Expertin gibt Auskunft

Das bedeutet es, wenn der Chef suchtkrank ist

Jede zehnte Person in der Schweiz trinkt mindestens einmal täglich Alkohol. (Bild: Adobe Stock)

Die «Weltwoche» behauptet, der langjährige Zuger Sicherheitsdirektor Beat Villiger habe Suchtprobleme. Offiziell bestätigen will das niemand. Jedoch sind Suchtprobleme am Arbeitsplatz nicht gerade eine Seltenheit.

Überraschend ist der Zuger Sicherheitsdirektor Beat Villiger letzte Woche aus gesundheitlichen Gründen zurückgetreten (zentralplus berichtete). Kaum war der Rücktritt bekannt, veröffentlichte die «Weltwoche» einen Artikel mit happigen Vorwürfen. Villiger habe hohe Schulden und leide an Suchtproblemen, hiess es darin.

Die Zuger Regierung gibt kaum Auskunft. Zum Schutz von Villigers Privatsphäre, wie es heisst (zentralplus berichtete). Auch aus Politkreisen sind lediglich Genesungswünsche zu vernehmen. Villiger selbst verzichtet gegenüber der «Zuger Zeitung» auf eine Stellungnahme.

Ein Zehntel der Schweizer trinkt täglich

Ob an den Vorwürfen etwas dran ist oder nicht: Suchtprobleme sind in der Schweiz gar nicht so selten. Weit verbreitet sei insbesondere der Alkoholkonsum, wie Monique Portner-Helfer, Mediensprecherin von Sucht Schweiz, auf Anfrage sagt.

Gemäss Angaben des Bundesamts für Gesundheit trinkt jede fünfte Person in der Schweiz missbräuchlich. Also entweder zu oft oder regelmässig zu viel. Gut 11 Prozent der Schweizer trinken täglich. Fast fünf Prozent der Bevölkerung trinken «chronisch-risikoreich». Bei den Männern sind das etwa vier Stangen Bier, bei den Frauen zwei Stangen Bier pro Tag. «Solche Zahlen widerspiegeln einmal mehr: Alkohol als legale Substanz ist extrem verbreitet», so Portner-Helfer.

«Die Hemmschwelle, ein Suchtproblem anzusprechen, ist immer gross.»

Monique Portner-Helfer, Mediensprecherin von Sucht Schweiz

Treffen kann es jeden, unabhängig vom Geschlecht, der Bildung oder dem Beruf, so Portner-Helfer. In einer Studie zum Substanzkonsum am Arbeitsplatz gehen Experten davon aus, dass vermehrt Personen mit hohem Leistungsdruck, hoher Belastung und ungünstigen Arbeitszeiten Substanzen konsumieren. Alkohol wird dabei als Mittel zum Frust- oder Stressabbau genutzt.

Suchtprobleme zu erkennen ist schwierig

Von aussen ein Suchtproblem als solches zu erkennen sei nicht einfach: «Betroffene setzen häufig alles daran, ihre Probleme zu verbergen.» Noch immer sei Sucht ein Tabuthema, das bei Betroffenen Scham auslöse. Oft leugnen Personen mit Konsumproblemen deshalb das eigene problematische Verhalten.

Monique Portner-Helfer ist Mediensprecherin von Sucht Schweiz, einem Kompetenzzentrum zum Thema Sucht mit Sitz in Lausanne.
Monique Portner-Helfer ist Mediensprecherin von Sucht Schweiz, einem Kompetenzzentrum zum Thema Sucht mit Sitz in Lausanne. (Bild: Olivier Wavre)

Trotzdem könne es Anzeichen geben. So etwa, wenn die Betroffene nach Alkohol rieche. Oder häufig zu spät zur Arbeit komme – und wenn sie dann auftauche, übermüdet wirke. Am auffälligsten zeigen sich Suchtprobleme jedoch bei Verhaltensänderungen: «Suchtbetroffene kapseln sich mitunter ab. Der Konsum nimmt häufig einen so grossen Stellenwert ein, dass sie anderes vernachlässigen», sagt die Suchtexpertin. So etwa Hobbys oder Dinge, die ihnen vorher wichtig waren. Aber auch soziale Verpflichtungen und Beziehungen.

Wieso darüber sprechen wichtig ist

Doch auch wenn das Umfeld solche Veränderungen beobachte, werde häufig nicht eingegriffen: «Die Hemmschwelle, ein mögliches Suchtproblem anzusprechen, ist immer gross. Ungeachtet der Stellung der betroffenen Person.»

Oft geniere sich das berufliche, aber auch das private Umfeld, ein verändertes Verhalten oder das Problem anzusprechen. «Sie wollen sich nicht einmischen oder unbeliebt machen. Manche zweifeln auch an ihren Beobachtungen und denken, dass alles vielleicht nicht so schlimm sei.» Ist die betroffene Person dann noch die eigene Chefin, erscheint das Ansprechen wohl noch heikler.

«Das eigene Suchtproblem anzuerkennen ist ein sehr schwerer Prozess. Gerade beim Alkohol geht dieser meist über Jahre.»

Trotzdem appelliert die Suchtexpertin, besorgniserregendes Verhalten anzusprechen. Dafür gebe es mehrere gute Gründe. So etwa die Erhöhung der Arbeitssicherheit, Senkung versteckter Kosten, wenn der Betroffene beispielsweise häufiger krankheitsbedingt fehle. Aber auch für das Wohlbefinden der Mitarbeiter. «Wenn eine Person ihre Leistung nicht mehr erfüllt, sind die Mitarbeiterinnen oft sehr solidarisch und wollen helfen, indem sie ihr Arbeit abnehmen.» Das mag für eine kurze Zeit funktionieren, auf Dauer aber nicht.

Trotzdem sei es mehrheitlich das Umfeld, das solche Probleme anspreche und Hilfe hole, meint der Luzerner Suchtberater Ruedi Studer (zentralplus berichtete). Bis jemand von sich aus Hilfe hole, müsse der Leidensdruck sehr hoch sein.

So sprichst du das Problem an

Suchst du mit einer potenziell Suchtbetroffenen das Gespräch, gibt es einiges zu beachten. Auf keinen Fall solltest du mit der Tür ins Haus fallen. Bei einem Interventionsgespräch gehe es in erster Linie nicht darum, ein mögliches Alkoholproblem zu diskutieren, betont Portner-Helfer. Als Mitarbeiter oder Freundin hast du auch gar keine Kompetenz, jemanden zu diagnostizieren. Nur eine Fachperson könne feststellen, ob jemand ein Alkoholproblem habe.

Vielmehr solltest du den Fokus auf die Auswirkungen des Problems legen. Darauf, was du beobachtet hast. Etwa wenn du immer häufiger für die betroffene Person kompensieren musst. Oder wenn dir auffällt, dass die Person häufig unausgeruht zur Arbeit kommt. Wichtig sei, die Beobachtungen nicht als Vorwurf, sondern als «Ich-Botschaften» zu formulieren, so die Suchtexpertin. Also was du beobachtet hast und wie du dich dabei fühlst. Dass du dir Sorgen machst.

Als Chef oder Arbeitgeberin könntest du auch versuchen, gemeinsam mögliche Massnahmen gegen diese Probleme zu finden. So könne es sein, dass mögliche Suchtprobleme von sich aus zur Sprache kommen.

Portner-Helfer betont jedoch: Zu erwarten, dass Suchtbetroffene sich ein Problem direkt eingestehen, ist unrealistisch. «Das eigene Suchtproblem anzuerkennen ist ein sehr schwerer Prozess. Gerade beim Alkohol geht dieser meist über Jahre.» Wenn aber der Arbeitgeber oder eine Mitarbeiterin aufgrund schlechterer Leistung interveniert, könne dies ein wichtiger Anstoss sein, etwas zu verändern. «Mit dem Gespräch löst man zumindest aus, dass sich die betroffene Person mit ihrem Verhalten auseinandersetzt.»

Für mehr Tipps, wie du ein Gespräch gestalten könntest und wie du reagierst, findest du hier hilfreiche Videos.

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