Das ist dran an den Geschlechter-Klischees

Autofahren: Frauen sind mies, Männer ticken völlig aus

Frauen sind schlecht im Parkieren – oder etwa nicht? (Bild: Symbolbild: Adobe Stock)

Wenn es ums Autofahren geht, so halten sich Klischees über die Geschlechter hartnäckig. Doch was ist daran wirklich wahr? Wir haben die gängigsten Klischees einem Faktencheck unterzogen.

Frauen sind mies im Einparken, Männer ticken aus und motzen mit dicken Karren ihr Selbstwertgefühl auf: Diese und ähnliche Klischees, wie sich die Geschlechter hinter dem Steuer verhalten, halten sich hartnäckig. Doch was ist wirklich dran?

Wir haben fünf gängige Klischees unter die Lupe genommen, Statistiken durchforstet und einen Verkehrspsychologen um eine Einschätzung gebeten.

Klischee Nummer 1: Der typische Raser ist männlich

Eine junge Frau bretterte in einer Sommernacht 2018 mit 200 km/h von Kriens nach Zug. Ihr ging es darum, «die Kraft des Motors zu spüren», gab sie zu Protokoll. Deswegen wurde sie kürzlich vom Luzerner Kriminalgericht verurteilt (zentralplus berichtete).

Raserinnen sind eher eine Seltenheit. Das untermauern auch Zahlen: Bei gerade mal 11 der 422 Raserdelikte, die 2020 schweizweit registriert wurden, sass eine Frau am Steuer.

«Raser, die Freude am schnellen und rücksichtslosen Fahren haben, die ‹Sau› rauslassen wollen, sind eine massive Minderheit.»

Lorenz Imbach, Verkehrspsychologe

«Es liegt teilweise in der Natur der Sache, dass Männer deutlich häufiger Raserdelikte begehen als Frauen», sagt Lorenz Imbach dazu. Er ist Psychotherapeut und therapiert in seiner Praxis in Luzern seit bald zehn Jahren Autofahrer, die wegen eines Verkehrsdelikts ihren Fahrausweis abgeben mussten. Seit rund 20 Jahren führt er zudem verkehrspsychologische Kurse durch.

Doch warum rasen Männer eher als Frauen? «Raser, die Freude am schnellen und rücksichtslosen Fahren haben, die ‹Sau› rauslassen, sich mit anderen messen und sich dabei lediglich ein gutes Gefühl verschaffen wollen, sind eine massive Minderheit», sagt Imbach. Vielmehr sieht er die Gründe in verhärteten Rollenbildern. Also gesellschaftliche Erwartungen, wie sich ein Mann verhalten sollte, die sozial, aber auch historisch gewachsen sind. «Der Mann gilt seit jeher als der Kräftige, der keine Schwäche zeigt. Und diese Maskulinität wollen manche Männer damit beweisen, indem sie riskantes Verhalten wie Rasen an den Tag legen.»

Auch der Hormonhaushalt darf laut dem Verkehrspsychologen nicht unterschätzt werden: So führe der im Vergleich zu Frauen erhöhte Testosterongehalt bei Männern dazu, dass sie vermehrt Risiken suchen und eingehen.

Verkehrspsychologe Lorenz Imbach.

Klischee Nummer 2: Autoposer, männlich – will mit seiner Luxuskarosse bei Frauen punkten

Der Mann will also stark und mächtig rüberkommen. «Und dazu kann auch ein Auto beitragen», so Lorenz Imbach. «Einige kompensieren damit ein geringes Selbstwertgefühl. Ihnen geht es darum, etwas zu besitzen und anderen zu zeigen, um Macht zu demonstrieren und Eindruck zu machen.»

Gräbt der Psychotherapeut dann tiefer, kommt ganz anderes zum Vorschein. In seiner Praxis beobachtet Imbach, dass Autofahrer, die sich in der Autoposer-Szene bewegen oder Raserdelikte begehen, häufig mit bestimmten Lebensbereichen hadern. «Sie fühlen sich beispielsweise noch nicht als Berufsmann oder haben ihre gesellschaftliche Rolle noch nicht gefunden, die von ihnen erwartet wird.» Gerade zu diesen Zeitpunkten könne es sein, dass Männer zu Verkehrsdelikten tendieren.

Klischee Nummer 3: Männer ticken beim Autofahren schneller aus als Frauen

Auch an diesem Klischee dürfte laut Imbach etwas dran sein. Er stützt sich dabei auf soziale Rollen, welche die Geschlechter gelernt haben. «Ein Mann reagiert bei potenziellem Bedrohungsempfinden eher mit Angriff als mit Flucht. Denn ein Mann, der Angst zeigt und sich nicht wehrt, wird immer als eher schwach angesehen.» Auch hier begünstigte der höhere Testosteron-Spiegel ein aggressives Verhalten.

«Bei Männern stelle ich zudem sehr häufig fest, dass sie sich viel mehr mit anderen Autofahrern vergleichen. Ein vergleichendes Verhalten, ein Konkurrenzdenken mit anderen, kann dazu führen, sich aufzulehnen, sich zu wehren und sich so eben auch mehr in Szene zu setzen», so Imbach.

Klischee Nummer 4: Frauen fahren schlechter Auto als Männer

Dass Frauen schlechter Auto fahren und für mehr Unfälle auf den Schweizer Strassen sorgen, ist definitiv ein Mythos.

So waren sie 2019 laut dem Bundesamt für Strassen (Astra) lediglich für einen von vier Verkehrsunfällen verantwortlich. Während bei 34’665 Unfällen ein Mann am Steuer sass, war es in 13’915 Fällen eine Frau.

Das ist ja logisch, weil Männer ja auch mehr Kilometer als Frauen mit dem Auto zurücklegen, oder? Nicht ganz: Gemäss Bundesamt für Statistik (BfS) waren 2015 knapp 88 Prozent der Männer und 76 Prozent der Frauen im Besitz eines Führerausweises. Wichtig dürften beim Einschätzen des Unfallgeschehens jedoch die zurückgelegten Kilometer sein: 2015 betrug die mit dem Auto zurückgelegte Tagesdistanz bei Männern etwas über 28 Kilometer und bei Frauen knapp 20 Kilometer. Und dennoch liegt das Frauen-Männer-Unfallverhältnis bei 25 zu 75 Prozent.

«Während Frauen beim Autofahren also vielleicht vermehrt mögliche Gefahren erkennen, sieht der Mann eher Möglichkeiten, wie er die Situationen bewältigen kann.»

Lorenz Imbach

Männer verursachen statistisch gesehen zudem die schwereren Verkehrsunfälle und verzeichneten in den letzten Jahren viermal mehr Ausweisentzüge als Frauen. So wurden im Jahr 2019 knapp 80’000 Führerscheine eingezogen. In mehr als 80 Prozent der Fälle waren Männer betroffen.

Würde man Männer fragen, was den weiblichen vom männlichen Fahrstil unterscheiden würde, würden wohl nicht wenige antworten mit: Frauen fahren vorsichtiger, ja vielleicht ängstlicher, so Verkehrspsychologe Imbach. «Während Frauen beim Autofahren also vielleicht vermehrt mögliche Gefahren erkennen, sieht der Mann eher Möglichkeiten, wie er die Situationen bewältigen kann.»

Klischee Nummer 5: Männer pflegen eine emotionalere Bindung zu ihren Autos als Frauen

Dieses Klischee teilt der Verkehrspsychologe nicht vollumfänglich. «Auch eine Frau kann an ihrem Auto sehr hängen», sagt Imbach. Wobei der Stellenwert bei den Geschlechtern vermutlich schon ein anderer sei.

«Für viele Frauen ist das Auto in erster Linie ein Fortbewegungsmittel, das einfach zu handeln sein sollte. So entscheiden sich Frauen vielleicht eher für einen Kleinwagen als für einen SUV.»

Imbach fährt fort: «Und auch wenn für viele Männer ihr Fahrzeug in erster Linie praktisch sein muss, kann in gewissen Fällen das Auto auch als Erweiterung des eigenen Egos angesehen werden. Also, als eine Möglichkeit, ein Selbstwertdefizit kompensieren zu können. Vielleicht kann man es so sagen: Für Frauen ist ein Fahrzeug eher ein praktisches Schmuckstück, ein Accessoire – für manche Männer ein Teil von ihnen selbst.»

Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Lorenz Imbach
  • Bericht des BfS zum Verkehrsverhalten der Bevölkerung
  • Zahlen des BfS
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1 Kommentar
  • Profilfoto von Anti-Proll
    Anti-Proll, 19.04.2022, 07:16 Uhr

    Es gibt nicht nur das Rasen als Machogehabe, sondern das alltägliche, die Verkehrsregeln missachtende Verhalten von Fahrern bestimmter Automarken (bes. A…, B.., typischerweise geleast). Das zeigt sich etwa, wenn man innerorts 50 oder ausserorts 80 fährt und bei der erstbesten Gelegenheit trotzdem überholt wird, wobei selbst eine Sicherheitslinie kein Hindernis darstellen muss. Bei den erwähnten Marken liegt diese Wahrscheinlichkeit bei über 50% nach meiner langjährigen Erfahrung. Diese Fahrer halten sich für etwas Besseres, dabei sind sie nichts als arme Komplexwürstchen. Denn hätten sie wirklich Kohle, würden sie natürlich Porsche oder Masi fahren.

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