dezember 2015 in Rupperswil auf brutalste Weise ausgelöscht. Die 48-jährige Mutter Carla S., ihre Söhne Davin (13) und Dion (19) sowie dessen Freundin Simona (21) wurden regelrecht abgeschlachtet. Ihre Leichen wiesen diverse Stichverletzungen auf. Der Täter hatte sich vor der Tat zuerst am 13-jährigen Davin vergangen. Danach zündete er die Leichen an, um Spuren zu verwischen. Lange tappte die Polizei im Dunkeln, ging von einem Raubmord aus.

Am Donnerstag konnte der Täter nach einer Grossfahndung gefasst werden. Der 33-jährige Schweizer ist geständig, er ist nicht vorbestraft. Er wohnt nur 500 Meter vom Tatort entfernt bei seiner Mutter. Der Mann war früher Trainer einer Junioren-Fussballmannschaft, fiel aber nicht auf. Nachbarn beschreiben ihn als introvertierten Einzelgänger. Gewalt scheint ein Thema zu sein: Er schrieb gemäss Medienberichten eine Arbeit über Osama bin Laden. Laut Polizei und Staatsanwaltschaft hatte er weitere solcher Taten geplant. 

 

Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


0 Kommentare
    Apple Store IconGoogle Play Store Icon