Einen Hund kaufen wie auf Zalando Kleider?

Corona-Pandemie führt in Luzern zu einem Welpen-Boom

Maria Sandén ist Hundetrainerin im Tierheim an der Ron – und steht der vermeintlich zunehmenden Tierliebe skeptisch gegenüber. (Bild: Marjana Emsmenger)

Die Hundeimporte nehmen schon seit längerer Zeit zu. Diesen Trend spürt auch das Tierheim an der Ron in Root. Die Reise der Tiere in die Schweiz endet oft tödlich – und bringt Tierärzte in die Bredouille.

Zugegeben, wer findet zwei kleine zweifarbige «Hunde-Äuglein» nicht total putzig? Gerade während dieser Home-Office-Zeiten täte ein Spaziergang an der frischen Luft mit einem Hund doch ganz gut. Mit diesen Gedanken befindet man oder frau sich seit einem Jahr schweizweit in guter Gesellschaft.

Jüngst berichtete der «Beobachter» darüber, welche Auswirkungen die Corona-Pandemie auf den Handel mit Hunden hat. Das Bild ist ernüchternd: Weil die Importe steigen, mussten Tierärzte in Zürich im Vergleich zu den Vorjahren deutlich mehr Hunde einschläfern.

Wenn's um Geld geht, endet die Tierliebe

Wenn Hunde über weite Strecken transportiert werden, ist das für sie eine grosse Belastung. «Deshalb sind sie häufig schwer krank. Zum Teil kommen sie im Koma bei uns an, sind nicht mehr ansprechbar, komplett unterzuckert oder haben eine Magen-Darm-Entzündung», wird Iris Reichler vom Zürcher Tierspital in dem Artikel zitiert. Teils sind die Behandlungskosten den Hundehaltern zu hoch – und sie möchten das Tier lieber einschläfern lassen.

Verständlich, dass sich bei diesen Worten die Augen der Luzerner Tierpflegerin und Hundetrainerin Maria Sandén mit Tränen füllen. Tierschutzorganisationen, Veterinäre und Veterinärdienste sind in der Bredouille, weil aus ethischer Sicht eine medizinisch nicht notwendige Tötung von Tieren strikt abzulehnen ist. Veterinäre sind zwar nicht verpflichtet, diese vorzunehmen. Nur tragen sie die Heilungskosten der Tiere oft selbst. Das sei aber nicht die Lösung des Problems, findet der Luzerner Kantonstierarzt Martin Brügger.

Lebensschutz für Tiere gibt es in der Schweiz nicht

Ob die Zahl der Einschläferungen aufgrund der Pandemie auch in Luzern ansteigt, kann Martin Brügger nicht sagen: «Obwohl die eidgenössische Tierschutzverordnung eine Reihe von Vorschriften enthält, die sicherstellt, dass die Tötung von Tieren möglichst schonend und fachgerecht erfolgen muss, einen allgemeinen Lebensschutz für Tiere kennt das Schweizer Tierschutzrecht nicht», erklärt er. Weil wegen der fehlenden rechtlichen Grundlage eine Einschläferung keiner triftiger und vernünftiger Gründe bedarf, wird dieses «Zalando-Phänomen» vermutlich auch in Zukunft eine Rolle spielen.

Maria Sandén arbeitet als Tierpflegerin und Hundetrainerin im Tierheim an der Ron in Root. Sie kennt diese Problematik ebenfalls. Parallel zu ihrer Anstellung ist sie auf Facebook für zahlreiche Hundevermittlungsseiten (mit-)zuständig. Vor allem auf dieser Social-Media-Plattform erkennt sie ein steigendes Bedürfnis dafür, Kleintiere wie Hunde oder Katzen zu adoptieren. «Das ist eigentlich nichts Schlechtes. Aber die Corona-Pandemie zeigt leider auch, dass viele Personen nicht geeignet sind, Hunde oder Katzen zu halten, weil sie nicht zusammenpassen», erklärt Sandén.

«Ein Knopfdruck hier, ein Wischen da und schon hat man bequem über Twint einen Hund bestellt.»

Maria Sandén, Tierpflegerin und Hundetrainerin

Sandén sieht in der Digitalisierung einen der Hauptgründe dafür, weshalb es vor allem in den letzten Monaten zu einem Welpen-Boom gekommen ist. «Heute werden Hunde, Katzen oder andere Kleintiere wie Kleider über Zalando ähnliche Websites vermittelt. Ein Knopfdruck hier, ein Wischen da und schon hat man bequem über Twint oder per Vorauskasse ein neues Familienmitglied gekauft», bemängelt Sandén. «Früher war die Anschaffung eines Hundes ein Prozess, der mit einer riesigen Vorfreude verbunden war. Oft war die ganze Familie in diesen Entscheid involviert», erzählt die Tierpflegerin von ihren Erfahrungen.

Per Mausklick zum «perfekten» Hund

Dieser Prozess ist nicht nur materialistischer, sondern auch unrealistischer geworden. Sandén spricht damit die Kosten an, die beim Kauf eines Hundes entstehen. Heute kostet ein «Hund mit Papieren» im Durchschnitt von 1‘800 bis 2‘500 Franken. Je nach Hunderasse auch etwas mehr. Neben den Kosten für die Anschaffung eines Hundes haben sich auch die Prozesse des Kennenlernens verändert.

Musste man früher monatelang auf einen Hund warten, weil Hündinnen in der Regel nur einmal im Jahr werfen, herrscht heute eine gewisse Ungeduld. Zeit, den richtigen Hund kennenzulernen, bleibt kaum. So gilt heute vielmehr die Regel: Hund bleibt Hund, egal welche Rasse man letztlich erhält.

Wenn Hunde wie Partner vermittelt werden

Dies führt gemäss Sandén dazu, dass Hundehalter negativ von ihrem eigenen Hund überrascht werden. Ähnlich wie Partnervermittlungs-Plattformen werben auch Hundevermittlungs-Websites mit den perfekten Eigenschaften des neuen Familienmitglieds. «Die künftigen Hundehalter werden dann überrascht, weil die Welpen noch gar keine Eigenschaften haben können. Wie denn auch? Sie wurden doch gerade erst geboren und müssen die Welt zuerst kennenlernen.»

Ähnlich wie beim Menschen ist bei Hunden das erste Jahr – was in etwa den ersten sechs Lebensjahren eines Menschen entspricht – für den weiteren Lebensverlauf prägend. Trennt man diese Welpen nach der zehnten Woche von ihren Familien, überrascht es nicht, dass sie zu Hause beim neuen Herrchen stundenlang vor sich hin heulen, das Sofa fressen, auf den Boden pinkeln oder die Pantoffeln zerbeissen.

«Auf solche Herausforderungen sind die Hundebesitzer aber nicht vorbereitet und bringen die Hunde in ein Tierheim», kritisiert Sandén. Daneben gebe es auch Hundehalter, welche die Tiere «sans papiers» einer Person aus dem nahen Umfeld weitergeben würden. «Dann sind die Menschen oft überrascht, dass das Tier gar keine anerkannten Papiere hat.»

Tiere «sans papiers»

Wenig Verständnis hat Sandén für Besitzer, die von den Kosten durch Registrierungen bei der Hundedatenbank, Krankheiten, Operationen, Impfungen oder Medikamente überrascht sind. «Oft sind die Papiere der Tiere ausserdem gefälscht oder entsprechen nicht den Vorschriften», erklärt die Hundeliebhaberin.

Auch die Tierpflegerin wurde bereits gefragt, ob ein Welpe, der bereits in der 10. Lebenswoche von seiner Mutter getrennt wurde, tatsächlich gegen Tollwut geimpft sein könne. «Ich habe dann geantwortet, dass das zeitlich nicht möglich sein kann, weil die Tollwutimpfung so auf der Reise hätte stattfinden müssen», so die Tierpflegerin. Oft sterben solche Tiere kurz nach der Reise, weil sie sich die Strapazen nicht gewohnt sind oder besonders anfällig auf Krankheitserreger sind.

«Personen, die sich wirklich für einen Hund interessieren, nehmen wir bei uns genau unter die Lupe», erklärt Sandén. Ab und zu besucht sie diese Menschen vorab mehrfach bei ihnen zu Hause, um festzustellen, ob eine Aufnahme überhaupt passen würde. Je intensiver dann der Kontakt im Voraus ist, desto weniger Aufwand haben die Tierpflegerinnen, nachdem ein Tier vermittelt wurde.

Auch das Tierheim an der Ron arbeitet in Kurzarbeit

Sandén hat ausserdem die Erfahrung gemacht, dass negative Eigenschaften des Hundes direkt und frühzeitig angesprochen werden müssen. «Das verhindert Überraschungen und wirkt sich auch auf den Hund positiv aus, wenn er das neue Zuhause nicht bereits nach wenigen Tagen wieder verlassen muss.» Anders als Tierärzte oder Veterinärdienste habe man im Tierheim bisher keine Einschläferungen vornehmen müssen. Im Vergleich zum Vorjahr habe sich zwar die Anzahl an registrierten Hunden leicht erhöht, diese liegt aber gemäss Veterinär Martin Brügger im Bereich der allgemein steigenden Tendenz in den Vorjahren.

«Was passiert mit diesen Hunden, wenn das Home-Office einmal endet und der Chef den Hund im Büro nicht akzeptiert?»

Maria Sandén, Tierpflegerin und Hundetrainerin

Der vermeintlich zunehmenden Tierliebe steht Sandén skeptisch gegenüber: «Was passiert mit diesen Hunden, wenn das Home-Office einmal endet und der Chef den Hund im Büro nicht akzeptiert? Dann kommt es oft zum Gang ins Tierheim, wie jenes an der Ron. Doch dieses Angebot ist nicht selbstverständlich. Die Finanzierung funktioniert hauptsächlich über Einnahmen von Feriengästen. Und diese fallen seit der Corona-Pandemie teilweise weg. In den letzten Monaten wurden so wenig Ferienhunde wie schon lange nicht mehr im Tierheim an der Ron beherbergt.

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4 Kommentare
  • Profilfoto von Ursula Hedinger
    Ursula Hedinger, 23.06.2021, 11:49 Uhr

    Die Corona-Pandemie führt nicht nur in Luzern zu einem Welpen-Boom, sondern in der gesamten Schweiz. Dies berichten zahlreiche Kleinanzeigen- und Gratisinserate-Portale.

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  • Profilfoto von Therese Hertli
    Therese Hertli, 04.04.2021, 10:49 Uhr

    Ich möchte einen Mittelgrossen Hund kaufen

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    • Profilfoto von Megge
      Megge, 04.04.2021, 20:30 Uhr

      Wir ebenfalls.
      Die Art wie seit einem Jahr mit Hunden gehandelt wird, die Kurzsichtigkeit mit welcher Hunde gekauft werden irritiert mich allerdings.
      Ich hatte seit 25 Jahren Hunde, bin derzeit aber zurückhaltend. Da bieten wir lieber in 6 Monaten einem nicht mehr erwünschten HomeOffice Hund eines egoistischen Menschen ein gutes Plätzchen und korrigieren die in der Erziehung des Tieres gemachten Fehler wieder.

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    • Profilfoto von Roli Greter
      Roli Greter, 04.04.2021, 21:51 Uhr

      Sie sollten einen Termin im Tierheim vereinbaren und sich viel Zeit lassen. Ihre Aussage widerspiegelt leider die Kernaussage dieses Beitrages; Mensch will etwas, das Tierwohl bleibt sekundär.

      Ganz wichtig: Hunde sind vollwertige Familienmitglieder, sie sollen IMMER als solche behandelt werden.

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