Eigentlich hätte er Kondukteur werden sollen. Stattdessen ging es als Fernfahrer quer durch den Orient. Rudi Schacher ist stets auf Achse. Inzwischen hat der rastlose Tausendsassa mehr als 70 Länder bereist – und dabei ganz verrückte Sachen erlebt.
Der Motor schnurrt. Es riecht nach Pommes frites. Eine Katze schleicht um den alten Mercedes herum, schnuppert am Auspuff. «Schon eine glatte Sache, dieses Auto», lacht Rudi Schacher, während er mit seiner Hand über den inzwischen matten Lack fährt.
Ein Auto – viele Geschichten
Sein 81er-Mercedes mit gelb lackierten Felgen und Streifen springt einem sofort ins Auge. Die Rostflecken fallen auf zwischen all den modernen und teils luxuriösen Fahrzeugen auf dem Parkplatz im beschaulich gelegenen Kastanienbaum bei Horw. Den alten Kombi hat Schacher vor Jahren so umgerüstet, dass er mit Speiseölresten läuft.
Der 54-jährige Luzerner bittet sogleich zur Testfahrt. «Los, wir drehen eine Runde», sagt er und reicht die Hand. «Ich bin übrigens Rudi.» Ruedi wolle er nicht genannten werden, die englische Form gefalle ihm besser. «Aber bitte mit ‹i›. Den gibt’s gemäss Google nur einmal.» Schacher mag es weltmännisch. Unterwegs beginnt er zu erzählen.
«Ich führe ein unstetes Leben, bin immer auf Trab, mal hier, mal dort.»
Rudi Schacher, Lebenskünstler und Fernfahrer aus Leidenschaft
In Zürich geboren, verbrachte Schacher seine ersten Lebensjahre auf dem Zürcher Horgenberg. Später habe die Familie dann einen Bauernhof in Gisikon-Root übernommen. Dort lebt Schacher noch heute – bei seiner Mutter. Eine eigene, feste Adresse habe er nicht. «Ich führe ein unstetes Leben, bin immer auf Trab, mal hier, mal dort.»
Nach Lehrabbruch in den Irak
Schon früh zog es den kleinen Ruedi in die weite Welt hinaus. «Mir wurde es schon in der Lehre zu eng», erzählt Schacher. Mit 16 Jahren hat er dem Lehrmeister und den SBB den Rücken gekehrt. Der Entscheid sei ihm leichtgefallen. «Anstatt ein Leben lang Billette zu knipsen, wollte ich das Steuer lieber selbst in die Hand nehmen.» Ein Leben auf der geraden Schiene habe er nie führen wollen.
Lastkraftwagen haben Schacher schon immer fasziniert, speziell die schweren Fernlastzüge. Nach dem schnellen Ende bei der Bahn fuhr er 1980 mit einem Kollegen in den Irak nach Basra. Da hat es den jungen Mann gepackt. «Noch nicht mal 20-jährig, habe ich 40-Tönner durch den Orient gesteuert – und das ohne entsprechenden Führerschein.»
Als Fernfahrer hat ihn die Orient-Route später unter anderem auch nach Teheran, Bagdad, über Burma, Bali bis nach Australien geführt. Da sei es schon mal «drunter und drüber» gegangen. Richtig kritisch wurde es im Iran. «Banditen, Bullen, Bakschisch», fasst Schacher seine Abenteuer im Nahen und Mittleren Osten zusammen.
«Hilfe war da draussen keine zu erwarten.»
Überfälle auf den Transporter, korrupte Polizisten, haufenweise Schmiergeld – ja, das sei eine spannende Zeit gewesen, da habe er so einiges erlebt. «100 Kilometer vor der iranischen Grenze verlor ich die Doppelbereifung», erzählt Schacher. Die eine Million Franken teure und notabene fällige Fracht, alles Zigaretten, steckte «mitten im Nirgendwo» fest. Hilfe sei «da draussen» nur schwierig zu finden gewesen, «schliesslich gab es damals noch keine Mobiltelefone». Das sei die grösste Panne seines Lebens gewesen. «Ich brauchte fünf Tage und Nächte, um den Laster wieder flott zu kriegen.»
Zu allem Übel habe es sich auch noch um Bandengebiet gehandelt, fährt Schacher fort. «Von der Polizei war in dieser Gegend keine Hilfe zu erwarten. Wir mussten zu unserem Schutz schliesslich die Armee aufbieten – gegen ein entsprechendes Trinkgeld natürlich.»
Einer, der anpackt
Zwischendurch musste sich der Schweizer Bauernbub unterwegs immer mal wieder durchschlagen – auch neben der Strasse. «Nicht immer lief alles nach Plan.» Schacher verdiente seine Brötchen nebst als Lastwagenfahrer unter anderem als Bäcker, Masseur, Koch, Raumpfleger, Holzfäller oder Landschaftsgärtner. Er sei eben einer, der anpackt. «Ein echter Handyman.» Und so hat der einstige Lehrabbrecher dann «schlussendlich mit Learning by Doing mehr gelernt als in der Schule».
«Ich wollte nie ein langweiliges, gewöhnliches Leben führen.»
Momentan tourt Schacher als Nachtwächter durch die Gegend. Die Arbeit am International Management Institute IMI in Kastanienbaum, einer privaten Hotelfachschule, sei sehr vielfältig und spannend. «Hier bin ich vieles: Aufpasser, Zuhörer, Bezugsperson, Sozialarbeiter, alles in einem.» Besonders schätze er den Austausch mit den Studenten, die aus allen Ecken der Erde kommen würden.
Lastwagenfahrer aus Leidenschaft
Wer aber meint, hier habe einer seine Berufung gefunden, der irrt. So sehr Schacher die Arbeit im Multi-Kulti-Umfeld gefällt – es zieht ihn weiter. «Meine Welt ist die Strasse, der Weg mein Ziel», sagt Schacher, der «schon immer lieber fremde Länder bereiste, als Karriere zu machen». Inzwischen hat er mehr als 70 Länder bereist, die meisten davon mit dem Lastwagen und dem Auto. Seine Abenteuer auf und neben der Strasse wolle er «dann irgendwann einmal als Buch herausgeben».
Schacher gerät ins Schwärmen. Wenn er auf der Strasse unterwegs sei, werde das Fahrzeug zu einem Teil von ihm. «Dann bin ich in meinem Element.» Lange Routen schrecken den Fernfahrer aus Leidenschaft nicht ab, ganz im Gegenteil. «Nach 500 Kilometern bin ich erst richtig warm.»
Damit meint Schacher vor allem seine Touren als Fernfahrer mit bis zu 70 Tonnen schweren und dutzende Meter langen Lastzügen, sogenannten Gigalinern oder Road Trains. «Damit bist du der König der Strasse, einfach ohne Krone», schmunzelt Rudi.
Vom Nordkap bis nach Sidney
Die längste Route seines Lebens hat Schacher 2007 und 2008 zurückgelegt: Mit seinem 34-jährigen Mercedes T-Modell ist Schacher vom Nordkap bis nach Sidney gefahren. Die Idee dazu sei ihm in den 80er-Jahren gekommen, als Schacher während einiger Jahre im australischen Bondi Beach «am vielleicht schönsten Strand der Erde» lebte.
«Nach 500 Kilometern bin ich erst richtig warm.»
Mit fünf Gängen ist er losgefahren, mit vier angekommen. Das gehöre halt dazu. «Ohne Pannen ist das Abenteuer nur halb so gut.» Trotzdem habe ihm «die alte Kiste» gute Dienste geleistet. Dank der Umrüstung auf Speiseöl benötigte Schacher für die 40’000 Kilometer lange Reise keinen einzigen Tropfen teuren Diesel. «Das war nicht nur preiswert, sondern auch sehr ökologisch», freut sich Schacher.
Statt Tankstellen fuhr Schacher unterwegs Restaurants und Imbissbuden an. «Manchmal habe ich auch Inserate in Zeitungen geschaltet.» Australien hat es Schacher besonders angetan. Seit 1997 besitzt er sogar die doppelte Staatsbürgerschaft. Nicht zuletzt deshalb prangt an seinem Mercedes auf zwei Aussie-Nummernschildern «Dundee rides again».
Fahren für einen guten Zweck
Auch heute noch sammelt Schacher regelmässig Frittieröl ein. «Ihr Frittieröl – mein Treibstoff» steht auf der Visitenkarte, die Schacher einem stolz entgegen hält. Ein paar Adressen würden heute allerdings für den Bedarf reichen, meint er lächelnd.
Existenzängste hat Schacher keine. «Ich bin gut in dem, was ich mache». Welche Tätigkeit er auch immer ausübe, er gebe immer alles. Und sei deshalb ein gern gesehener Arbeitnehmer. «Diese Flexibilität gibt mir Freiheit.» Die brauche er auch, denn das Fernweh sei sein ständiger Begleiter, sagt Schacher. «Ich wollte nie ein langweiliges, gewöhnliches Leben führen. Egal, was die andern sagen.»
«Mein Zuhause ist auf Rädern.»
Entwurzelt fühlt sich Schacher nicht. «Mein Zuhause ist auf Rädern, das Reisen ist Lebenserfahrung.» Auch eine berufliche Karriere hat er nie vermisst. «Ein Leben im Büro wäre mir zu langweilig.» Er bilde sich auf andere Art weiter. «Mit jeder Reise wird mein persönlicher Horizont grösser», sagt Schacher. Nicht nur an Erfahrungen sei er in dieser Zeit gewachsen, sondern vor allem auch menschlich.
«Auf meinen Reisen habe ich viel Leid und Armut erlebt», erzählt Schacher denn auch etwas nachdenklich. Mit seiner grossen Fahrt von Nord gen Süd habe er Geld für Hilfswerke in Osteuropa sammeln können. Dort hat Schacher selbst während einiger Zeit Hilfsgütertransporte ausgefahren.
Stillstand ist keine Option
Und was kommt jetzt? «Mit dem LKW will ich durch Alaska, Kanada und die USA. Danach wäre ich als Fernfahrer auf vier Kontinenten gefahren.» Auch eine weitere grosse Autoreise plant Rudi. «Die Panamericana. Von Alaska bis nach Feuerland. Und ebenfalls mit Frittieröl.» Allerdings mit einem neuen Wagen. Den habe er bereits gefunden. «Gleiches Modell, gleicher Jahrgang», als Ersatz für den bisherigen. «Der macht es nicht mehr lange.»
Der Umbau des neuen steht bevor. Wann es losgeht, ist allerdings noch ungewiss. Offen ist auch, ob der kinderlose Single die Reise dereinst alleine antritt. «So eine Hochzeitsreise mit einer tollen Ehefrau, das wäre schon was.» Sicher aber ist: «Ich will nie in den Tramp geraten, immer etwas erleben». Stillstand sei nicht sein Ding. Rudi lächelt. Notfalls könne er ja auch noch Diesel tanken.
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