Zuger Sexologin im Interview

Caroline Fux, haben Feministinnen den besseren Sex?

Hat sich fast 10 Jahre lang den Fragen der «Blick»-Community gestellt: Caroline Fux. (Bild: Aissa Tripodi)

Sie hat mit ihrer Sexkolumne Tausende Fragen beantwortet. Nun macht sich die Zuger Psychologin und Sexologin Caroline Fux selbständig. Wir haben sie gefragt, als wie sexuell frei sie Frauen wahrnimmt – und wie sich das in den letzten Jahren gewandelt hat.

zentralplus: Caroline Fux, haben Feministinnen den besseren Sex?

Caroline Fux: Na, das ist mal eine Einstiegsfrage. (Sie lacht.) Ich sage einfach mal klar «Ja», um mit dem Versprechen von gutem Sex möglichst viele Leute für die Gleichberechtigungsbewegung zu begeistern. Aber dann müssen wir auch noch darüber reden, was Feminismus für mich überhaupt bedeutet.

zentralplus: Nämlich?

Fux: Für mich geht es beim Feminismus darum, dass wir eine Gesellschaft schaffen, in der alle Menschen erleben dürfen, dass wir bei aller Individualität mehr gemeinsam haben, als dass uns trennt. Und dass wir im Grunde genommen das gleiche wollen und suchen. Vielleicht brauchen wir aber ein neues Wort für die Bewegung, weil die Fronten ziemlich verhärtet sind.

zentralplus: Die sexuelle Selbstbestimmung der Frau sei eine Fata Morgana. Dies jedenfalls schreibt die Hamburger Psychologin Sandra Konrad in ihrem Buch «Das beherrschte Geschlecht». Die sexuelle Freiheit der Frau bestehe darin, das zu wollen, was der Mann will. Steht es so schlecht um die sexuelle Freiheit von Frauen?

Fux: Ich finde solche pauschalen Aussagen sehr heikel. Ich gebe Sandra Konrad insofern recht, als dass der Blick auf Sexualität und überhaupt auf ganz viele Gesellschaftsthemen sehr lange extrem männlich geprägt waren. So sehr, dass allfällige Verzerrungen gar niemandem aufgefallen sind. Wenn man das dann aber so auslegt, als ob keine Frau mehr wissen und spüren könnte, was ihr gut tut, dann finde ich das abwertend, gefährlich und auch einfach schlichtweg falsch.

Über Caroline Fux

Caroline Fux hat Psychologie, Psychopathologie und Linguistik studiert und ihren Master in Sexologie abgeschlossen. 10 Jahre lang beantwortete sie für den «Blick» unter dem Titel «Fux über Sex» Fragen zum Thema Liebe, Sex und Beziehungen. In der Sexratgeber-Kolumne hat Fux rund 2500 Fragen beantwortet – per Mail rund 8000. Der «Blick» hat den Sexratgeber Ende Juni eingestellt.

Nun macht sich Caroline Fux selbständig. Aktuell berät sie ausschliesslich virtuell: per Zoom, Mail oder Telefon. Die 40-Jährige wohnt mit ihrem Mann in Zug.

zentralplus: Seit 2012 haben Sie unter dem Titel «Fux über Sex» für den «Blick» Hunderte von Fragen zu Liebe, Sex und Beziehungen beantwortet – viele auch zum weiblichen Orgasmus. So fragte W(19) beispielsweise: «Bin ich sexuell blockiert?», W(24) fragte: «Wie kann ich vaginal kommen?», W(22) sagt: «Ich komme nie mit ihm.» Das zeigt ja, dass Frau sehr wohl auch kommen, Spass am Sex haben und auf eigene Bedürfnisse eingehen will.

Fux: Absolut. Es ist totaler Quatsch, dass Frauen prinzipiell kein Interesse und keine Freude am Sex haben. Die Frage ist: Für welchen Sex interessieren sie sich? Welche Art Sex lohnt sich für sie? Wir können hier nicht auf alle kritischen Punkte eingehen, aber ein zentrales Thema ist die sexuelle Lerngeschichte. Also die Summe aller Erfahrungen, die ein Mensch beim Entwickeln der eigenen Sexualität macht. Diese Lerngeschichte beginnt schon im Mutterleib und setzt sich ein Leben lang fort. Frauen haben oft schwierigere sexuelle Biografien als Männer.

«Ich habe viele Frauen in der Beratung, die überzeugt sind, nie Lust zu haben.»

zentralplus: Wie meinen Sie das?

Fux: Es ist beispielsweise ein Nachteil, dass wir Frauen unser Genital nicht richtig sehen. Wir müssen einen Spiegel in die Hand nehmen. Und selbst dann sehen wir nur die Vulva, den äusseren Teil. Die Vagina bleibt verborgen. 

zentralplus: Warum ist es wichtig, den Spiegel in die Hand zu nehmen?

Fux: Wenn die Sexualität erwacht, erkennen Buben und junge Männer im wahrsten Sinne des Wortes an einer Antenne, wie es gerade um ihre Erregung steht. Sie sehen direkt «Oh. Ich bin offenbar erregt». Frauen bekommen da viel weniger klare Signale vom Körper. Ich habe viele Frauen in der Beratung, die überzeugt sind, «nie» Lust zu haben. Dabei ist das Problem eher, dass sie erste Erregungszeichen nicht erkennen und deshalb nie gelernt haben, aktiv damit zu spielen. Damit hört es ja nicht auf. Auch beim Berühren müssen Frauen grössere Hürden überwinden. Der Schritt, ins Körperinnere zu fassen, ist viel grösser, als einfach nur das anzupacken, was ich vor mir sehe. Die Klitoris ist nicht nur deshalb der wichtigere oder der einzige Lustpunkt für Frauen, weil sie unendlich viel sensibler reagiert, als die Vagina. Es liegt auch darin, dass die Frauen in Bezug auf Stimulation im Körperinnern oft erst beim ersten Geschlechtsverkehr Erfahrungen sammeln. Für die grosse Lustexplosion ist das viel zu spät und viele geben dann schnell auf. Wenn ich mein Genital als Ganzes aber nicht kenne und nicht lustvoll in Besitz genommen habe, dann ist es viel schwieriger, damit Lust zu erleben.

zentralplus: Wie sexuell frei ist denn die Schweizer Frau?

Fux: Die Schweizer Frau gibt es als solche ja nicht. Man kann in unserem Land nah beieinander und doch in sehr verschiedenen Welten leben. Alles in allem steht die Schweiz nicht schlecht da. Ist alles perfekt? Um Himmels Willen, nein. Aber ich erlebe Schweizer Liebende als offen und partnerschaftlich. Die Leute wollen, dass es für alle stimmt. Das mag jetzt nicht reisserisch sexy klingen, aber es ist wichtig und etwas, auf dem man aufbauen kann.

zentralplus: Inwiefern tragen klassische Rollenbilder in Mainstream-Pornos – wie die unterwürfige Frau, die permanent für den Mann sexuell zur Verfügung steht – dazu bei, dass Frauen im Bett nicht das ausleben, was sie wollen? Oder vorherrschende Mythen und Halbwissen über die weibliche Lust?

Fux: In der Frage sind schon ganz viele zentrale Punkte oder eben Stolpersteine aufgezählt. Wenn ich auf der Suche nach Lust auf ungünstige Vorbilder, Halbwissen, Restriktionen und ähnliche Dinge stosse, dann ist es schwierig, Genuss zu erleben. Aber Sex, der nicht mit Genuss verbunden ist, lohnt sich nicht. Und was sich nicht lohnt, kippe ich früher oder später aus meinem Alltag.

«Im Schatten dieser Phänomene erlebe ich auch steigende Prüderie.»

zentralplus: Frauen, die gerne und oft Sex haben, werden schnell als Schlampen abgestempelt. Ist dies denn 2021 immer noch für Frauen, «die Bock haben», wie es Autorin Katja Lewina sagt, der Fall?

Fux: Da hat sich zum Glück viel getan. Gerade das Wort «Schlampe» haben sich viele Frauen zurückerobert und damit ein Zeichen gesetzt. Aber das Thema «zu viel Sex» ist damit nicht gegessen. Übrigens längst nicht nur, was Frauen angeht. Die Leute haben immer das Gefühl, wir würden in einer übersexualisierten Gesellschaft voller Freizügigkeit und Pornos leben, aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Im Schatten dieser Phänomene erlebe ich auch steigende Prüderie. Sex ja, aber bitteschön nur dann, wenn er clean, brav normiert und wohl dosiert abläuft. 

zentralplus: Inwiefern hat sich aus Ihrer Sicht die sexuelle Freiheit von Frauen in den letzten Jahren verändert?

Fux: Freiheit heisst für mich zu grossen Teilen Autonomie. Und die fängt in der Regel mit einem persönlichen Forschungsprojekt an. Weiss ich, was mir gefällt? Zu was sage ich Nein? Zu was Ja? Was möchte ich entdecken? Was hinter mir lassen? Habe ich ein faires, lustvolles Verhältnis zu meinem Körper? Das sind Fragen, die immer mehr Frauen wichtig sind. Diese Entwicklung freut mich enorm.

«Manchmal braucht es eine ‹Auskotz-Phase›.»

zentralplus: Inwiefern trägt Ihrer Meinung nach der «moderne Feminismus» dazu bei, dass Gleichstellung eben auch in den Schlafzimmern erreicht wird?

Fux: Es braucht diese Diskussion, die ganze Debatte. Keine Zweifel. Ich gebe aber offen zu, dass ich mit der aktuellen Tonalität in Bezug auf Geschlechterfragen auch Mühe habe. Mir kommen die Geschlechter manchmal vor, wie ein zerstrittenes Paar, das sich an die Gurgel geht. Mal beleidigt, mal rasend vor Wut, mal am Boden zerstört traurig. Und ich sitze als Fachperson davor und warte geduldig auf den Moment, wenn sich der Sturm wieder etwas gelegt hat und es wieder Raum fürs Hören, Erkennen und Anerkennen aller Beteiligten geht. Aber manchmal braucht es eine «Auskotz-Phase». Die grossen Fortschritte kommen aber oft erst danach.

zentralplus: Feministischer Sex: Wie geht der konkret?

Fux: Ganz ehrlich? Mich interessiert diese Frage nicht.

zentralplus: Warum denn nicht?

Fux: Weil sie sich um ein weiteres Patentrezept in Sachen Sex dreht. Als gäbe es die Sexualität, die für alle funktioniert. Am besten noch ohne Verfallsdatum für alle Ewigkeit. Aber so läuft der Hase einfach nicht. Guter Sex ergibt sich immer aus dem Zusammenspiel der Bedürfnissen und Kompetenzen aller Beteiligten. Vielleicht muss ich es so sagen: Mich interessiert es nicht, der Gesellschaft dabei zu helfen, «feministischen Sex» zu haben. Mich interessiert es, meine Klientinnen und Klienten hin zu ihren persönlichen Zielen zu begleiten. 

zentralplus: Und wenn das Ziel dennoch feministischer Sex bleibt?

Fux: Dann höre ich mir als erstes an, was sich die betreffende Person darunter vorstellt. Danach schauen wir, wie sich diese Person oder dieses Paar dieser Art von Sex annähern könnte.

zentralplus: Wie werden Frauen denn im Bett selbstbestimmter?

Fux: Indem sie sich auf eine Reise zum eigenen Selbst einlassen. Ich bin ganz fest davon überzeugt, dass jede Person einen unendlichen Reichtum an Glück und Güte in sich finden kann, wenn sie sich darauf einlässt, sich selbst zu spüren und gern zu haben. Für viele ist das kein Spaziergang an einem lauen Frühlingstag, sondern harte, manchmal schmerzliche Arbeit. Aber je näher ich meinem wahren Selbst komme, desto schwieriger wird es, Dinge zu tun oder mitzumachen, die mir nicht gut tun. Egal, ob sie nun von jemand anderem ausgehen oder von einem selbst.

Die Zuger Psychologin und Sexologin berät ausschliesslich virtuell. (Bild: Aissa Tripodi)
Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


2 Kommentare
  • Profilfoto von Gery Weber
    Gery Weber, 10.07.2021, 22:11 Uhr

    Warum dreht sich hier alles nur um Frauen und Feminismus? Gibt es keine Fragen an Frau Fux, die Männer auch betreffen? Ist auch eine Form der Diskriminierung…

    👍0Gefällt mir👏0Applaus🤔2Nachdenklich👎0Daumen runter
  • Profilfoto von Markus Zopfi
    Markus Zopfi, 10.07.2021, 09:44 Uhr

    Feminstinnen haben vielleicht deshalb so tollen Sex, weil er bei ihnen so selten ist 😉 Ausser vielleicht Solosex…

    👍0Gefällt mir👏0Applaus🤔2Nachdenklich👎0Daumen runter
Apple Store IconGoogle Play Store Icon