Neue Angebote an der Luzerner Hotelfachschule

Benimmkurse für den Kampf gegen die Wutbürger

Krawatte ist nicht zwingend nötig: Timo Albiez, stellvertretender Direktor der Luzerner Hotelfachschule. (Bild: hae)

Der Anstand wird zunehmend vermisst, eine neue Schamlosigkeit festgestellt. Dagegen bietet die Luzerner Hotelfachschule Crash-Kurse an. Auch für externe Firmen, Polizisten und Studenten – der Zulauf wird immer grösser. Vize-Direktor Timo Albiez über seinen Groll gegen Wutbürger.

zentralplus: Timo Albiez, was lehren Sie in Ihren Kursen?

Timo Albiez: Wir sensibilisieren die Teilnehmenden auf ein serviceorientiertes, achtsames Verhalten. Und zeigen auf, wie sie das Kundenerlebnis in den verschiedenen Arbeitsbereichen optimieren können. Es geht dabei auch um die kleinen Details.

zentralplus: Zum Beispiel?

Albiez: Beim Kauf eines exquisiten Autos ist es doch entscheidend, ob der Verkäufer sagt: «Das Auto kostet 160'000 Stutz.» Oder sagt er nicht doch besser: «160'000 Franken»? Oder bei einer Verspätung, sage ich da: «Sorry fürs Warten!» – oder nicht doch besser: «Entschuldigen Sie die Wartezeit.»

zentralplus: Kleine Details – grosser Unterschied in der Wirkung.

Albiez: In der Tat: Im Kundenkontakt lösen solche kleinen Finessen einen grossen Effekt aus.

zentralplus: Das heisst, Ihre Kunden sind bereits geschulte Menschen, bei denen das Bewusstsein für Benimmregeln schon gross ist?

Albiez: Ja. Aber man verliert dieses Bewusstsein häufig schnell, man ist am Wuseln im täglichen Arbeitsprozess. Und plötzlich kommt der Kunde – und dann sollte man switchen können. Das hat viel mit Achtsamkeit zu tun. Aber auch damit, dass ich mir über meine Wirkung bei der Kommunikation bewusst bin. Viele Unternehmen merken, dass ihre Kern-Dienstleistung austauschbar ist.

zentralplus: Das heisst, die Chefs fragen sich, wo sie einen Mehrwert leisten können?

Albiez: Genau, bei einem Eins-zu-Eins-Kontakt mit dem Kunden die Kompetenzen auszuspielen, in der Kommunikation noch besser zu sein.

«Der Kunde muss heute stärker umgarnt werden. Aber nicht anbiedernd.»

zentralplus: Wie lange gibt es diese Kurse schon?

Albiez: Seit fünf Jahren, Tendenz steigend. Es fing bei uns mit Autoverkäufern an, heute sind wir bei Bademeistern, Polizei, aber auch bei Lernenden. Es hat damit zu tun, dass der Kunde heute stärker umgarnt werden muss. Aber nicht anbiedernd. Der Kunde soll spüren: «Die sind happy, dass ich hierher komme.» Unsere Branche, die gehobene Gastronomie und Hotellerie, hat diese Zuvorkommenheit bereits intus, davon kann man viel mitnehmen.

zentralplus: Wie sind die Kurse aufgebaut?

Albiez: Wir starten mit Beispielen aus der Gastronomie, dann suchen wir die Analogien für die jeweilige Branche.

zentralplus: Zum Beispiel?

Albiez: Eine Übung ist das Tischdecken: Da gibt es ganz klare Regeln und Massstäbe, beispielsweise, dass das Messer einen Zentimeter von der Tischkante weg liegt; wie die Gläser zueinander stehen und so weiter. Diese Standards brauchen wir, damit alle wissen, wie es läuft und es keine grossen Diskussionen gibt. Man hat dann mehr Zeit und Energie für die Kundschaft. Wir betrachten auch den Serviceprozess – von der Begrüssung bis zur Verabschiedung. Dann stellen sich schnell Fragen, wie etwa bei einem Logistikunternehmen: Wird da die Türe aufgehalten, steht man auf hinter dem Pult, begleitet man den Kunden bei Regen mit einem Schirm zum Auto?

Standards brauchen wir: Servicepersonal kann diese Hinweise lesen. (Bild: zvg)

zentralplus: Wo liegen da die Unterschiede?

Albiez: Das ist genau die Frage: Den obligaten Kaffee mit Schöggeli und Mineralwasser erhalte ich nicht nur beim Luxus-Autohändler, sondern mittlerweile bei jeder Garage. Diese Service-Excellence oder Customer-Service-Experience entscheiden sich durch einen Schritt mehr. Und dort können wir diese Unternehmen beraten, trainieren und die Unterschiede herausschaffen.

zentralplus: Hier zeigt sich der Gentleman.

Albiez: Ja, aber: Bei der heute auch von Frauen propagierten «Gender Equality» ist es althergebracht, wenn ich als Herr der Dame beim Betreten des Restaurants die Türe aufhalte, sie durchlasse, in der Beiz überhole und dann die Gastgeberin mit der Reservation angehe. Oder wenn ich für die Dame das Essen mitbestelle …

zentralplus: … oder sie auf dem Fussgängerstreifen beschütze, indem ich neben der Strasse näher beim Verkehr gehe als sie?

Albiez: Das sind schöne Regeln, aber ob die noch Gültigkeit haben? Sie sind zweifellos oldschool. Aus dem Mantel helfen und ihn abnehmen, auf den Stuhl helfen, «Ladies first» – das sind gängige Muster, die haben nicht viel an Wichtigkeit eingebüsst. Damit fährt der Gentleman weiterhin gut. Ich glaube, es ist eine Grundhaltung, die zeigt, dass ich meiner Begleitung oder in unserem Kontext «meinen Kunden» Wertschätzung gebe.  

zentralplus: Wie sieht das bei den Jungen aus?

Albiez: Die Jugendlichen sind in gewissen Bereichen schon weit, die Schule bereitet sie vor allem im kommunikativen Verhalten gut vor. Im Business kommt die Führung meines Erachtens oft zu kurz. Vorgesetzte müssen das Verhalten vorleben. Denn wie sagt man: «Der Fisch stinkt vom Kopf her.» Wenn der Geschäftsführer keinen Benimm hat, wie soll es dann der Mitarbeiter haben?

zentralplus: Aber immer mehr dominieren Social Media unseren Alltag – und dort erfährt man viel Negatives.

Albiez: Der Wutbürger hat eine Plattform, auf der er sich anonym äussern kann. Das zeigt sich in der Gastronomie und Hotellerie beispielsweise auf Tripadvisor. Es gibt viele, die es seriös machen – aber immer auch die schwarzen Schafe. Wir unterrichten auch, wie man professionell mit solchen Situationen umgeht.

zentralplus: Wie denn?

Albiez: Es gibt unterschiedlichste Strategien – von Ignorieren bis Auf-alles-Antworten. Auf den News-Portalen gibt es jeweils Kommentare, bei denen sich mir die Haare sträuben. Manchmal habe ich da das Gefühl, das seien verbitterte Menschen, die den ganzen Tag nichts zu tun haben … Deshalb versuchen wir in der Gastronomie, wenn der Gast bei uns ist, möglichst viele positive Effekte zu generieren. Gar keine Angriffsfläche bieten – oder wir sagen: «Bitte sagen Sie uns, wenn Ihnen etwas nicht passt.»

«Viele junge Menschen weisen in den jeweiligen Situationen eine hohe Sozialkompetenz auf.»

zentralplus: Diverse ältere Menschen beklagen sich: Viele junge Menschen wüssten nicht mehr, was sich gehört. Stimmt das so?

Albiez: Das ist sehr pauschal ausgedrückt. Ich mache ganz andere Erfahrungen: dass gerade viele junge Menschen in den jeweiligen Situationen eine hohe Sozialkompetenz aufweisen. Nun gilt es, diese Kompetenzen im richtigen Moment, mit der passenden Sprache und den passenden Verhaltensweisen abzurufen.

zentralplus: Laisser-faire hält auch in den Firmen Einzug: Du oder Sie – was meinen Sie dazu?

Albiez: Das ist stark von der Unternehmenskultur abhängig und kann nicht pauschal beantwortet werden. Ich persönlich habe Mühe damit, wenn ich von einem Dienstleister direkt mit Du angesprochen werde.

zentralplus: Richtig schreiben scheint auch nicht mehr so wichtig zu sein, lernen doch die Kinder in der Schule heute, so zu schreiben, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Richtig?

Albiez: Wörter korrekt zu formulieren, Gedanken präzise auf den Punkt zu bringen und einen Sachverhalt verständlich darzulegen, das gehört zum Kommunikationsverständnis. Hier erachte ich es als eine Herausforderung, dies mit einer sehr schnellen Kommunikationsweise über die mobilen Geräte und den entsprechenden Apps in Einklang zu bringen.

zentralplus: Social Media fördern Bluff und Extrovertiertheit. Ist Bescheidenheit keine Tugend mehr?

Albiez: Die sozialen Medien bieten viele Chancen und Möglichkeiten in der Kommunikation. Es braucht eine Sensibilisierung über die Dos und Dont's und darüber, welche Fotos und Aussagen man postet. Ich erkenne jedoch auch einen Gegentrend, wo man sich eher auch wieder «bedeckter» auf den jeweiligen Medien äussert.

zentralplus: Apropos Tugenden: Welche sind wichtiger als früher – und welche sind heute bedeutungslos?

Albiez: Interkulturelle Kommunikation und ein interkulturelles Verständnis sind zentral, auch eine differenzierte Betrachtung von unterschiedlichen Gegebenheiten, ohne direkt eine Wertung vorzunehmen, ist wichtig. Ich bin mir aber auch sicher, dass die persönlichen Kontakte und ein ausgeprägtes Dienstleistungs-Verständnis in einem Umfeld, wo viele Aktivitäten digital ausgelagert werden, wichtig sind.

zentralplus: Pünktlichkeit, Verlass, Zuverlässigkeit sind also weiterhin wichtig?

Albiez: Absolut!

zentralplus: Aber alle haben ein Handy, und man kann doch immer kurz durchrufen und sagen, man sei verspätet. Erlaubt?

Albiez: Ganz klar – die schnelle Kommunikation erlaubt dies im Notfall.

zentralplus: Allerdings scheint im grossen weiten Netz die Verbindlichkeit verlorenzugehen: Muss ich auf eine Anfrage per Mail nicht innert 48 Stunden antworten?

Albiez: Ich bin der Meinung, dass eine E-Mail eine schnelle Reaktion erfordert – sei dies direkt schriftlich oder per Telefon. Ich bin auch überzeugt, dass man viel zu schnell E-Mails schreibt – auch ein Telefon würde manchmal passend sein. Dabei nimmt man das Gegenüber besser wahr und kann auch direkt auf Aussagen reagieren, einen Sachverhalt besprechen oder die Gefühlslage des Gegenübers wahrnehmen.

«Auftritt heisst aber nicht nur Kleidung, sondern auch das proaktive, achtsame Verhalten dem Kunden gegenüber.»

zentralplus: Wie wichtig ist denn im heutigen Geschäftsalltag die Auftrittskompetenz?

Albiez: Ein grosses und wichtiges Thema – Auftritt heisst aber nicht nur Kleidung, sondern auch das proaktive, achtsame Verhalten dem Kunden oder dem Dienstleister gegenüber.

zentralplus: Wie sieht es mit der Kleidung aus: Ist da auch eine Verluderung festzustellen?

Albiez: Überhaupt nicht. Klar, es gibt Modeerscheinungen, die man so oder so werten kann und die je nach Anlass nicht passend sind. 

zentralplus: Das Magazin «Vogue» sagte, Flipflops sind hip. Also kann ich jetzt damit zur Arbeit?

Albiez: Naja. Wir sagen, bei uns an der SHL gibt es einen Dresscode: Herren kommen in Anzug, die Damen im Business Dress – Rocklänge über dem Knie – mit geschlossenen Schuhen. Das ist ein gewisser Stil in der gehobenen Gastronomie. Runterbrechen kann ich es dann sehr schnell, wenn ich in ein hippes, junges und sehr progressives Unternehmen wechsle. Das alles hat mit einem gewissen Respekt zu tun, den kann ich durch gewisse Kleidung ausstrahlen.

Zur Person

Timo Albiez (42) ist an der Luzerner Hotelfachschule (SHL) verantwortlich für Kurse und konzipiert sie. Er war Sekundarlehrer, arbeitete in der Werbeindustrie in Baden, kam 2007 als Dozent für Marketing an die SHL. Seit 2015 ist er stellvertretender Direktor. Mit Frau und Kindern lebt er in Baden.

zentralplus: Wie sieht es mit der Krawatte aus – im Zuge des seit Langem bei den Banken eingeführten «Casual Fridays», bei dem man lockerer zur Arbeit kommt?

Albiez: Lange gehörte sie zum Dresscode bei uns. Vor einigen Jahren haben wir uns entschieden, es den Studierenden zu überlassen, ob Sie eine Krawatte tragen möchten. Interessant ist, dass viele Studierenden trotzdem eine Krawatte oder eine Fliege umbinden. Es zeigt sich, dass auch in verschiedenen Hotelbetrieben die Krawatte nicht mehr zum absoluten Muss gehört.

zentralplus: Das hat ja auch Auswirkungen auf die Gäste, oder?

Albiez: Genau, man will möglichst wenig Zwang ausüben. Der Gast soll nicht erzogen werden, in gewissen Hotels nur mit Krawatte kommen zu dürfen. 

zentralplus: Welches sind die grössten Klippen, die grössten Fauxpas?

Albiez: Wenn man mir als Kunden nicht das Gefühl gibt, dass man sich bewusst ist, dass ich seinen Lohn bezahle. Dann werde ich säuerlich. Beispiel Autoverkäufer: Die Person hinter dem Desk feilt sich die Nägel und fragt: «Was hätten Sie gerne?» Da fühle ich mich nicht wertgeschätzt.

zentralplus: Wie sieht es mit Ämtern aus?

Albiez: Da kann ich mich schon auch aufregen: Unlängst habe ich in Bern bei einem Amt angerufen. Die Person machte nicht den Eindruck, Spass daran zu haben, mich zu beraten. Er war schnodderig, genervt – das geht nicht! Mit meinen Steuern bezahle ich schliesslich seinen Lohn.

zentralplus: Es ist das Klischee vom faulen Beamten …

Albiez: … auch wenn das nur einer von 100 ist, der einen schlechten Tag hat – dennoch widerspiegelt der sein Unternehmen. Das muss man sich vor Augen halten: Jede Person steht auch für ihr Unternehmen und verkörpert dieses. Man muss diese Verantwortung wahrnehmen.

Da laufe ich doch wieder einmal über einen roten Teppich bei einem Verkaufsladen, vor mir zwei Mitarbeitende. Ich sehe einen Zigistummel und ein Fötzeli, nehme sie auf. Ich erwarte eigentlich, dass die Mitarbeitenden das tun. Dann gehe ich damit zur Rezeption und frage, wohin damit. Die Auskunft: «Dort hinten ist der Abfallkübel.» Anstatt mir das Aufgelesene abzunehmen. Und dort soll ich mein Portemonnaie leeren? 

zentralplus: Dann bin ich zum Abschluss höflich: Danke fürs Interview.

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