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Josef Hochstrasser äussert sich immer wieder pointiert zur Kirche. Und erntet dafür nicht nur Lorbeeren.
(Bild: wia)Nein, nicht alle lieben Josef Hochstrasser. Dessen ist sich der ehemalige katholische Pfarrer auch bewusst. Der gebürtige Ebikoner wurde in den 80er-Jahren zum Priester geweiht, verliebte sich kurz darauf in eine Frau und musste einige Jahre später abtreten. Viele Jahre später rüttelt der mittlerweile 70-Jährige noch immer gern an den Grundmauern der Kirche.
Es sind über dreissig Jahre vergangen, seit Josef Hochstrasser, damals katholischer Priester, des Amtes enthoben wurde. Nach wie vor sorgt der Luzerner, der sich heute als Agnostiker bezeichnet, für Aufruhr in der Kirche. zentralplus hat den 70-jährigen mittlerweile reformierten Pfarrer zwischen zwei Terminen in Luzern auf ein Rivella getroffen.
zentralplus: Herr Hochstrasser, Ihr letztes Buch, das vor einem Jahr erschienen ist, trägt den Namen: «Die Kirche kann sich das Leben nehmen». Ich gehe schwer davon aus, dass Sie nicht von allen Menschen geliebt werden.
Josef Hochstrasser: Naja. Es gibt zwei grössere Gruppen. Zum einen die Kirchendistanzierten, die sehr interessiert sind an meinen Ansichten und an meiner Kritik gegenüber der Kirche. Diese Gruppe diskutiert gerne auf der Sachebene, was ich sehr begrüsse. Und dann gibt es die Religiösen, sprich, die Institutionellen, welche sich stark in den kirchlichen Hierarchien bewegen. Von ihnen werde ich kritisiert. Insbesondere von den Kirchenoberhäuptern werden meine Ansichten überhaupt nicht goutiert. Und wenn die überhaupt reagieren, sind die Reaktionen meist sehr aggressiv und überhaupt nicht sachlich. Das ist bedauerlich.
«Mich würde wundern, was passieren würde, wenn die Kirche nicht mehr so viel Geld hätte.»
Josef Hochstrasser, ehemaliger katholischer Priester
zentralplus: Man muss aber schon sagen, dass Sie mit Ihrer Kritik an den Grundmauern der Landeskirchen rütteln. So werfen Sie den Kirchen etwa vor, kein Feuer mehr zu haben, sich nicht um neue Mitglieder zu bemühen und leere Inhalte vor leeren Reihen zu predigen. Ausserdem wünschen Sie sich, dass die Kirche finanziell ärmer wird. Das ist provokant.
Hochstrasser: Ich bin für die klare Trennung von Kirche und Staat. Mich würde wundern, was passieren würde, wenn sie eben nicht mehr so viel Geld hätte. Ich bin der Ansicht, dass Christen nicht aus einer extrinsischen, sprich finanziellen Motivation heraus handeln sollten, sondern aus einer inneren Haltung. Dann wären nur noch die Leute dabei, die tatsächlich begeistert sind von Jesu Schaffen.
zentralplus: Und wie sähe das denn konkret aus?
Hochstrasser: Heute ist die Kirche sehr klar strukturiert und hierarchisiert. Der Pfarrer steht in der Hierarchie weiter oben als die Gläubigen. Entsprechend viel wird auch von ihm erwartet. Er soll es mit allen gut können, mit den Jungen, den Kranken, den Alten. Das ist ja gar nicht möglich. Viel eher sollte doch eine Kirchengemeinschaft so aufgebaut sein, dass jeder das leistet, was er oder sie gut kann. Der Pfarrer könnte darin die Rolle des Moderators einnehmen.
«Die Menschen haben eine Ursehnsucht nach einer Kirche.»
Josef Hochstrasser wurde 1947 in Ebikon geboren. Am Ende des Gymnasiums entschied er sich, katholischer Pfarrer zu werden. Die Priesterweihe erhielt er mit 26 Jahren. Kurz darauf verliebte er sich jedoch und heiratete. Acht Jahre später wurde er des Amtes enthoben. Später trat er aus der katholischen Kirche aus. Während knapp zwanzig Jahren unterrichtete der Luzerner an der Kantonsschule Zug das Fach Religion. Der mittlerweile reformierte Pfarrer hat ausserdem verschiedene kritische Bücher über die Kirche verfasst. Darunter «Der Kopfstand auf der Kirchenspitze», «Religion ist heilbar» sowie 2017 «Die Kirche kann sich das Leben nehmen». Weiter verfasste er eine Biografie über Ottmar Hitzfeld. Noch heute ist Hochstrasser mit seiner Frau zusammen.
Hochstrasser: Freikirchen sind in ihrer Struktur nicht unähnlich. Doch die Haltung ist dort eine andere. Wenn man in einer Freikirche ist und anders denkt, dann wird man ausgeschlossen. Ich plädiere für das Gegenteil: für einen offenen Wahrheitsfindungsprozess. Man muss selber einen Weg finden und dabei immer kommunikationsfähig bleiben. Die Kirche kann eine enorme emanzipatorische Kraft haben. Nach dem Attentat in Zug waren die Kirchen während drei Wochen voll. Das hätte so weitergezogen werden können. Die Menschen haben eine Ursehnsucht nach einer Kirche.
zentralplus: Sie sagten kürzlich in einem Interview, dass Sie sich eine Operation Libero für die Kirche wünschen. Wie meinen Sie das?
Hochstrasser: Dass jemand eine Bewegung starten würde mit dem Gedanken «jetzt isch gnueg Heu dunne», jetzt muss sich etwas ändern. Jemand, der überzeugt ist, dass wir aus diesem Bild des traurigen, dogmatischen Christentums ausbrechen müssen. Doch von einer solchen Bewegung sind wir noch weit entfernt.
zentralplus: Sie sind im luzernischen Ebikon aufgewachsen. War Ihre Kindheit sehr christlich geprägt?
Hochstrasser: Ich bin schon in einer katholischen Familie aufgewachsen, auch wenn diese nicht aussergewöhnlich religiös war.
zentralplus: Woher kam denn Ihr Wunsch, Pfarrer zu werden?
Hochstrasser: Vor der Matura stand ich vor der Entscheidung: Sportlehrer oder katholischer Priester. Ich war damals in der Jungwacht und wir hatten einen Vikar in Ebikon, der mich stark prägte. In erster Linie nahmen wir ihn nicht in seiner Funktion, sondern als Menschen wahr, mit dem man auch einmal ein Bier trinken und sogar über die Stränge schlagen konnte. Für mich hatte er eine grosse Vorbildfunktion und war letztlich auch ausschlaggebend für meinen Werdegang.
«Diese Verliebtheit damals kam wie ein Tsunami über mich.»
zentralplus: Die Priesterweihe erhielten Sie mit 26 Jahren. Wenig später jedoch passierte etwas Unverhofftes. Sie verliebten sich und heirateten diese Frau dann auch.
Hochstrasser: Ja, wirklich. Diese Verliebtheit damals kam wie ein Tsunami über mich.
zentralplus: Was passierte dann? Hatten Sie Schuldgefühle?
Hochstrasser: Ich habe damals in einer progressiven Pfarrei im Kanton Bern gearbeitet und war dort als katholischer Pfarrer in der Minderheit. Bei meinen Nachforschungen habe ich relativ bald herausgefunden, dass das Pflichtzölibat erst aus dem 12. Jahrhundert stammt und dass davor viele Pfarrer und gar Bischöfe verheiratet waren. Das Pflichtzölibat ist blanker Unsinn, ja sogar ethisch verwerflich und zudem war dieses auch nie im Sinne Jesu. Deshalb war ich mir keiner Schuld bewusst. Viel schwieriger war die Situation in meinem Umfeld.
zentralplus: Inwiefern?
Hochstrasser: Ebikon war damals ein Dorf. Und ich war ein angesehenes Mitglied der Gemeinde, war etwa auch in der Jugendarbeit engagiert. Dass ich als katholischer Priester heirate, machte natürlich bald Kunde. Und alle wussten natürlich, dass ich abserviert würde. Einige aus diesem Umfeld litten mit mir, andere unterstützten meine Entscheidung, wieder andere goutierten sie überhaupt nicht. So auch mein Vater.
(Bild: wia)
zentralplus: Wie äusserte sich das?
Hochstrasser: Er hat mir damals alle Schande gesagt und meine Frau verunglimpft. Hat ihr Briefe geschrieben und sie aufs Wüsteste beschimpft. Zum Glück habe ich eine sehr starke Frau geheiratet.
zentralplus: Wurden Sie nach Ihrer Hochzeit gleich von Ihrer Stelle entlassen?
Hochstrasser: Nein, es dauerte einige Jahre. Erst acht Jahre später wurde ich des Amtes enthoben.
zentralplus: Ich nehme an, das kam nicht überraschend?
Hochstrasser: Ich wusste, dass ich damit rechnen musste, hoffte aber stets, dass man mich in dieser Grauzone weiterarbeiten lassen würde. Und obwohl ich letztlich gefeuert wurde, muss ich dem damaligen Bischof ein Kränzchen winden, da er mich nicht sofort entliess.
«Ich wünsche mir, dass eine Gemeinde den Mut fassen würde, einen verheirateten Pfarrer anzustellen.»
zentralplus: Wissen Sie, was letztlich den Ausschlag für die Entlassung gab?
Hochstrasser: Ich habe 1985 bei einem Konzil für verheiratete Priester als Schweizer Delegierter teilgenommen und erschien diesbezüglich auch in der Schweizer «Tagesschau». Die Amtsenthebung erfolgte drei Monate später.
zentralplus: Nun kämpfen Sie quasi schon dreissig Jahre gegen das Zölibat in der katholischen Kirche. Dennoch ist die Situation für Priester noch unverändert. Ist das für Sie frustrierend?
Hochstrasser: Nein. Ich bin ja jetzt reformierter Pfarrer. Mir kann nichts mehr passieren. Das ist hervorragend. Doch wünsche ich mir, dass eine Gemeinde den Mut fassen würde, auch einen verheirateten Pfarrer anzustellen.
zentralplus: Hegen Sie einen Groll auf die katholische Kirche?
Hochstrasser: Es gibt Leute, die sagen, ich sei nur so pointiert, weil ich eben einen Groll hege. Das ist absoluter Quatsch und eine Unterstellung. Anfangs war ich wütend. Doch nach meinem ersten Buch Anfang der 90er-Jahre hatte sich die Wut ziemlich gelegt. Und stellen Sie sich vor, am 25. Februar, also 50 Jahre nachdem ich meine erste Predigt dort hielt, darf ich zusammen mit dem katholischen Gemeindeleiter wieder einen Gottesdienst abhalten in Ebikon. Das ist für mich sehr emotional.
zentralplus: Mittlerweile bezeichnen Sie sich als Agnostiker. Ist es überhaupt legitim, dass jemand, der die Möglichkeit anerkennt, dass es womöglich keinen Gott gibt, Gottesdienste abhält?
Hochstrasser: Tatsächlich hat man sich diese Frage auch bei der Kirchgemeinde Steinhausen gestellt, als ich mich vor neun Jahren zum ersten Mal als Agnostiker bezeichnete. Dort halte ich seit nunmehr 26 Jahren regelmässig Predigten. Die Causa Hochstrasser wurde also besprochen, der Kirchenrat entschied sich jedoch dafür, dass ich weiterhin predigen dürfe. Letztlich ist meine Haltung ja nichts als ehrlich.
zentralplus: Wieso?
Hochstrasser: Niemand kann abschliessend sagen, dass Gott nicht existiert. Oder dass es ihn gibt. Und ich hoffe auf dieses Phänomen. Und diese Hoffnung, die reicht. Ich würde mich sehr stark als Humanisten bezeichnen und das reicht, um die Welt zu gestalten. Auch wenn für mich als Pfarrer wichtig ist, dass ich eine gewisse Transzendenz in Betracht ziehe.
zentralplus: Sie sind ja nicht nur als Pfarrer tätig, sondern waren auch fast zwanzig Jahre lang an der Kantonsschule Zug als Religionslehrer angestellt. Welche Erfahrungen haben Sie dort gemacht?
Hochstrasser: Das war das Paradies. Ich konnte dort bei jungen Leuten das Interesse für wichtige Fragen wecken. Klar hatte ich einen Lehrplan zu befolgen, doch führte ich regelmässig sogenannte Weisheitsstunden durch, bei denen die Schüler alle Fragen stellen konnten, die sie beschäftigten. Der Unterricht war also induktiv, was viele als Bereicherung wahrnahmen. Noch heute bekomme ich viele Anfragen ehemaliger Schüler, die sich von mir trauen lassen möchten oder ihre Kinder von mir taufen lassen wollen.
zentralplus: Sie sind ein grosser Fussball-Aficionado. Wie passt Tschutten und Kirche zueinander?
Hochstrasser: Ich bin befreundet mit Ottmar Hitzfeld. Als dieser in den 90ern Borussia-Dortmund trainiert hat, war ich häufig dort. Und einer der Spieler sagte damals: «Für mich findet Kirche am Samstag beim Match statt.» Oder wie Erich Fromm es ausdrücken würde: Religion ist, was Menschen mit emotionaler Hingabe machen. Fussball erfüllt das. Auch gibt es einige Rituale und Symbole, welche dem Christentum nicht unähnlich sind. Der andächtige Einzug aufs Feld, der Kelch oder Pokal, der hochgehoben wird. Und wie die Religion, so kann auch Fussball eine Droge sein.
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