Co-Geschäftsleiterinnen des Vereins Lisa

Das sind Luzerns neue Kämpferinnen für Sexarbeiterinnen

Eliane Burkart (links) und Daniela Gisler (rechts) sind die beiden neuen Co-Geschäftsleiterinnen des Vereins Lisa. (Bild: ida)

Daniela Gisler und Eliane Burkart sind die neuen Co-Geschäftsleiterinnen des Vereins Lisa. Im Interview verraten sie, wo sie den grössten Handlungsbedarf von Sexarbeitern in Luzern sehen und was sie mit ihrem Engagement erreichen wollen.

«Sexarbeit ist Arbeit»: Seit acht Jahren setzt sich der Luzerner Verein Lisa für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen von Sexarbeitern ein. Birgitte Snefstrup, die den Verein gegründet hat und sich 16 Jahre lang für Sexarbeiterinnen starkgemacht hat, ist am Anfang dieses Jahres als Geschäftsleiterin zurückgetreten (zentralplus berichtete).

An der Spitze des Vereins stehen seit diesem September neu zwei Frauen. Es sind Daniela Gisler (54) und Eliane Burkart (34). Wir haben sie zum Gespräch getroffen.

zentralplus: Daniela Gisler und Eliane Burkart, die Corona-Pandemie und das zeitweise Berufsverbot hat viele Sexarbeiterinnen an den Rand der Existenz gebracht. Frau Burkart, Sie erzählten damals, dass Sie Kontoauszüge gesehen haben, auf denen ein Guthaben von null Franken aufgelistet war (zentralplus berichtete). Wie geht es den Sexarbeitern heute?

Daniela Gisler: Sexarbeitende sind immer noch teilweise verunsichert und haben weniger Einnahmen. Seit der Corona-Pandemie läuft das Geschäft harzig an, die Kunden fehlen teilweise, so ist auch der Verdienst geringer. Viele haben nach wie vor Mühe, ihren finanziellen Verpflichtungen nachzukommen.

Eliane Burkart: Vor vielen steht nach wie vor ein Schuldenberg. Sexarbeitende haben auch fast keine Möglichkeiten, diesen abzuarbeiten, weil die Kunden fehlen. Diese Angespanntheit und Ängste spüren wir. Einige sind verunsichert, wie es weitergeht. Ob wieder ein Arbeitsverbot ausgesprochen wird oder ob Verschärfungen kommen. Wie etwa eine mögliche 3G-Pflicht im ganzen Gewerbe. Das gilt momentan ja nur bei Indoor-Erotiketablissements, die auch einen Barbetrieb haben. Zudem sehen wir einige Gesichter kein zweites Mal, da die Mobilität von Sexarbeitenden derzeit gross ist.

«Wir wollen Sexarbeitende befähigen, dass sie ihr Leben möglichst selbstständig bewältigen können.»

Daniela Gisler

zentralplus: Woher kommt Ihr Engagement, sich für Sexarbeiterinnen einzusetzen, ihnen zu helfen und dies zu Ihrem Beruf zu machen?

Gisler: Für mich ist helfen nicht das richtige Wort. Wir wollen Sexarbeitende befähigen, dass sie ihr Leben möglichst selbstständig bewältigen können, dass sie sich selber helfen können.

Burkart: Das ist gerade in diesem Milieu besonders wichtig. Je nach Wissensstand ist die Gefahr schon da, dass Sexarbeitende in Abhängigkeiten geraten können. Deswegen wollen wir ihre Selbstständigkeit so fördern. Denn je selbstständiger und selbstbestimmter Sexarbeitende sind, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie in ein Abhängigkeitsverhältnis geraten. Und desto wahrscheinlicher ist es auch, dass sie sich wehren können oder sich Hilfe holen, wenn sie den Eindruck haben, dass etwas nicht stimmt.

Stehen seit diesem September an der Spitze des Vereins Lisa: Daniela Gisler (links) und Eliane Burkart.

zentralplus: Können Sie sich an Ihre ersten Berührungspunkte mit dem Rotlichtmilieu zurückerinnern? Was hat das in Ihnen ausgelöst?

Gisler: Eliane und ich haben gleichzeitig an der Hochschule Luzern Soziale Arbeit studiert. Eliane arbeitete bereits beim Verein Lisa. Später hat sie mich gefragt, ob ich Lust hätte, mich als Beraterin beim Beratungscontainer hotspot zu engagieren. Vor drei Jahren hatte ich so erstmals Kontakt zu Menschen, die in der Sexarbeit tätig sind. Für mich war es besonders schön zu sehen: Das sind Frauen wie wir. Sie haben dieselben Sorgen und Ängste. Und doch ist jede anders.

zentralplus: Eliane Burkart, Sie waren unter anderem vor sieben Jahren in einer Anlauf- und Beratungsstelle am Strassen- und Drogenstrich in Berlin tätig.

Burkart: Diese Erfahrung hat mich sehr fasziniert, berührt und beschäftigt. In Berlin war es das raue Leben, das dort spielt. Auf dem Strassenstrich haben alle möglichen Menschen angeschafft: schwer suchtabhängige Menschen, Menschen aus Osteuropa, Transmenschen, teilweise auch relativ junge Frauen. Am sogenannten Hausfrauenstrich habe ich deutsche Frauen angetroffen, die seit den 80er-Jahren der Sexarbeit nachgehen. Eine solche heterogene Masse auf dem Strassenstrich zu treffen – das hat mich sehr fasziniert. Sexarbeit ist nicht einfach ein Bild. Das zeigt sich auch in Luzern. Früher wurden wir nur wenig von Transmenschen kontaktiert, heute ist es mehr und mehr der Fall. Es sind eben nicht nur Frauen, die in der Sexarbeit tätig sind, es gibt auch Männer und Transmenschen. Jede Person hat ihre Geschichte, die sie mitbringt und ihre Beweggründe, weswegen sie in der Sexarbeit tätig ist. Anschliessend habe ich meine Bachelorarbeit an der HSLU über die Stigmatisierung von Sexarbeitenden geschrieben, bis mich mein Weg Anfang 2016 zu Lisa geführt hat.

«Es ist eine wichtige Aufgabe des Vereins Lisa, Sexarbeitende sichtbar zu machen.»

Eliane Burkart

zentralplus: Was treibt Ihr Engagement an?

Burkart: Bei mir ist es ein Herzensthema, ich möchte in der Sexarbeit etwas bewirken, zur Entstigmatisierung beitragen. Sexarbeitende werden an den Rand der Gesellschaft gedrängt, man will sie nicht sehen. Und doch ist das Bedürfnis nach Sexarbeit offensichtlich da. Es ist eine wichtige Aufgabe des Vereins Lisa, Sexarbeitende sichtbar zu machen. Zu zeigen: Sexarbeitende sind Menschen wie alle anderen auch. Es sind Menschen, die nicht aufgrund ihres Jobs weniger Rechte oder Wert haben. Wir geben denen eine Stimme, die in der Gesellschaft keine haben oder sich nicht getrauen, sich zu exponieren.

zentralplus: Was fordert Sie als neue Co-Geschäftsleiterinnen des Vereins derzeit am meisten?

Burkart: Seit Corona verzeichnen wir einen massiven Zuwachs an Beratungen. Während des ersten Lockdowns ging es hier teilweise zu und her wie in einem Bienenhaus. Wir wurden täglich von bis zu 20 Sexarbeitenden aufgesucht. Eine Anlauf- und Beratungsstelle zu werden, das war unsere Vision und das haben wir seit der Corona-Pandemie auch geschafft. Allerdings ist es zweischneidiges Schwert: Denn wir müssen das personell und finanziell bewältigen können.

Gisler: Die Frage nach der Finanzierung wird uns noch weiter umtreiben. Wir finanzieren uns zu zwei Dritteln über Spenden. Es sind Spenden von Stiftungen, Institutionen, Kirchen und Privaten. Ein Wunsch von uns wäre es, dass der Verein mehr von der öffentlichen Hand finanziert wird. Oder dass uns durch andere Institutionen oder Stiftungen für einen längeren Zeitraum Geld zugesprochen würde, was uns Planungssicherheit geben würde.

Burkart: Und wir wollen zu der Fachstelle Sexarbeit Zentralschweiz werden. Der Verein Lisa ist in den letzten acht Jahren sehr gewachsen. In relativ kurzer Zeit entstanden verschiedene neue Projekte, wie beispielsweise ein niederschwelliges und kostengünstiges Gesundheitsangebot für Sexarbeitende oder es wurden Projekte an uns übergeben. All diese Angebote wollen wir nun verankern und etablieren.

«Es gibt im Raum Luzern kein Angebot für suchtbetroffene Sexarbeitende. Dort sehe ich eine Lücke.»

Eliane Burkart

zentralplus: Und wenn es um die Situation von Sexarbeiterinnen in Luzern geht: Wo sehen Sie den grössten Handlungsbedarf?

Burkart: Im Moment gibt es im Raum Luzern kein Angebot für suchtbetroffene Sexarbeitende. Dort sehe ich eine Lücke, die angegangen werden müsste.

zentralplus: Ist das denn in Luzern zunehmend ein Problem?

Burkart: Wenn man nicht hinschaut, dann nicht (lacht.) In den Beratungen wurde ich damit schon konfrontiert, teilweise vermuten wir eine Substanzabhängigkeit bei gewissen Sexarbeitenden. Kokain ist immer wieder ein Thema, gerade bei Sexarbeitenden, die in Indoorbetrieben mit Barbetrieb arbeiten. Es gibt Kunden, die mit Sexarbeitenden gerne zuerst ein Cüpli trinken. Um den Alkohol weniger zu spüren oder länger arbeiten zu können, gibt es Sexarbeitende, die deswegen Kokain konsumieren ... Manchmal ist es auch ein Wunsch von Kunden, gemeinsam Drogen zu konsumieren, weil dann der Sex intensiver empfunden werden kann.

zentralplus: Gibt es etwas, dass Sie an den Sexarbeitenden bewundern?

Gisler: Ich finde es faszinierend zu sehen, wie diese Menschen mit beiden Beinen auf dem Boden stehen. Wie sie ihren Humor behalten, auch in harzigen Zeiten. Und wie sehr sie auf ihre Familie und aufeinander schauen. Würde eine Frau länger nicht auf dem Strassenstrich zurückkehren, würden sie sofort reagieren.

Burkart: Ich habe immer den Satz im Kopf «Du musst positiv bleiben.» Sexarbeitende haben einen unglaublichen Lebensmut, den sie fast nie verlieren. Sie fokussieren sich auf das Gute. Es sind Stehaufmännchen und -frauchen. Viele der Sexarbeiterinnen sind Mütter. Ihre unendliche Liebe zu ihren Kindern zu spüren, berührt mich. Das ist etwas, das ich viel besser nachvollziehen kann, seit ich selber auch Mutter bin.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Martina Moser
    Martina Moser, 15.10.2021, 10:01 Uhr

    Sowas gibts auch nur hier. Es sind nicht Sexarbeiterinnen, die Sexarbeitende vertreten, sondern Sozialarbeiterinnen ohne Ahnung des Milieus. Ist etwa so wie wenn ein Banker die Bäcker vertritt.

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