Darum arbeitet die beste Betreuerin der Schweiz am liebsten mit Demenzkranken
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Selina Bühler ist Schweizermeisterin der Betreuungsfachpersonen. Die Pflege von demenzkranken Personen hat es ihr besonders angetan – sie will ihnen auf Augenhöhe begegnen.
Seit Selina Bühler denken kann, will sie Polizistin werden. Ausserdem hat sie als Verkäuferin, Floristin und Landschaftsgärtnerin geschnuppert. Doch am Zukunftstag vor ein paar Jahren begleitete sie ihre Grossmutter, die im Betagtenzentrum Linde in Grosswangen arbeitet. «Ich kam zur geschützten Wohngruppe mit den dementen Bewohnerinnen und Bewohnern und wusste sofort: Das ist es!», erinnert sich die heute 19-Jährige schmunzelnd. Nun hat sie die Schweizermeisterschaft der Betreuungsfachpersonen in St. Gallen gewonnen.
«Als Fachperson Betreuung (FaBe) kann ich mit Kindern zum Beispiel in einem Kinderheim, mit beeinträchtigten Menschen oder in einem Altersheim arbeiten. Zu meinen Aufgaben gehören auch pflegerische Arbeiten, aber der Fokus als FaBe liegt auf Gesprächen mit Bewohnerinnen und Bewohnern. Wir gehen spazieren, machen Spiele oder backen mit ihnen – am Samstag immer einen Zopf», erzählt sie.
Die Fachperson Gesundheit (FaGe) beschäftigt sich eher mit den medizinischen Aspekten, bei Selina Bühler steht jedoch die Psychologie im Zentrum: «FaGe wäre nichts für mich gewesen, ich hab ja schon selbst Angst vor Spritzen», sagt sie lachend.
«Eigene Welt der Wahrnehmung»
Mit demenzkranken Personen zu arbeiten ist nicht einfach, doch Selina Bühler ist gerade in dieser Abteilung in ihrem Element. «Sie leben in ihrer eigenen Welt der Wahrnehmung. Ich muss mich ihnen anpassen, damit wir auf Augenhöhe sind. Das ist schwierig. Aber gerade deshalb hat mir diese Arbeit gefallen: weil ich herausgefordert werde», beschreibt sie ihre Begeisterung.
Die 19-Jährige macht ein Beispiel: Ein Bewohner wollte kürzlich Skifahren gehen. «Dann habe ich ihn gefragt, ob er seine Skischuhe dabeihabe. Später bin ich mit ihm in den Garten und habe ihm gezeigt, dass es Sommer ist und es keinen Schnee hat. Dafür konnte ich mit ihm über das Skifahren sprechen und so gleich ein kleines Biografiegespräch durchführen», erklärt sie ihr Vorgehen.
«Ich habe gelernt, dass sterben nicht immer nur traurig ist.»
Selina Bühler
Nach dem ersten Schnuppern ging Selina Bühler davon aus, dass sie die Lehrstelle in Grosswangen erhält. Sie hatte zwar auch an anderen Orten geschnuppert, aber sie war sich so sicher, dass im Betagtenzentrum Linde ihr Platz ist. Doch schon zu Beginn ihrer Ausbildung hat sie das Team gebeten, ihr etwas Zeit zu geben, um den Umgang mit dem Thema Tod und Trauer zu lernen.
«Im ersten Lehrjahr war ich geschockt, als ein Bewohner sagte, dass er sterben wolle. Im dritten Lehrjahr war ich zum ersten Mal dabei, als jemand seinen letzten Atemzug tat, und hatte die Angehörigen begleitet. Dabei habe ich gelernt, dass sterben nicht immer nur traurig ist», sagt sie.
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Ausser dem Umgang mit dem Tod fallen Selina Bühler keine Herausforderungen in ihrem Beruf ein: «Ich habe grosse Freude an meiner Arbeit, darum fällt sie mir leicht. Nur, wenn ich gestresst bin und keine Zeit habe – das merken die dementen Bewohnerinnen und Bewohner, auch wenn ich es mir nicht anmerken lasse. Ich muss noch besser lernen, dieses Gefühl in mir drin abzustellen.» Dass ihr das noch nicht so gut gelingt, scheint aber kein wesentliches Problem zu sein. Denn Selina Bühler hat soeben die Schweizermeisterschaft der Betreuungsfachpersonen in St. Gallen gewonnen.
Stolze Familie
«Zur Zentralschweizer Vorausscheidung habe ich mich angemeldet, weil ich wusste, dass es eine gute Vorbereitung für die Lehrabschlussprüfung ist», verrät die Bauerntochter. Als Zweitplatzierte konnte sie automatisch an der Schweizermeisterschaft mitmachen.
Zuerst musste sie eine Präsentation über sich, das Betagtenzentrum und das Thema Autonomie halten. Danach löste und beruhigte sie drei Situationen mit Schauspieler, löste als Team einige Rätsel und bestritt am Ende noch ein Fachgespräch. Dabei wurde sie von Expertinnen und Experten beurteilt. «Ich wollte mit meiner Freunde an meinem Job punkten, so habe ich frei gesprochen. Das hat offenbar funktioniert, der Funke ist übergesprungen», so Selina Bühler lächelnd. Ihre elfjährigen Zwillingsbrüder waren nach dem Sieg überzeugt: Jetzt kämen die Medien.
Ihre Familie ist stolz auf ihre Berufswahl. «Und mein Beruf hilft mir auch privat, denn mein Grosi ist leider dement», bedauert sie. Ihre Professionalität und ihr Fachwissen hilft Selina Bühler, mit der Krankheit ihrer Grossmutter und der Familie umzugehen und sie in diesem schwierigen Prozess zu unterstützen. Damit sie das in Zukunft mit noch mehr Kompetenzen tun kann, bereitet sich die Steinhuserbergerin, bei der in der Freizeit immer etwas laufen muss, auf die Ausbildung zur Sozialpädagogin an der Höheren Fachschule vor. «Ich möchte unbedingt weiter mit demenzkranken Menschen arbeiten, mit noch vertiefterem psychologischen Wissen», sagt sie.
- Gespräch mit Selina Bühler
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