Warum derzeit wie wild gebaut wird

Bauboom um Luzern: «Die 10-Millionen-Schweiz ist wohl 2040 Tatsache»

Ist für die Entwicklung unserer Stadtregion verantwortlich: Armin Camenzind, Geschäftsführer von LuzernPlus. (Bild: bic)

Rund um die Stadt Luzern sind grosse Bauprojekte geplant oder werden bereits realisiert. Dass es in diesem Tempo vorangeht, hat aus Sicht von Armin Camenzind, Geschäftsführer des Entwicklungsträgers «LuzernPlus», einen Grund: Wir werden immer mehr Menschen. Das heisst gemäss Camenzind, dass künftig nicht mehr alle mit dem Auto unterwegs sein können.

In und um die Stadt Luzern wird seit einigen Jahren wie wild gebaut. Im ausklingenden Jahr führte diese Entwicklung vor allem in Kriens zu bösem Blut und spaltete die Bevölkerung. Aber auch in Ebikon wird seit ein paar Jahren immer wieder über die Bautätigkeit gestritten und abgestimmt. 2020 kam es sogar zu einer kleinen Politaffäre rund um den Urnengang zur Überbauung Sagenmatt (zentralplus berichtete).

zentralplus hat mit Armin Camenzind über die jüngsten Ereignisse gesprochen und erfahren, warum es in nächster Zeit wohl so weitergehen dürfte und was das für unsere Mobilität bedeutet.

zentralplus: Herr Camenzind, in der Agglomeration Luzern wird seit einiger Zeit gebaut und geplant, was das Zeug hält. 2020 war diesbezüglich ein besonderes Jahr. Von den Verantwortlichen wird gerne von notwendigem Wachstum gesprochen. Warum dieses Wachstum auf Teufel komm raus?

Armin Camenzind: Ich bezeichne das Gebiet rund um die Stadt Luzern lieber als «urbanen Raum». Damit möchten wir ausdrücken, dass das Gebiet über die Grenzen der Stadt Luzern hinaus einen städtischen Charakter hat und dementsprechend dieselben Themen, zum Beispiel innere Verdichtung, Klimaanpassung oder Verkehrsführung.

Zu Ihrer Frage: Wachstum hat positive und negative Nebeneffekte, das lässt sich nicht wegdiskutieren. Für die angestossenen Entwicklungen gibt es aber gute Gründe. Erstens haben wir eine Bevölkerungszunahme. Diese basiert auf der steigenden Lebenserwartung, immer mehr Geburten sowie der Zuwanderung. Die viel zitierte 10-Millionen-Schweiz ist nach heutigen Annahmen folglich wohl ungefähr im Jahr 2040 Tatsache. Aktuell leben in unserem Land 8,5 Millionen Menschen. Zweitens zwingt uns der Gesetzgeber, so zu planen.

«Das Schweizer Stimmvolk hat mehrfach an der Urne zum Ausdruck gebracht, dass wir als Land mit den Flächen haushälterisch umgehen und daher nicht mehr in die Breite wachsen wollen.»

zentralplus: Von welchen gesetzlichen Bestimmungen sprechen wir?

Camenzind: Das Schweizer Stimmvolk hat mehrfach an der Urne zum Ausdruck gebracht, dass wir als Land mit den Flächen haushälterisch umgehen und daher nicht mehr in die Breite wachsen wollen. Das deutliche Ja zum revidierten Raumplanungsgesetz 2014 ist dabei das wichtigste Verdikt. Später kam dann beispielsweise noch die Annahme der Zweitwohnungs-Initiative dazu. Auch auf kantonaler Ebene sind die Volksentscheide klar.

zentralplus: Was bedeutet das konkret?

Camenzind: Wir können die genannten Entwicklungen nicht negieren, sondern müssen sie so gut wie möglich in Lösungsansätze umformen. So ist beispielsweise die Verdichtung nach innen ein zentraler Grundsatz. Das heisst, wir bauen dort, wo es bereits Lebens- und Wohnraum gibt – auch Hochhäuser. So setzen wir den mehrfach geäusserten Volkswillen um, welcher der Zersiedlung einen Riegel schieben will.

Die kürzlich angenommene Überbauung Sagenmatt in Ebikon oder die Areale Schweighof und Mattenhof in Kriens können dabei übrigens als Paradebeispiele dienen, da sie keine zusätzlichen Flächen ausserhalb der Siedlungs- und Wirtschaftsräume beanspruchen.

zentralplus: Beim Mattenhof und beim Schweighof in Luzern Süd wurden Häuser dicht an dicht gebaut. Entstanden ist ein wenig belebter Stadtteil mit Erdgeschossen, die weitgehend leer stehen. Das kann doch nicht das Ziel sein.

Camenzind: Jedes neue Gebiet braucht eine gewisse Zeit, bis es von der Bevölkerung angenommen wird. Das ist normal und auch im Gebiet Mattenhof der Fall. Die Tatsache, dass dort aber immer mehr Leben einkehrt, zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Zudem planen wir für die Schweiz von morgen und reden deshalb von Zeiträumen von zehn bis zwanzig Jahren.

Noch sind die Ladenflächen im Mattenhof weitgehend leer. Dies soll sich in den kommenden Jahren ändern.

zentralplus: Man hat das Gefühl, dass sich die Menschen dessen zu wenig bewusst sind. Müssten Sie allenfalls besser kommunizieren?

Camenzind: Ich möchte hier niemandem zu nahe treten. Aber ich habe den Eindruck, dass man gewisse Botschaften vielleicht einfach nicht hören will. Wenn das Volk entscheidet, dass wir das Kulturland schützen sollen, hat das am Ende des Tages Konsequenzen. Man muss damit also eine weitere Verdichtung in Kauf nehmen. Aber letztlich ist es doch so: Auf dem eigenen Grundstück möchte jeder gerne verdichten, da man es selber ja nicht anschauen muss. Wenn es aber der Nachbar macht, dann stört man sich daran.

zentralplus: Das Projekt «Pilatus-Arena» beinhaltet eine Multifunktionshalle und zwei Wohntürme. Wieso braucht es gleich diese beiden parallelen Bauvorhaben? Damit lösen Sie ja nicht unbedingt die angesprochenen Probleme.

Camenzind: Die Multifunktionshalle entspricht einem Bedürfnis der Zentralschweiz. So verfügt die Region nun bald über eine Topinfrastruktur für Sport und für Veranstaltungen. Die Wohntürme helfen, dass die Halle querfinanziert werden kann, sodass die öffentliche Hand keine Beiträge an den Betrieb leisten muss.

Lassen Sie mich das Ganze noch in einem grösseren Kontext betrachten. Die Situation rund um Corona, so schlimm sie für uns alle ist, könnte dahingehend eine positive Wirkung haben, dass sich die Menschen wieder mehr dafür interessieren, was in ihrer Region so läuft. Auch deshalb, weil sie gar nicht weit weg gehen können, um etwas zu erleben.

Sie sind folglich froh, dass wir vor Ort verschiedene tolle Angebote haben, die den neuesten Trends und Standards genügen. Wir müssen also nicht nur das Wohnen, sondern auch die Nutzung nach innen verdichten. Um unsere Region weiterzubringen, brauchen wir darum solche Leuchtturmprojekte.

«Die Gemeinden sind gemäss dem Planungs- und Baugesetz des Kantons Luzern verpflichtet, die Raumplanung zusammen zu gestalten.»

zentralplus: Dieser Punkt war im Abstimmungskampf zur Pilatusarena einer der meistgenannten der Befürworter. Dabei stellt sich aber die Frage, ob dieses Zusammengehörigkeitsgefühl in den Köpfen der Menschen, die in und um die Stadt Luzern leben, überhaupt vorhanden ist.

Camenzind: Ich selber bin auch zehn Jahre nach der Fusion mit der Stadt Luzern immer noch Littauer. Ich glaube aber, dass sich der Mensch sowohl mit der Region als auch mit dem eigenen Quartier identifiziert. Ich denke, die Menschen, die nach Luzern Süd ziehen, tun dies wegen des Lebensraums und der vielfältigen Möglichkeiten. Sprich: Es geht dort um den Lebensraum als Ganzes.

«Deshalb planen wir unseren Lebensraum mit gut 200’000 Einwohnerinnen und Einwohnern.»

zentralplus: Können Sie das ausführen? Heisst das, dass für die weitere Entwicklung die einzelnen Gemeinden nicht so wichtig sind?

Camenzind: Die Gemeinden mit ihren demokratischen Strukturen sind weiterhin sehr wichtig. Die Raumplanung muss aber in grösseren, funktionalen Räumen und Lebensräumen denken, welche die Bedürfnisse der Menschen erfüllen sollen. Als Entwicklungsträger haben wir in erster Linie die Aufgabe, die betreffenden Gemeinden an einen Tisch zu bringen, damit sie das Gebiet gemeinsam weiterentwickeln. Denn die Gemeinden sind gemäss dem Planungs- und Baugesetz des Kantons Luzern verpflichtet, die Raumplanung gemeinsam zu gestalten. Es würde auch gar keinen Sinn ergeben, wenn jede Gemeinde für sich allein schauen würde.

zentralplus: Warum nicht?

Camenzind: Nehmen wir nur mal die Buslinien oder den Strassenverkehr. Beides macht nicht an den Gemeindegrenzen halt und der Autofahrer muss ja keine Gebühren bezahlen, wenn er beispielsweise von Ebikon in die Stadt Luzern fährt. Die Verkehrsplanung steht deshalb mustergültig dafür, dass man es nicht alleine machen kann. In der Region erlebe ich diesbezüglich eine positive Stimmung und ein gutes Miteinander.

zentralplus: Wenn ich Sie richtig verstehe, heisst das im Endeffekt, dass die Emmerin künftig in Luzern Süd Sport- und Freizeitangebote konsumiert und der Horwer nach Ebikon zum Einkaufen geht?

«Wir benötigen den Durchgangsbahnhof nicht nur, damit wir zehn Minuten schneller in Zürich sind.»

Camenzind: Wir müssen uns einfach die hiesigen Relationen anschauen. Die deutsche Hauptstadt Berlin hat eine Ausdehnung von mehr als 30 Kilometern. Dort überlegt sich niemand, ob er am Abend ein Konzert besuchen will, nur weil es fünf Kilometer entfernt in einem anderen Stadtteil stattfindet. Man setzt sich einfach in die S- oder die U-Bahn und besucht das Konzert.

Es geht also wie gesagt um die Funktionen, die ein Raum für die Menschen erfüllen kann. Wir sind als Region zu klein, als dass jede Gemeinde ein eigenes Hallenbad oder eine Mehrzwecksporthalle bauen und betreiben kann. Deshalb planen wir unseren Lebensraum mit gut 200’000 Einwohnerinnen und Einwohnern.

zentralplus: Sie haben es angesprochen: Damit dieser Lebensraum als solcher wahrgenommen werden kann, ist er auf ein funktionierendes Verkehrs- und insbesondere öV-System angewiesen. Kann unsere Region das bieten?

Camenzind: Das entscheidende Puzzleteil für die Zukunft ist der Durchgangsbahnhof Luzern. Es ist also wichtig, dass wir alle zusammen alles daran setzen, dass dieser realisiert wird. Das heisst auch alle Exekutiven und Legislativen in unserer Stadtregion. Von Horw bis Dierikon und von Kriens bis Rothenburg. Darum dürfen wir bis dahin keine anderen Projekte wie eine Metro lancieren, die letztlich Mittel verschlingen, die wir für den Durchgangsbahnhof brauchen.

Wir benötigen diesen nicht nur, damit wir zehn Minuten schneller in Zürich sind. Sondern auch, weil es einzig mit den neuen Kapazitäten des Durchgangsbahnhofs möglich wird, das regionale S-Bahn-System weiter auszubauen. Und wenn wir das schaffen, bin ich künftig in 15 Minuten vom Bahnhof Ebikon in Kriens Mattenhof. So kann der Volleyballclub Ebikon problemlos in der topmodernen Pilatus-Arena spielen und trainieren.

«Das heisst auch, dass Busbevorzugungen konsequent umgesetzt werden sollten.»

zentralplus: Zudem liesse sich der Verkehr vom Auto auf den öV verlagern.

Camenzind: Selbstverständlich. Wir müssen die Strassen für den Wirtschaftsverkehr freischaufeln: für jene also, die eine Waschmaschine montieren oder als Kaminfeger ihrer Arbeit nachgehen müssen. Jene, die den öV nutzen können, sollen dies nach Möglichkeit tun. Das heisst auch, dass Busbevorzugungen konsequent umgesetzt werden sollten. Damit ermöglichen wir ein attraktives öV-Netz in unserer Region.

Über LuzernPlus

LuzernPlus ist der anerkannte regionale Entwicklungsträger in der Region Luzern und koordiniert als Gemeindeverband gemeindeübergreifende Themen. Finanziert wird LuzernPlus massgeblich von den 23 Mitgliedsgemeinden. Zudem erfüllt er Leistungsaufträge des Kantons Luzern.

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7 Kommentare
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    stofe, 04.01.2021, 11:04 Uhr

    Unglaublich wie geschult Herr Camezind die Meinung des Normalbürgers zur Seite stellt. Es wird weiter zubetoniert, egal ob wir uns wehren oder nicht. Diese Visionen vom steten Wachstum werden nicht gut enden.
    Schon gemerkt, Herr Camezind, dass es jetzt schon überall
    Pumpenvoll ist, weil die Schweizer nicht verreisen können?
    Unsere Jungen haben dann später in den Betonwüsten keine Chance, eine bezahlbare Wohnung zu finden.

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  • Profilfoto von Rudolf
    Rudolf, 04.01.2021, 05:38 Uhr

    Die Zuwanderung erfolgt, so lange in der Schweiz die Wirtschaft blüht. Inzwischen ist die Schweiz die Metropole mit weltweit am meisten Grünanteil. Die Bevölkerung wird erst abnehmen, wenn eine Krise eintritt.

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    Silvan Studer, 03.01.2021, 17:13 Uhr

    Warum lacht Herr Camenzind auf dem Bild so? Das Thema ist nun wirklich nicht zum Lachen.
    Begrenzt endlich die Zuwanderung, sonst werden die Probleme immer grösser und wir müssen uns immer mehr «schnallt die Gürtel enger» Propaganda anhören.
    Was soll das? Wer will das?

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  • Profilfoto von Luc Bamert
    Luc Bamert, 03.01.2021, 14:14 Uhr

    Man lässt jahrzehntelang jeden und jede einwandern, und weils logischerweise immer enger wird, verbannt man das gemeine Volk in Hochhäuser und verbietet ihm das Autofahren. Die Verdichtungsprediger natürlich ausgenommen. Eine Mehrheit der Schweizer, die noch zur Urne gehen, fîndet das toll.
    Die im Interview behaupteten Trends bestehen den Realitätscheck übrigens nicht: Die Bewegung geht vom urbanen (inkl. Agglo) in den ländlichen Raum, viele stimmen eben mit den Füssen ab. Deshalb und wegen der Digitalisierung mit Onlinehandel und Home-Office braucht es immer weniger Ladenflächen in Städten. Man wird sich an noch mehr leerestehende Laden-, Büro- und Restaurantflächen gewöhnen müssen. Der Preis dafür wird hoch sein.

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  • Profilfoto von Kurt Flury
    Kurt Flury, 03.01.2021, 13:03 Uhr

    Die Regierung könnt auch einfach den verfassungsmässigen Auftrag aus der angenommenen Masseneinwanderungsinitiative umsetzten. Dann werden solche Diskussionen nullkommaplötzlich überflüssig, und wir haben erst noch den Frieden.

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    • Profilfoto von Irene Aebi
      Irene Aebi, 03.01.2021, 13:26 Uhr

      Meines Wissens hat das Volk die Begrenzungsinitiative klar abgelehnt und war mit der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative mehrheitlich zufrieden. Sie dürfen aber jederzeit eine neue Initiative starten.

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    • Profilfoto von Philipp Meier
      Philipp Meier, 03.01.2021, 15:16 Uhr

      Irene Aebi: Die Masseneinwanderungsinitiative wurde in keinster weise umgesetzt. Und die Einzigen die mit der Umsetzung zufrieden sind, sind diejenigen die sie abgelehnt hatten. Was die Politik mit dem Volkswillen machte ist eine Schande!

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