Sommerserie «Aus der Kälte»

Den Berg im Griff

Der Titlis auf 3020 Meter über Meer: Gipfelwart Andrin Wyrsch hat den Überblick. (Bild: dog)

Andrin Wyrsch ist Gipfelwart auf dem Titlis, dem höchstgelegen Ausflugsberg der Zentralschweiz. Ob ausgefallene Wünsche von Touristen oder Schneeräumen bei minus 28 Grad – Wyrsch hat den Berg im Griff.

«Xuě!» Bereits in der Gondelbahn kreischen die chinesischen Touristen aufgeregt, als sie sich dem schneebedeckten Titlis nähern. Xuě (chinesisch für Schnee) im Juli ist aber auch etwas Besonderes. 

Nicht für Andrin Wyrsch. Der 32-Jährige ist einer von drei Gipfelwarten auf der 3020 Meter über Meer gelegenen Titlis-Bergstation. Der Schnee gehört zu seiner täglichen Arbeit, im Winter wie im Sommer. Trotzdem kann er die Aufregung unter den Titlis-Besuchern verstehen. «Die Touristen lieben den Schnee hier oben. Viele, vor allem Chinesen und Inder, haben zum ersten Mal Schnee unter den Füssen. Oft bedanken sie sich persönlich bei mir dafür. Als wäre es mein Verdienst.» Wyrsch schmunzelt und sein Blick schweift über das atemberaubende Bergpanorama vor ihm.

Bis zu 3000 Besucher pro Tag

Auch nach zwölf Jahren kann Andrin Wyrsch, der in Emmetten im Kanton Nidwalden lebt, die Aussicht noch geniessen. Routiniert erklärt er, welcher Berg nun welcher ist, wo die Berner Alpen beginnen und dass man bei guter Sicht bis zu den Vogesen im Schwarzwald sehen kann. Tief unten im Tal liegt Engelberg. In der Obwaldner Exklave steht die Talstation, die bis zu 3000 Personen pro Tag auf den Titlis befördert, den höchstgelegenen Ausflugsberg der Zentralschweiz. 45 Minuten dauert die Fahrt, bei der rund 2000 Höhenmeter zurückgelegt werden.

Asiatische Touristen muss Wyrsch auch immer wieder enttäuschen, wenn sie den Schnee mit nach Hause nehmen wollen.

Als sein Blick aber auf den Gletscher – direkt neben der Bergstation – fällt, kräuseln sich kleine Sorgenfalten auf Wyrschs Stirn. «Jedes Jahr geht er zwei Meter zurück. Wenn das so weitergeht, gibt es den einzigen Zentralschweizer Gletscher bald nicht mehr.»

Als Gipfelwart gehört es zu seiner Aufgabe, den Gletscher sowie die darin liegende Gletschergrotte instand zu halten. 20 Meter unter der Oberfläche verläuft ein Rundgang mitten durch das Perma-Eis. Bei Null Grad Celsius können die Besucher das Innenleben des Gletschers bestaunen – ein Highlight für jeden Titlis-Touristen.

Die Wartung des Gletschers und der Grotte beinhaltet jedoch nur einen kleinen Teil von Wyrschs Arbeitsbereich. Der gelernte Sanitärmonteur kümmert sich um die hauseigene Kläranlage, die unter anderem auch den Gletscher mit Wasser versorgt, er enteist die Webcam, die stets aktuelle Bilder des Titlis übermittelt, räumt Schnee, beschafft Trinkwasser und hilft den Touristen, sich auf dem Berg zurechtzufinden. Ein Besucher fragt, wo es einen Rollstuhl für seine erschöpfte Mutter gebe. Für einmal kann Wyrsch nicht helfen. «I am sorry, we don’t have any wheelchairs up here», antwortet er freundlich.

Bizarre Touristenwünsche

Seit er Gipfelwart auf dem Titlis ist, hat Andrin Wyrsch schon das eine oder andere bizarre Erlebnis mit Touristen erlebt. Ein Inder habe ihn einmal nach einem seltsamen Objekt am Himmel gefragt. «Es war ein Flugzeug», sagt Wyrsch und grinst, «dieser Tourist kann in seiner Heimatstadt den Himmel nicht sehen, wegen des Smogs. Auf dem Titlis hat er erstmals den klaren, blauen Himmel wahrgenommen.» Einige Besucher muss er auch immer wieder enttäuschen, wenn sie den Schnee mit nach Hause nehmen wollen. «Von mir aus können sie den Schnee schon mitnehmen, aber beim Transport kann ich ihnen nicht behilflich sein. Kaum in Engelberg angekommen, ist der Schnee dann geschmolzen.»

Wyrsch wird auch immer wieder nach Steckdosen gefragt. Die gibt es in der Bergstation und werden auch rege genutzt – für den eigens mitgebrachten Wasserkocher. «Den brauchen sie, um ihre Nudelsuppe zu kochen. Die asiatisch stämmigen Touristen essen nun mal gerne das, was sie zuhause auch essen.»

Arbeiten bei minus 28 Grad

Man sieht es Andrin Wyrsch an, dass ihm seine Arbeit Spass macht. Am liebsten arbeitet er mit der Schneefräse. «Das ist mein Spielzeug. Das Ding hat richtig Power und es macht enorm viel Spass damit durch den Schnee zu brettern.»

Es gibt aber auch Momente, die nicht einfach sind. «Im Winter kann es schnell mal minus 20 Grad oder noch kälter werden. Da muss man schon auf die Zähne beissen.» Die tiefste Temperatur, bei der Andrin Wyrsch je arbeiten musste, war minus 28 Grad. «Ohne Sturmmaske, Spezialhandschuhe und Thermo-Kleidung wäre ich wohl innert kurzer Zeit erfroren. Aber irgendjemand musste nun mal den Schnee räumen und die Webcam enteisen», sagt Wyrsch. Heute, an diesem Juli-Dienstag ist es 5 Grad «warm».

Über Funk wird Andrin Wyrsch zur Kläranlage gerufen. Auf dem Weg halten ihn Touristen auf. Aber noch immer weiss er keinen Rat, wie sie den Xuě nach Hause transportieren können.

NÄCHSTEN DIENSTAG: Die schweisstreibende Arbeit eines Glace-Herstellers in Brunnen (SZ).

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