Luzerner Gemeinden vernachlässigten Kontrollen

Der Kampf einer Krienser Familie um wirksamen Schutzraum

Der Schutzraum der Familie Baumann nach der Instandstandstellung. (Bild: Yann-Alexander Hage)

In Europa herrscht Krieg, Nuklearenergie wird wieder als Chance oder Bedrohung wahrgenommen. In dieser Zeit rücken auch Schutzräume wieder vermehrt ins Interesse. Ein Fall in Kriens zeigt, wie sträflich Gemeinden und Kanton Luzern das Thema Bevölkerungsschutz vernachlässigt haben.

Im Jahr 2021 bezieht die Familie Baumann* ihr Einfamilienhaus in Kriens. Einige Monate danach fordern sie eine gemeindliche Kontrolle ihres Schutzraumes an. Sie wollen wissen, ob ihr Schutzraum im Notfall einzugsbereit ist.

Nach Plan teilen sie sich einen Schutzraum mit den benachbarten Häusern. Im Gespräch mit der Stadtverwaltung Kriens teilt man ihnen jedoch mit, dass die Kostenübernahme für eine Kontrolle nicht von der Gemeinde getragen wird. Als Begründung wird auf die laufende Gesetzesrevision hingewiesen. Denn ab 2023 sind die Kantone damit direkt für die Schutzräume und die Inspektionen verantwortlich.

Schutzraumkontrolle, leicht gemacht

Die Familie Baumann besteht jedoch auf eine Kontrolle ihres Schutzraums. Im Kontakt mit der Stadtverwaltung Kriens werden sie auf ein Video des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz verwiesen, welches den «Unterhalt» der Schutzräume visuell darstellt. Die Gemeinde sagt, dieses Video stelle eine Selbstanleitung zur Kontrolle des Schutzraumes dar. Der Titel : «Unterhalt eines TWP Schutzraums».

Bei Anschauen des Films wird schnell klar, wieso sich Familie Baumann nicht ernstgenommen fühlt. In einer simplen Animation wird dargestellt, mit welchen Werkzeugen der Schutzraum unterhalten werden kann. Ein fliegender Kehrbesen und eine Taschenlampe sind die Protagonisten. Der Inhalt des Videos zeigt auf, wie der Unterhalt des Schutzraumes eigenhändig vorgenommen werden kann. Das Anliegen von Familie Baumann ist jedoch die Durchführung einer behördlichen Kontrolle.

Fälschlicherweise wird ausserdem behauptet, dass die Kontrolle auch von privater Seite aus unternommen werden kann. Die Kontrolle kann jedoch nur durch einen qualifizierten Sachverständigen durchgeführt werden.

Seit dem Bau des Hauses keine Kontrolle mehr

Die Korrespondenz zwischen der Gemeinde und der Familie, die zentralplus vorliegt, zeigt ausserdem: Die letzte Kontrolle des entsprechenden Schutzraums hat bei der Errichtung des Hauses 1983 stattgefunden. Das Zivilschutzgesetz bestimmt jedoch, dass mindestens alle zehn Jahre eine solche Kontrolle stattfinden muss.

Bei der Familie Familie handelt es nicht um einen Einzelfall. «Die Gemeinden im Kanton Luzern haben die periodische Schutzraumkontrolle in den letzten zehn Jahren nicht wahrgenommen», räumt der oberste Luzerner Zivilschützer, Daniel Enzler, ein. Der Kanton sei jedoch bereit, die Kosten einer Kontrolle des Schutzraumes zu übernehmen. Wie es sich herausstellt, verlangt die Inspektion ausserdem eine geschulte Fachkraft.

Der unbrauchbare Schutzraum

Nach Absprache stellt der Kanton einen qualifizierten Mitarbeiter, welcher die Kontrolle durchführt. Das Resultat ist für die Familie erschreckend. Die Inspektion zeigt defekte Hebelgriffe an der Panzertüre, veraltetetd Filter und Ventilationssysteme, spröde Gummidichtungen. Das Verschliessen der Türe ist unmöglich.

Gasfilter und das Kombiventil haben ihre Lebensdauer von 40 Jahren überschritten und müssen umgehend ausgetauscht werden. Auch die Dichtungen an Tür und Panzerdeckel wurden seit Bau des Schutzraumes nicht ausgewechselt und benötigen eine dringende Erneuerung.

Behördliches Versagen

Die Familie Baumann ist entsetzt. Welchen Nutzen hat ihr Schutzraum, wenn weder die Panzertür verschliessbar ist noch das Filtersystem funktioniert? Sie fürchtet sich vor dem Tag, an dem eine Katastrophe sie zu Schutzsuchenden macht.

Die Dienststelle für den Zivilschutz im Kanton Luzern weist einen Schutzplandeckungsgrad von 100 Prozent für die Gemeinde Kriens aus. Der Kanton weist aus, dass im Ernstfall genügend Schutzräume zur Verfügung stehen. Wenn die privaten nicht ausreichen, so müssen die öffentlichen das Defizit wettmachen.

Doch auch Daniel Enzler von der Abteilung Zivilschutz räumt ein, dass aktuell bei rund 94 Prozent der Schutzräume die Kontrolle pendent ist. Nur sechs Prozent sind also entsprechend den Vorgaben kontrolliert worden. «Das Risiko, dass Einwohner in einen defekten Schutzraum zugewiesen werden, kann mit der periodischen Schutzraumkontrolle minimiert, jedoch nicht ausgeschlossen werden», sagt der Abteilungsleiter. Die Unterhaltspflicht der Eigentümer sei hierbei grösser zu gewichten.

Die «Laisser faire»-Politik der Gemeinden wäre ohne Unterstützung des Kantons nicht möglich gewesen. Denn der Kanton hat laut Zivilschutzgesetz die Aufsicht über die Kontrolle und Instandhaltung der Schutzanlagen.

Vermögen von 50 Millionen Franken

Doch wie finanziert sich das alles? Hauseigentümerinnen sind verpflichtet, beim Bau von Wohnhäusern Schutzräume zu errichten. Beim Verzicht muss eine Ersatzabgabe verrichtet werden. Diese fliesst direkt an den Kanton. Die Kasse der Ersatzbeiträge verpflichtet sich, diese Gelder einzusetzen, etwa zur Erneuerung der privaten und öffentlichen Schutzräume.

Der Leiter des kantonalen Zivilschutzes schätzt das Vermögen der zweckgebundenen Ersatzabgaben auf rund 31 Millionen Schweizer Franken. Diese Gelder liegen bei den Luzerner Gemeinden, die sie auf kommendes Jahr hin dem Kanton überweisen. In diesem Fonds liegen bereits heute weitere 19 Millionen. Diese Gelder wurde bis jetzt kaum für die systematische Überprüfung der Schutzräume genutzt, es bestehen derzeit also Reserven von 50 Millionen Franken.

Verfahren – aber gegen Besitzer, nicht Behörden

Zurück nach Kriens. In ihrer Antwort auf eine Interpellation von Matthias Erni (FDP) räumt die Stadt Kriens ein, dass die Kontrollen in den letzten Jahren nicht durchgeführt wurden. Ist der Gemeinde Kriens in diesem Fall sogar ein Verstoss gegen das Zivilschutzgesetz vorzuwerfen? Stadtrat Maurus Frey verweist in der Beurteilung gegenüber zentralplus auf die zuständigen Dienststellen.

Unabhängig davon: Der Nachholbedarf ist gross. Eine Kontrolle aller privaten über vierzigjährigen Schutzräume der Stadt Kriens wird rund ein Jahr beanspruchen. Und dies auch nur, wenn private Unternehmen damit beauftragt werden. Und dann könnte es auch zu Verfahren kommen. Jedoch nicht gegen die Amtsstellen wegen mangelnder Aufsicht. Sondern gegen die Schutzraumbesitzer, welche den Unterhalt vernachlässigten, wie es in der Interpellation heisst.

*Name geändert

Verwendete Quellen
  • Korrespondenz mit der Stadtverwaltung Kriens
  • Korrespondenz mit Daniel Enzler, Dienststelle Zivilschutz
  • Antworten von Maurus Frey
  • Antwort auf Interpellation Erni
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10 Kommentare
  • Profilfoto von Scheinheilig
    Scheinheilig, 27.10.2022, 17:56 Uhr

    Abzuklären wäre ein Verwaltungs oder Strafverfahren wegen dem Ausgewiesenen Dekungsgrad Schutzraumquote von 101% im Kanton Luzern welcher mutmasslich nicht korrekt sein kann.Schutz und Sicherheit für die Bevölkerung wird garantiert durch die behördlichen Schutzraum Kontrollen. Bleiben diese über jahrzehnte aus, kann der (Status) in welchem Zustand der Schutzraum ist,nicht deklariert werden.
    Am Geld kann es nicht liegen, 50 Millionen wären jetzt verfügbar für die behördlichen Kontrollen und für die Erneuerung der darin stehenden Anlagen.
    Die Bevölkerung hat bereits bezahlt.Wir haben das Recht auf einen Schutzraum welcher im Ernstfall auch Schutz bietet.

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  • Profilfoto von S.C.
    S.C., 27.10.2022, 13:11 Uhr

    Erschreckend zu wissen das in einem Ernstfall nur 6% der Schutzräume garantiert funktionieren würden! Kriens muss dies schleunigst ändern. Ich hoffe das dies nicht bei allen Gemeinden so ist!

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  • Profilfoto von M.A.B
    M.A.B, 25.10.2022, 07:51 Uhr

    In unserer eigenen MFH Liegenschaft wurde vor 35 Jahren die erste und zugleich letzte Kontrolle des Schutzraumes kurz nach dem Bau des Hauses vorgenommen. Diese sicher mangelhafte Aufsicht als Versagen der Behörden zu beurteilen, finde ich jedoch gänzlich falsch. Nebst wohl fast allen Hausbesitzer-innen wussten sehr viele Menschen von dieser mangelhafte Kontrolle. Viele glaubten wohl auch, dass diese Schutzräume nicht mehr benötigt werden. Doch Hand aufs Herz, wer von Ihnen hat zu Hause die vom Bund empfohlenen Notvorräte? Wie lange haben wir alle als Gesellschaft die Existenz des Klimawandels geleugnet, nicht zuletzt weil der Konsum bei Uns so bequem war und bisher andere Menschen irgendwo den Preis dafür bezahlt haben? Jetzt wo wir alle von der Realität und der oft Gleichgültigkeit unseres Handelns eingeholt werden, sollen es plötzlich die Behörden sein, denen wir die Schuld zuweisen. Das scheint mir, ist eine sehr bequeme Schuldzuweisung, die weder ganz falsch noch ganz richtig ist.

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  • Profilfoto von s/w
    s/w, 24.10.2022, 18:24 Uhr

    Wenn sich die Schweizer Regierung tatsächlich neutral im staatsrechtlichen Sinn verhalten würde, statt kriegsbeteiligten Regierungen einseitig wiederholt Sympathiekundgebungen zu vermitteln, würde dies m.E. eine Gefahrenlage wesentlich verringern und Schutzräume grundsätzlich weniger wichtig machen!

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  • Profilfoto von s/w
    s/w, 24.10.2022, 18:14 Uhr

    Wie wäre es, wenn sich die Schweizer Regierung tatsächlich neutral im staatsrechtlichen Sinn verhalten würde, statt einseitug – egal welchen – Regierungen wiederholt Sympathiekundgebungen zu vermitteln? Das würde m.E. eine Gefahrenlage wesentlich verringern

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  • Profilfoto von Kritischer Blick
    Kritischer Blick, 23.10.2022, 09:31 Uhr

    Es gibt auch eine andere Perspektive, diese Situation zu betrachten. Als Hauseigentümer habe ich ein grossen Eigeninteresse die Substanz meines Hauses möglichst gut zu erhalten. Dazu gehört auch der Schutzraum, der oft als Keller oder Abstellraum genutzt wird. Ist ein Dach oder ein Fenster defekt, lasse ich es reparieren. Läuft Wasser in den Keller, lasse ich es reparieren.

    Als Hauseigentümer habe ich auch ein wachsames Auge auf den Zustand meines Schutzraumes. Das Video vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz ist eine gute Anleitung, wie ich meinen Schutzraum einer einfachen aber wirkungsvollen Selbstkontrolle unterziehen kann, um danach weitere Massnahmen in die Wege zu leiten. Für diese Selbstkontrolle benötige ich weder die Gemeinde noch den Kanton. Werden Mängel festgestellt, dann ist selbstverständlich der Support von Fachstellen nötig.

    Die Gemeinden sollten vor allem ihre eigenen öffentlichen Schutzräume mit vielen Schutzplätzen im Auge behalten und diese in einem betriebs- und bezugsbereiten Zustand halten. Für die privaten Schutzräume appelliere ich an die Eigenverantwortung der Eigentümer.

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    • Profilfoto von Donnerwätter
      Donnerwätter, 23.10.2022, 09:57 Uhr

      Eigenverantwortung ist wichtig da stimme ich zu. Unterhalt ersetzt jedoch die gesetzliche behördliche Kontrolle nicht.Das Ausmass wie der Zustand der Schutzräume im ganzen Kanton Luzern tatsächlich ist kann nur durch die behördlichen Kontrollen festgestellt werden. Ambivalent …sollte Hauseigentümer mit Strafrechtlichen Folgen rechnen müssen aber die Behörden weiterhin die Bevölkerung an der Nase herum führen?
      94 Prozent aller Schutzräume sind möglicherweise nicht mehr tauglich? Das kann nicht unter den Tisch gekehrt werden.
      Bund hat die Oberaufsicht über die Kantone. Wie soll man so noch Vertrauen haben in die Schweizer Armee?

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  • Profilfoto von oliver.heeb
    oliver.heeb, 22.10.2022, 12:13 Uhr

    Besorgniserregend, aber nicht erstaunlich. Hinzu kommen jene Häuser, in denen in den letzten Jahren zwecks Renditesteigerung zusätzliche Wohnungen erstellt wurden (in ehemaligen Wasch- und Trocknungsräumen zum Beispiel), und von denen die Gemeinden möglicherweise keine Kenntnis haben. Zudem stellt sich die Frage, ob sich die Gemeinden überhaupt im Klaren sind, wer auf ihrem Gebiet lebt (zum Beispiel: Untervermietungen von Einzelzimmern, ohne dass die Bewohner bei der Gemeinde gemeldet sind. Was passiert im Katastrophen- und Krisenfall mit all den illegal anwesenden Personen?

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  • Profilfoto von schaltjahr
    schaltjahr, 22.10.2022, 07:11 Uhr

    Einmal mehr die Stadt Kriens .. und nstürlich deren Stadtrat. Die Frage ist, Wie lange können die noch so Weiterwursteln .. Da gehört schon längst ein Aufseher des Kantons hin …

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    • Profilfoto von Erwin Lussi
      Erwin Lussi, 22.10.2022, 09:27 Uhr

      Seriöse vorausschauende Massnahmen beim Bevölkerungsschutz haben für die Gemeinden, die Kantone und den Bund keine Priorität, nicht mal in Zeiten eines nahen bewaffneten Konflikts mit einem die ganze westliche Welt bedrohenden unberechenbaren Psychopathen als Partei.

      Wir schauen dann wenn der akute Bedrohungsfall eintritt, heisst es. Was trotz Pandemieplan zu Beginn der Pandemie alles gefehlt hat ist uns allen noch in Erinnerung.

      Die Verantwortung wird zwischen Gemeinden, Kantonen und Staat hin und her geschoben.

      Dazu kommt dass auch viele Menschen ihre Eigenverantwortung nicht wahrnehmen. Viel zu viele verlassen sich blind auf den Staat.

      Vorsorgen kann und sollte jeder Bürger auch selber. Von Strommangellage und Blackout hat jeder schon gehört. Informieren was man braucht um über die Runden zu kommen kann man sich im Internet.

      Wer vor dem Ereignisfall privat nicht vorgesorgt hat dem bringt demonstrieren auf der Strasse dann auch nichts. Wir haben gelernt: dem Staat fehlt Material in genügender Menge.

      Den verzweifelten Menschen die auf der Strasse um Hilfe rufen werden (es könnten unglaublich viele sein) kann der Staat dann nur noch Polizei und Militär entgegenwerfen.

      Also doch privat vorsorgen ? Ja ? Aber JETZT !

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