Seit fünf Jahren liegt an der Lorze in Baar ein abgerutschter Hang. Ist eine Sanierung zu gefährlich? Und was haben die Lastwagen auf dem Veloweg damit zu tun? Im Lorzentobel taucht plötzlich ein politischer Zankapfel auf, der die Politik noch lange beschäftigen wird.
Mächtig ruht der Hangrutsch am Ufer der Lorze. Die Geröllhalde erstreckt sich über eine Breite von etwa zehn Metern und einer Länge von fast 120 Metern. Seit die Wiese im Lorzentobel 2011 abgerutscht ist, liegt sie unverändert da. Es scheint sich nicht viel getan zu haben in den letzten Jahren. Ein Augenschein vor Ort verstärkt die Annahme. Ist denn tatsächlich nichts passiert in den letzten Jahren?
Untersucht, beurteilt, geprüft und wenig verändert
Das will der Regierungsrat und Direktor des Bauamtes des Kantons Zug, Urs Hürlimann, so nicht gelten lassen. Er erklärt: «Im direkten Bereich des Rutsches wurde die Werkstrasse im Lorzentobel nach dem Niedergang gesperrt und ein Umgehungsweg für Fussgänger am Gegenhang gebaut.» Dieser sei in der Zwischenzeit wieder zurückgebaut worden, da die Strasse wieder geöffnet werden konnte, so Hürlimann.
Der Hang werde seit dem Rutsch und auch in Zukunft geologisch detailliert untersucht und beobachtet. «Zudem wurde ein allenfalls möglicher Aufstau der Lorze hydraulisch beurteilt, jedoch als unwahrscheinlich eingestuft.» Eine Verlegung des Lorzenbetts und der Spülleitungen der WWZ-Kraftwerksfassung seien geprüft, jedoch wieder verworfen worden, so Hürlimann.
Trügerische Stille?
Es scheint tatsächlich nicht viel passiert zu sein. Muss der Hang nicht gesichert werden? «Das Tempo des Rutsches hat sich seit dem Ereignis im Jahr 2011 stark verlangsamt», so Hürlimann. Das plötzliche Abrutschen einer grossen Menge sei von den Geologen als sehr unwahrscheinlich eingestuft worden, ergänzt der Baudirektor.
2014 gab der damalige Baudirektor des Kantons Zug, Heinz Tännler, gegenüber der «Neuen Zuger Zeitung» bekannt, dass der Hang geologisch analysiert wurde und eine Sanierung keinen Sinn mache. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis sei unverhältnismässig, weil der Hang technisch nicht gesichert werden könne, so Tännler.
«Die Gefahrenhinweiskarte weist für das Lorzentobel eine potenzielle Rutsch- und Steinschlaggefährdung aus.»
Regierungsrat Urs Hürrlimann
Hürlimann erklärt, dass auch heute kein weiterer Handlungsbedarf bestehe: «Die Gefahrenhinweiskarte des Kantons Zug weist für das ganze Lorzentobel von Unterägeri bis nach Baar hin wie auch für das Tobel des Höllbachs unterhalb von Edlibach eine potenzielle Rutsch- und Steinschlag- sowie Felssturzgefährdung aus.» Die Situation im Lorzentobel werde von Geologen als beobachtenswert, aber nicht als aussergewöhnlich beurteilt. Selbstverständlich verfolge der Kanton die Situation genau, beruhigt Hürlimann.
Allenwinder haben keine Angst
Das Dorf Allenwinden liegt mitten im potenziellen Rutsch- und Felsschlaggebiet. Machen sich die Anwohner Sorgen? Walter Müller vom Verein «Pro Allenwinden» schätzt die Situation folgendermassen ein: «Mir persönlich sind überhaupt keine Meldungen gemacht worden, dass Menschen Angst vor rutschenden Hängen hätten.»
Der Bauer, dem die Wiese gehört, wollte auf Anfrage keine Stellung nehmen. Der Kanton sei noch immer in Kontakt mit dem Grundeigentümer, heisst es vonseiten der Regierung. Diesem sei ein Kaufangebot unterbreitet worden, das aber nicht zustande gekommen sei, so Urs Hürlimann.
Abwarten und vorbeugen
Es ist also still im Lorzentobel. Bei dem nass-kalten Wetter verirren sich weder Jogger noch Spaziergänger an den malerisch schönen Uferweg. Einzig ein paar Bauarbeiter in oranger Uniform stehen am Wegrand und halten ein Schwätzchen. Sie scheinen zu warten.
Wenige Minuten später biegt ein Lastwagen um die Ecke, beladen mit weiteren dicken schwarzen Brückenträgern. Jetzt ist niemand mehr am Schwatzen, es wird gearbeitet. Und plötzlich scheint doch etwas zu laufen in dem so stillen Tobel.
Dort bei den Bauarbeitern, auf der Höhe der Tobelbrücke, wurde ein riesiger gelber Kran aufgebaut. Ein Bagger steht am Wegrand und die mächtigen Brückenträger liegen quer über dem Bachbeet. Die Hilfsbrücke zum Bau des neuen Quellwasserpumpwerks der Wasserwerke Zug (WWZ) ist in Entstehung. Währenddessen Baus sollen Lastwagen die Brücke queren können. Zudem werden im Gebiet zwischen Neuägeri und dem Kraftwerk Zentral 1 Quellwasserleitungen verlegt, weil der Hang zu rutschen droht.
«Messungen haben ergeben, dass sich die Strasse senkt.»
Robert Watts, Leiter Kommunikation und Marketing WWZ
Befürchtet man bei der WWZ, dass der Hang abrutscht? Robert Watts, Leiter Kommunikation und Marketing WWZ relativiert: «Messungen haben ergeben, dass sich die Strasse senkt.» Sie sei daher als Vorsichtsmassnahme für den Lastwagenverkehr gesperrt worden. «Im Verlauf des Bauprojekts für das neue Quellwasserpumpwerk sollen auch die alten Leitungen aus der Strasse entfernt und anschliessend die Sanierung der Strasse in Angriff genommen werden», so Watts. Tönt, als habe man hier alles im Griff.
Naturschutz soll gestrichen werden
Ein wenig Grund zur Sorge gibt es dennoch. Anders als die Allenwinder und das WWZ machen sich die Naturschützer Gedanken zur Zukunft. Regierungsrat Heinz Tännler, damals noch Baudirektor, hat 2012 vorgeschlagen, aus dem Gebiet ein Naturschutzgebiet zu machen. Heute sagt der aktuelle Baudirektor Hürlimann: «Das Gebiet ist aus der Sicht des Naturschutzes sicher interessant und hätte das ganze Waldnaturschutzgebiet Lorzentobel optimal ergänzt.»
«Das ganze Lorzentobel wird aus dem Waldnaturschutz entlassen.»
Regierungsrat Urs Hürrlimann
Inzwischen solle aber das ganze Lorzentobel mit einer Richtplananpassung aus dem Waldnaturschutz entlassen werden, so dass ein Naturschutzgebiet in Zukunft wohl kaum mehr denkbar sei, so Hürlimann. Das ärgert André Guntern von Pro Natura Zug. «Das ist eine reine Sparübung.» In ihrer Stellungnahme zum Vorhaben des Regierungsrates schreibt die Pro Natura Zug: «Es ist unverständlich, dass mit dem Lorzentobel einer der vielfältigsten und aus Sicht des Naturschutzes wertvollsten Wälder des Kantons Zug als Waldnaturschutzgebiet gestrichen werde soll.»
Die Waldnaturschutzgebiete seien auch deshalb im Richtplan zu belassen, um Beeinträchtigungen durch schädliche Nutzungen oder bauliche Eingriffe zu vermeiden oder um die Eingriffe mit bestmöglicher Schonung durchzuführen, so Pro Natura Zug. Demgegenüber stehen rund 40’000 Franken, die mit der Streichung jährlich eingespart werden können, ist dem Antrag des Regierungsrates zu entnehmen.
Die letzten Jahre war es ruhig um das Lorzentobel. Mit den Bauarbeiten und dem damit verbundenen Verkehrsaufkommen ist das aber vorbei. Aufgrund der Sparpläne wird das Lorzentobel zudem zu einem politischen Zankapfel, der den Kantonsrat im Herbst noch beschäftigen wird.