Wie ein Luzerner mit der brutalen Diagnose lebt

Demenz: «Später werde ich von diesem Gespräch nichts mehr wissen»

Beat Vogel lebt seit rund vier Jahren mit der Diagnose Demenz. Doch bleibt der 60-Jährige positiv. Seither bleibe viel mehr Zeit für Ausflüge, unter anderem mit dem Schiff.

 

(Bild: sah)

Der Körper funktioniert, das Äussere sitzt, nur der Kopf macht nicht so ganz mit. Der 60-jährige Beat Vogel leidet seit vier Jahren an Demenz. Er erzählt, wie er trotz Diagnose durch den Tag kommt – und sich über sich selbst wundert, wenn er das Brotmesser im Kühlschrank findet.

«Heute Nachmittag werde ich wohl nichts mehr von unserem Gespräch wissen», sagt Beat Vogel, als er sich mit einem Kaffee an den Tisch setzt. Vogel ist 60-jährig, aufgestellt und agil. Nur im Kopf sitzt manchmal eine andere Person», erklärt er.

Seit rund vier Jahren lebt er mit der Diagnose Demenz. In seiner Brieftasche trägt er deshalb seither einen Ausweis mit seinem Foto, Adresse der Nummer seiner Tochter und der Information, dass er an Demenz leidet.

Der Ausweis muss immer mit, denn des öfteren verläuft sich Vogel, oder weiss plötzlich nicht mehr, wo er hin wollte. «Wenn ich am Bahnhof bin, vergesse ich, auf welches Gleis ich muss», erzählt Vogel. Für ihn gibt es da nur eines: Fremde Menschen ansprechen und um Hilfe bitten. «Ich sage dann, dass ich die Diagnose Demenz habe und gerade nicht wisse, wo mein Zug fährt.» Mit ihrer Hilfe sei er jedoch noch immer am richtigen Ort angekommen, erzählt Vogel lachend.

Wecker, Listen und Zettel helfen – aber nur begrenzt

Denn ausser dass sein Gedächtnis ab und zu nicht mehr ganz funktioniere, sei der IV-Bezieher topfit und geht gerne raus. «Jeden Morgen stehe ich um 6 Uhr auf und spaziere eine Runde.» Die Route müsse jedoch immer die Gleiche sein, sonst finde er den Weg zurück nicht mehr. «Bewegung ist extrem wichtig für mich, das ist auch für mein Gehirn gutes Training», so Vogel. Denn bei jedem Schritt und jeder Bewegung spielt das Gehirn mit. Über 10’000 Schritte am Tag sei sein Ziel.

«Als ich letztens meinen Kühlschrank öffnete und das Brotmesser darin fand, musste ich lachen.»

Zu Hause wohne er alleine, aber habe eine kleine Maschine, mit der er sich alles mögliche anschreiben kann. Teller, Teetassen, Besteck. So wisse er, wo was hinkommt. Doch selbst dann verlege er oft etwas. «Als ich letztens meinen Kühlschrank öffnete und das Brotmesser darin fand, musste ich lachen», erzählt er. Ansonsten helfen ihm Erinnerungen auf dem Handy oder Zettel. Doch auch diese nützen nur begrenzt. «Mache ich eine Einkaufsliste, komme ich trotzdem nur mit der Hälfte der Einkäufe nach Hause», so Vogel.

Demenz in jungen Jahren:

Nach Angaben von Alzheimer Luzern leben im Kanton Luzern rund 6'900 Menschen mit Demenz. 65 Prozent davon sind Frauen, rund 5 Prozent sind noch nicht im AHV-Alter.

Alle 20 Minuten erkrankt in der Schweiz eine neue Person an Demenz. Alzheimer Luzern (ehemalig Schweizerische Alzheimervereinigung Luzern) setzt daher seit ihrer Gründung im Jahr 1992 auf gezielte Information, Beratung und Begleitung von Menschen mit Demenz und ihrer Angehörigen.
Das gemeinsam mit Pro Senectute Kanton Luzern getragene Beratungsangebot der Infostelle Demenz (041 210 82 82) bietet Direkthilfe für die Betroffenen.

Lesen und Kochen? Nicht möglich

Er könne es sich oftmals auch nicht erklären. Denn eigentlich wisse er ja, was er braucht, oder wie etwas funktioniert. Nur in der Ausführung hapert es. «Meine Kaffeetasse habe ich letztens im Badezimmer, statt in der Küche abgewaschen», lacht Vogel.

Lesen könne er schon lange nicht mehr wirklich. «Schlage ich ein Buch auf und fange an, darin zu lesen, habe ich schon wieder vergesse, was am Anfang der Seite stand.» Auch Kochen könne er mittlerweile nicht mehr. «Früher habe ich Kochkurse besucht. Aber plötzlich wusste ich nicht mehr, wie das geht», erzählt Vogel.

Zu Beginn war es noch witzig, aber …

Angefangen habe das mit dem Vergessen vor über fünf Jahren. Damals hat der heute in Kriens Wohnende an der Pädagogischen Hochschule in Luzern gearbeitet. «Ich habe zuerst einfach kleine Sachen verlegt oder des öfteren Dinge vergessen», so Vogel. Zuerst habe er gemeinsam mit den Kollegen Witze darüber gerissen, dass er wohl langsam dement werde.

«Ich legte den Telefonhörer ab und hatte komplett vergessen, mit wem ich gerade gesprochen hatte. Das war mir extrem peinlich.»

Doch aus der Vergesslichkeit, die wohl jeder aus seinem Alltag kennt, wurde plötzlich ein Problem. «Solche Situationen traten immer häufiger auf. Ich legte den Telefonhörer ab und hatte komplett vergessen, mit wem ich gerade gesprochen hatte. Das war mir extrem peinlich», erzählt Vogel. Als sich auch seine Kinder über seine Vergesslichkeit zu wundern begannen, besuchte er seinen Hausarzt.

Dieser stellte die Diagnose Alzheimer. Es folgten mehrere Jahre Tests, Abklärungen, Untersuchungen, um am Ende beim Begriff frontotemporaler Demenz zu landen – eine Demenzform, bei der die vorderen Teile des Gehirns betroffen sind. Seither – nach langem Kampf mit der IV Luzern – arbeitet der 60-Jährige nicht mehr, darf kein Auto mehr fahren, auch seine Finanzen müssen andere für ihn erledigen.

«Ich muss extrem vieles abgeben. Das war besonders am Anfang schlimm. Nicht mehr zu arbeiten war für mich Horror», erklärt Vogel und wirkt dabei erstaunlich optimistisch. «Ich habe es mir nicht ausgesucht, aber ändern kann ich es auch nicht», meint er. «Mein Arzt sagt immer, ich jammere zu wenig. Aber ich sage mir immer: Es ist, wie es ist.»

Demenz noch immer ein Tabuthema

Solange er jedoch noch einigermassen selbständig sei und keine Schmerzen habe, könne er sich auf das Positive fokussieren. «Nun habe ich ein Generalabonnement für Reisende mit Behinderung. Da kann ich immer jemanden gratis mitnehmen», so Vogel. Dieses nutze er in vollen Zügen aus und habe fast jeden Tag «Programm», mit Freunden oder Verwandten.

Mit der eigenen Familie sei es oftmals schwierig, über seine Diagnose zu sprechen. «Demenz ist immer noch ein Tabuthema, über das man ungerne spricht. Besonders in der Schweiz», meint Vogel. Er selbst habe keine Probleme, darüber zu reden, doch das sei bei jedem anders. Dennoch ist ihm ein offener Umgang seiner Situation ein Anliegen. Auch, weil man ihm äusserlich nichts ansehe, meint Vogel und fügt abschliessend hinzu: «Aber es ist, wie es ist.»

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